Die EU will die Zusammenarbeit mit Ländern in ihrer Nachbarschaft verstärken und die Handelsbeziehungen vertiefen, etwa mit dem Europäischen Wirtschaftsraum (EEA - European Economic Area) und der Europäischen Freihandelszone (EFTA - European Free Trade Association), aber vor allem mit Tiefen und Umfassenden Freihandelszonen (DCFTAs – Deep and Comprehensive Free Trade Areas). Die Abkommen zu den Freihandelszonen machen seit 2014 den umfangreichsten (wirtschaftlichen) Teil von Assoziierungsabkommen mit den EU-Nachbarschaftsländern Ukraine, Moldawien und Georgien aus (sog. “DCFTA3”). Seit 2017 gibt es zudem ein Partnerschaftsabkommen mit Armenien, das Mitglied der von Russland dominierten Eurasischen Zollunion ist, aber parallel die vertiefte politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der EU sucht.
Fairer Handel und wirtschaftliche Integration
Die EU ist daran interessiert, dass sich ihre Handelspolitik mit ihren Nachbarn in höherem Wirtschaftswachstum und verbesserten Einkommen in ihrer Nachbarschaft niederschlägt. Nur wenn mehr Bürger von Wohlstandsentwicklung profitieren, gelingen auch dort Modernisierung und gesellschaftliche Stabilisierung.
Inhalt
Wofür steht DCFTA?
„DCFTA“ steht für Deep and Comprehensive Free Trade Area - Tiefgreifende und umfassende Freihandelszone. Eine „Freihandelszone“ ist eine Form der wirtschaftlichen Integration, in der die teilnehmenden Staaten untereinander keine Zölle erheben und Handelshemmnisse abbauen. Anders als in einer Zollunion wie etwa der EU betreiben die Mitgliedstaaten aber weiter eine eigenständige Zollpolitik gegenüber Drittländern.
„Umfassend“ und „tiefgreifend“ bedeutet, dass es nicht nur um offene Gütermärkte geht (Zollfreiheit für die meisten Erzeugnisse sowie Abschaffen von Ausfuhrzöllen und mengenmäßigen Beschränkungen), sondern auch um Zugang zum Dienstleistungs- und Kapitalmarkt. Zudem werden Regulierungsfragen erfasst wie faire Wettbewerbsbedingungen (etwa: ein harmonisierter Schutz geistigen Eigentums), Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen und einheitliche Zollverfahren. „Tiefgreifend“ bezieht sich auf die Harmonisierung des regulatorischen Umfelds mit EU-Standards (etwa technische Regeln für Produktsicherheit für Nahrung und Industrieprodukte, aber auch Standards im Umwelt-, Sozial und Arbeitsrecht), um (oftmals internationale, durch die WTO vereinbarte) Sicherheitsniveaus zu erfüllen und Handelskosten zu senken.
Dieses Modell verfolgt die EU in ihren neuen Handelsabkommen mit Drittstaaten (ausgenommen: Entwicklungsländer). Gegenüber ihren östlichen und südlichen Nachbarstaaten visiert sie das Ziel an, dass alle innereuropäischen legalen und administrativen Regelungen (Acquis Communautaire) übernommen werden. Allerdings ist hierbei der Grad der Harmonisierung flexibel.
„DCFTA3“ – MOLDAWIEN, GEORGIEN UND DIE UKRAINE
Die sog. „DCFTA3“ sind die „umfassendsten“ Freihandelszonen jenseits des EU-Binnenmarktes. Die Deep and Comprehensive Free Trade Agreements machen den umfangreichsten Teil der Assoziierungsabkommen der EU mit Moldawien, Georgien und der Ukraine aus. Sie sind zentrale Instrumente der Europäischen Nachbarschaftspolitik, um die politische Annäherung an die EU und im Zusammenhang damit wirtschaftliche Integration zu fördern.
„DCFTA3“ | Vorläufige Anwendung | Uneingeschränkt in Kraft |
Moldawien | Juni 2014 – Juni 2016 | Seit Juli 2016 |
Georgien | Sept. 2014 – Juni 2016 | Seit Juli 2016 |
Ukraine* | Januar 2016 – Aug. 2017 | Seit September 2017 |
*Von April 2014-Dez. 2015 geltende autonome Handelsmaßnahmen ermöglichten den zollfreien Zugang zum EU-Markt.
Eigene Studie zu Kosten und Nutzen der DCFTA3
2016 untersuchte die Bertelsmann Stiftung in Kooperation mit dem Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche Nutzen und Kosten der „DCFTA3“ (siehe rechts: Benefits and Costs of DCFTA: Evaluation of the Impact on Georgia, Moldova and Ukraine). Nach nunmehr mindestens zweieinhalb Jahren Umsetzung wird das Projekt in Abstimmung mit den Stakeholdern Ergebnisse überprüfen und aktualisieren. Welche Auswirkungen hatten bzw. haben die Abkommen auf die Reformdynamiken in Moldawien, Georgien und der Ukraine?
Verhältnis von Handel zu besseren Lebensbedingungen
Der südliche Nachbar Tunesien und die EU verhandeln seit 2015 über eine Freihandelszone (ALECA). Für die Staaten der südlichen Nachbarschaft, denen die EU keine Beitrittsperspektive bietet, haben die DCFTAs eine andere Anreizstruktur, als für Länder der Östlichen Partnerschaft, deren Bürger mehrheitlich „eine Rückkehr nach Europa“ oder die EU-Mitgliedschaft anstreben. Arabische Gesellschaften sehen das europäische Modell aus Demokratie und sozialer Marktwirtschaft nicht als einzigen Orientierungspunkt. Sie nehmen die EU im Wesentlichen als Geber und Handelspartner wahr.
So stellen sich Fragen nach nützlichen Erkenntnissen und Erfahrungen der sog. „DCFTA3“: In welchem Verhältnis stehen die Vorteile regulatorischer Zusammenarbeit zum Verlust nationaler Souveränitätsrechte, und welche Intensität von Zusammenarbeit ist zum Vorteil aller Beteiligten? Sind die EU und die Regierungen der Nachbarländer in Verhandlungen gleich stark? Reichen Transparenz und parlamentarische sowie zivilgesellschaftliche Beteiligung aus, damit die komplexen Übereinkünfte akzeptiert und umgesetzt werden?
Auf Erfolgen aufbauen – Chancen für eine strategische (Handels-)Politik
Ein besonderer Fokus des Projekts liegt darauf, den unmittelbaren Austausch zwischen den Transformationsländern aus der östlichen und der südlichen Nachbarschaft zu stärken und die Erfahrungen der “DCFTA3” den Staaten der südlichen Nachbarschaft nutzbar zu machen (zunächst für aktuelle VerhandlungenEU und Tunesien).
Das Projekt soll dazu beitragen, dass die EU als wirtschafts- und handelspolitischer Akteur stabilisierend und entwicklungsfördernd wirkt, so dass gute Lebensbedingungen in der Nachbarschaft überwiegen und, gemäß dem Konzept Resilienz der #EUGlobalStrategy, politischen und wirtschaftlichen Krisen vorgebeugt wird bzw. Staaten und Gesellschaften Krisen besser bewältigen.
Wirtschaftliche Integration und Handel bieten die Chance für eine nuancierte Politik, die die hochintegrierte EU mit einem Ring unterschiedlich integrierter Länder zum Nutzen aller ausrichten kann.