„Die engen Verflechtungen zeigen deutlich, dass auch die EU davon profitiert, wenn Tunesien wirtschaftlich und sozial gefestigt ist“, erklärt Christian-P. Hanelt, Nahostexperte der Bertelsmann Stiftung. Gut 75 Prozent der tunesischen Exporte gehen in die EU, 50 Prozent der tunesischen Importe kommen aus der EU. Rund eine Million der 12 Millionen Tunesier:innen haben ihre Heimat verlassen, sie leben und arbeiten in Europa. „Deshalb lohnt ein genauer Blick auf die engen wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Verbindungen Tunesiens zur Europäischen Union. Und der Agrarsektor ist ein wichtiger Hebel, um die derzeit schwierige Situation in Tunesien bewältigen zu helfen“, sagt Hanelt.
Der Agrarsektor steuert 14 Prozent zum tunesischen Bruttoinlandsprodukt bei, und rund 17 Prozent der Arbeitnehmer:innen sind dort beschäftigt. Stark im Fokus steht die Produktion von Olivenöl. In der vergangenen Dekade wurden in Tunesien im Schnitt gut 197.000 Tonnen Olivenöl jährlich produziert, womit das Land hinter Spanien, Italien und Griechenland auf Rang vier der weltgrößten Olivenöl-Produzenten liegt. Einige tunesische Agrarprodukte wie etwa Olivenöl unterliegen allerdings EU-Handelsbeschränkungen, deshalb können lediglich 56.700 Tonnen des Produkts zollfrei exportiert werden.
„Es gibt viele Agrarprodukte wie Olivenöl, Tomaten oder Datteln, bei denen das Exportpotenzial nicht ausgeschöpft ist“, erklärt Houssem Eddine Chebbi, Professor für Agrarökonomie an der Ecole Supérieure des Sciences Economiques et Commerciales in Tunis. „Für Tunesien gibt es Möglichkeiten, Produktvielfalt und Exportvolumen für den europäischen Markt weiter zu erhöhen."
Folgende Empfehlungen der Experten können europäischen und tunesischen Entscheider:innen helfen, einen resilienteren Agrarsektor in Tunesien voranzubringen:
- Die 1998 im Handelsabkommen zwischen der EU und Tunesien beschlossenen Zollvereinbarungen müssten an aktuelle Entwicklungen angepasst werden. Wichtig ist, dass die Akteure des tunesischen Agrarsektors die Potenziale analysieren und der EU-Kommission Vorschläge unterbreiten können. Brüssel sollte sich offen zeigen – gerade, was die Erhöhung oder Abschaffung von Quoten angeht. Da dies ein sensibles Thema ist, sollten bei Neu- und Nachverhandlungen nicht nur die EU und die tunesische Regierung am Tisch sitzen, sondern auch die Interessenvertreter:innen der tunesischen Landwirtschaft beteiligt werden.
- Bei Produkten wie Olivenöl, Tomaten oder Datteln gibt es ein größeres, unausgeschöpftes Exportpotenzial. Gleichzeitig muss aber auf eine hinreichende Diversifizierung bei landwirtschaftlichen Produkten abgezielt werden. Hier ist ein strategisches und datenbasiertes Risikomanagement entscheidend.
- Tunesien diskutiert angesichts des Klimawandels eine Modernisierung seines Agrarsektors. Dabei spielen ein Upgrade der Infrastruktur, der nachhaltigen Verarbeitung der Produkte und des effizienteren Wasser-Managements eine große Rolle. Diese Aufgaben sollten von EU-Seite finanziell und technisch unterstützt werden. Kleinbauern und die lokale Zivilgesellschaft sollten einbezogen werden, sie können bei der Entwicklung landwirtschaftlicher Räume helfen.
- Wenn Tunesien wegen des Kriegs gegen die Ukraine ohne eigenes Verschulden weitere Einkaufsengpässe bewältigen muss, sollte die EU kurzfristig finanziell unterstützen. So lassen sich zu große Preissprünge oder Lieferschwierigkeiten abfedern.