Tunesien verhandelt seit 2015 mit Brüssel über eine intensivere wirtschaftliche Integration. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind hin- und hergerissen. Die einen sehen vor allem die Chancen, etwa Modernisierung und Dynamik für die Wirtschaft, neue Arbeitsplätze sowie bessere und preiswertere Produkte für die Konsumenten. Andere fürchten, dass tunesische Unternehmen unter mehr Marktöffnung oder wegen regulatorischer Anforderungen leiden werden.
Die Ukraine, Georgien und die Republik Moldawien haben seit rund zwei bzw. vier Jahren „tiefe und umfassende Freihandelszonen“ mit der EU auf der Basis sogenannter DCFTAs, englisch für Deep and Comprehensive Free Trade Agreements. Der französische Fachjargon spricht von ALECA, Accord de Libre Échange Complet et Approfondi.
Auf Anfrage tunesischer Stakeholder stellte das Europa Programm der Bertelsmann-Stiftung eine Delegation aus ehemaligen Verhandlern und unabhängigen Experten aus den "DCFTA3" genannten Ländern Ukraine, Georgien und Moldau zusammen. Die Praktiker und Think-Tank-Vertreter teilten ihre Erfahrungen und Beobachtungen in Arbeitssitzungen mit Repräsentanten aus der Regierung und Vertretern der unterschiedlichen Verhandlungsteams, an Runden Tischen mit der Zivilgesellschaft und zentralen Verbänden, etwa der Freien Berufe, der Arbeitgeber und der Gewerkschaften, sowie in öffentlichen Veranstaltungen. Der Austausch ging über die Hauptstadt Tunis hinaus bis in die südliche Provinzstadt Sfax – ein wichtiges Signal in Tunesien, wo sich die Regionen nicht selten gegenüber der Hauptstadt sozial und wirtschaftlich benachteiligt fühlen.
Inflation, Preise und Staatsschulden steigen in Tunesien, die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch - sehr vielen ist bewusst, dass Land und Gesellschaft sich reformieren müssen, wirtschaftlich und sozial. Dank der mit der Revolution 2011 eingezogenen gesellschaftlichen Öffnung diskutiert das ganze Land das Für und Wider von Reformen und die Beziehungen zu Europa, vom Parlament über die Medien bis in die Zivilgesellschaft.