Mehrere Hände, die jeweils ein Puzzleteil halten

Wie können die EU-Mitgliedstaaten und die EU ihre Fähigkeiten im externen Krisen- und Konfliktmanagement verbessern?

Zusammen mit dem Centre for European Policy Studies und weiteren Experten aus den EU-Mitgliedstaaten legt die Bertelsmann Stiftung mit dem Buch „Europe´s Coherence Gap in External Crisis and Conflict Management. Political Rhetoric and Institutional Practise in the EU and Its Member States“ eine umfassende Bestandsaufnahme der europäischen zivil-militärischen Fähigkeiten im Krisen- und Konfliktmanagement vor.

Inhalt

Schon jetzt ist abzusehen, dass die Corona-Pandemie bestehende Fehlentwicklungen - nicht zuletzt in guter Regierungsführung und wirtschaftlicher Entwicklung – in den Krisenländern der EU-Nachbarschaft verstärken und Konflikte weiter anheizen wird. Entsprechend dringlicher als schon zuvor werden Regierungen in der EU damit konfrontiert, bei ihnen zur Verfügung stehenden geringeren Finanzmitteln ihre Zusammenarbeit intern wie extern so zu organisieren, dass Alleingänge und Silo-Denken zugunsten ganzheitlicher, sogenannter „Whole-of-Government“-Ansätze im Krisenmanagement überwunden werden. Auf Ebene der EU sollte dabei im besten Fall ein „Whole-of-Europe“-Ansatz entstehen.

Heute anerkannt ist, dass Intervention von außen nur dann erfolgreich sein können, wenn zu allererst die bisher weitgehend unabhängig voneinander eingesetzten Instrumente der Diplomatie, Entwicklungszusammenarbeit und Sicherheit besser koordiniert und zu einer Politik aus einem Guss umgeformt werden. Schließlich gilt, dass Entwicklung nur in einem sicheren Umfeld stattfinden kann wie umgekehrt, dass ohne entsprechende staatliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung keine Sicherheit gewährleistet werden kann. Institutionell geregelter Abstimmungsbedarf besteht daher bei der Komplexität der Herausforderungen weit über die klassischen mit Außen- und Sicherheitspolitik befassten Ministerien des Auswärtigen, der Verteidigung und der Entwicklungszusammenarbeit. In der Krisenvorsorge wie -bearbeitung spielen heute Umwelt-, Klima- oder Gesundheitsfragen ebenso wie Probleme der Rechtstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung, Gender-Gerechtigkeit oder Handels- und Finanzpolitik eine entscheidende Rolle und verlangen die Einbeziehung der Expertise und Instrumente der entsprechend befassten Ministerien.

Dass kein Land mehr eine Insel ist, hat sich nicht zuletzt in der Flüchtlingskrise 2015 in Europa gezeigt. Die vielen Krisenherde und Konflikte in der Nachbarschaft zur EU ließen und lassen sich nicht ausgrenzen, sondern wirken auf die EU zurück. Die EU ist daher allein aus Eigeninteresse gefordert, sich in dieser Region zu engagieren. Leider kann die Bilanz der EU wie der ihrer Mitgliedstaaten im Krisen- wie Konfliktmanagement nicht zufriedenstellen. Das zeigen die anhaltenden Bürgerkriege in Afghanistan, im Kongo, in Libyen, Syrien, der Sahelzone und im Jemen. Auch der Einfluss der EU in ihrer Nachbarschaft für eine friedliche Transformation hin zu Demokratie und sozialer Marktwirtschaft zu sorgen, ist deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben.

Die 29 Berichte in diesem Buch - einer für jeden EU-Mitgliedsstaat und einer über die EU als Ganzes – untersuchen zum ersten Mal, ob und wie steil die Lernkurve in der Entwicklung von Whole-of-Government-Strategien tatsächlich war und dementsprechend, wie erfolgreich neue Formen der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren des externen Krisen- und Konfliktmanagements sowie innerhalb und zwischen ihren Institutionen und Organisationen in die Praxis umgesetzt wurden. In Ergänzung zum Buch sind diese Berichte auf einer eigenen interaktiven Webseite nachzulesen: WGA 2020 | Whole-of-Government Approaches (wga-project.eu). 

Die „best practises“ institutioneller Reorganisation, die hierbei herausgearbeitet werden, sollen Regierungen zu weiteren Reformanstrengungen in der inter-institutionellen Zusammenarbeit motivieren. Sie können aber auch in der Corona-Krise Anschauungsmaterial geben, wie man es besser machen kann und sollte. Schließlich zeigt sich, dass auch Gesundheitsfragen zumindest dieser Kategorie eine hochgradig sicherheitspolitische Dimension haben. In ihrer ökonomischen Dimension bedrohen sie nicht nur den sozialen Frieden und damit die politische Stabilität innerstaatlich, sondern führen auf der zwischenstaatlichen Ebene zu neuen Verteilungskonflikten und damit weiteren Spannungen mit noch ungewissem Ausgang für die den EU wie die internationalen Beziehungen.