Man die Skyline von Toronto vom Wasser aus. Im Vordergrund die Flagge von Kanada

Lernen von Kanada: Impulse für die deutsche Integrationspolitik

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Als koloniale Siedlergesellschaft war Kanada seit seinen Anfängen als moderner Staat im 19. Jahrhundert per se ein Einwanderungsland. Allerdings orientierte sich die Einwanderungspolitik lange Zeit stark an ethnisch-kulturellen Kriterien. Erst in den 1960er Jahren vollzog das Land aus normativen und ökonomischen Beweggründen einen radikalen Wandel seiner Einwanderungspolitik. Diese richtete sich fortan an volkswirtschaftlichen und damit herkunftsunabhängigen Kriterien aus und wurde von einer offiziellen Politik des Multikulturalismus begleitet, die auf die Anerkennung verschiedener kultureller Identitäten und auf gleiche Teilhabechancen zielte.

Aktuell strebt die kanadische Regierung historische Höchstwerte bei der Einwanderung an. Im Jahr 2022 wanderten bereits mehr als 437.000 Menschen nach Kanada ein. Die Top 3-Herkunftsländer waren Indien, China und Afghanistan. Zugleich ist die Unterstützung in der Bevölkerung für die aktuelle Einwanderungspolitik so hoch wie nie: Sieben von zehn Kanadier:innen befürworten das derzeitige Einwanderungsniveau.

Politischer Konsens und sichtbare Repräsentation

Ein wichtiger Faktor für die verbreiteten positiven oder gelassenen Einstellungen in Kanada liegt in dem über Jahrzehnte stabilen politischen Konsens darüber, dass Einwanderung im Interesse des Landes ist und die kanadische Gesellschaft bereichert. Dies gründete sich ursprünglich vor allem auf wirtschaftliche Erwägungen. Doch die Politik zielte seit Anfang der 1970er Jahre auch auf die Anerkennung, den Schutz und die Förderung kultureller Vielfalt. Ein Faktor für den Erfolg und die Glaubwürdigkeit dieser Politik ist die sichtbare Repräsentation der gesellschaftlichen Vielfalt im politischen Führungspersonal. So ist mit der Zeit ein Selbstverständnis gewachsen, in dem Einwanderung und Vielfalt als Werte und als Teil der Identität der kanadischen Demokratie sowie als gesellschaftliche Normalität begriffen werden.

Investitionen in Integration und bürgerschaftliche Resilienz

Die Annahme, dass Einwanderung sowie Investitionen in Integration und Teilhabe im eigenen Interesse der heimischen Wirtschaft und Gesellschaft sind, bildet die Grundlage der kanadischen Integrationspolitik. Außerdem werden Gleichbehandlung und Teilhabe in Kanada großgeschrieben. Der kanadische Integrationsansatz ist somit stark serviceorientiert und zielt auf den Abbau von Barrieren. Durch ein landesweit flächendeckendes und zugleich alltagsnahes und an die örtlichen Gegebenheiten angepasstes Angebot der Integrationsservices ist der Zugang für neu Zugewanderte niedrigschwellig.

Das Zusammenleben in kultureller Vielfalt findet vor Ort im lokalen Kontext statt, d.h. Städte und Kommunen nehmen eine wichtige Rolle ein. Toronto, die am stärksten von Einwanderung geprägte Metropole Kanadas, hat die ausgeprägte Vielfalt der Stadt in ihrem offiziellen Motto „Diversity Our Strength“ aufgegriffen und damit fest in die städtische Identität integriert. Die Stadtverwaltung gestaltet aktiv einen öffentlichen Dialog mit dem Ziel, bürgerschaftliche Resilienz („civic resiliency“) zu stärken. Das heißt, sie möchte die Stadtbewohner:innen befähigen, mit der fortschreitenden Komplexität und Diversität ihrer sozialen Umgebung zurecht zu kommen, gute Beziehungen zu gestalten und Veränderung als Chance zu begreifen.

Perspektive auf Einbürgerung als Vehikel für Integration

Schließlich ist die realistische und nicht allzu ferne Aussicht auf ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht bzw. Einbürgerung ein weiterer Faktor für die Integration von Zugewanderten. Denn dies bedeutet eine Perspektive für das eigene Leben und das der Kinder. Es erscheint dann lohnenswert, in den Aufbau eines Lebens in Form von Bildung, Ausbildung, Unternehmensgründung oder den Erwerb von Wohneigentum zu investieren.

In Kanada kann regulär nach drei Jahren Aufenthalt auf Basis eines dauerhaften Aufenthaltsrechts  („permanent residency“) die Staatsbürgerschaft beantragt werden. In Deutschland hingegen gelten aktuell noch acht Jahre rechtmäßigen Aufenthalts als Voraussetzung, wobei die aktuellen Reformpläne der Ampel-Regierung hier nun eine Annäherung an die kanadische Regelung vorsehen. Der weitere Dialog und Austausch zu den Themen Einwanderung und Integration zwischen beiden Ländern bietet die Chance, die Partnerschaft zwischen den Demokratien zu vertiefen und Vielfalt zum Wohle aller in der Gesellschaft zu gestalten.

Policy Brief