Es ist schwer zu sagen, wann Costa Rica einen anderen Weg eingeschlagen hat, einen grüneren und sozial verträglicheren. Viele erwähnen als Startpunkt, dass die politischen Lager einst gemeinsam angefangen hätten, den Regenwald zu bewahren. Manche fangen 1948 an zu zählen, als die damalige Junta nach dem Bürgerkrieg das Militär abschaffte und beschloss, das viele ins Militär gepumpte Geld besser für Bildung auszugeben. Andere zitieren die Kolonialzeit, in der Costa Rica vergleichsweise ruhiges Randgebiet war neben Guatemala, wo die spanischen Kolonialherren ihre Paläste errichteten.
Wo auch die Ursache liegt, Costa Rica hat keine Scheu, seinen eigenen Weg zu wählen, zeigt gesundes Selbstbewusstsein, schätzt seine Geschichte. Und es hat vergleichsweise früh erkannt, dass sich Nachhaltigkeit lohnt. Seit Jahrzehnten hebt sich das Land durch seine Stabilität ab und hat eines der besten Wohlfahrtssysteme der Region. Seine Bürger haben eine der höchsten Lebenserwartungen, und der Lebensstandard ist deutlich besser als in den meisten anderen lateinamerikanischen Staaten.
Vorreiter beim Ökotourismus
Dabei hat Costa Rica dieselben Probleme wie viele Entwicklungsländer mit mittlerem Einkommen. Die Hauptstadt San José kämpft mit den Folgen seines chaotischen Wachstums und seiner schlechten Infrastruktur, mit zu viel Verkehr, mit Müll und schlechter Luft. Die Flüsse in der atemberaubend schönen Natur außerhalb der Stadt sind verschmutzt. Costa Rica gilt zudem als Schmuggelroute für Drogen, und die beiden großen Parteien werden verdächtigt, davon zu profitieren. 2004 hat ein Korruptionsskandal zwei frühere Präsidenten ins Gefängnis gebracht.
Doch Costa Rica kämpft. Zum Beispiel mit Menschen wie Álvaro Ugalde, dem Vater der Nationalparks, der 1971 den ersten Abschnitt des Urwalds vor der Rodung rettete. Es war die Zeit, als wie überall in Lateinamerika und oft auch noch heute die Wälder kahl geschlagen wurden, um Viehweiden zu schaffen für den lukrativen Rindfleischexport. Ugalde zog als 22 Jahre alter Biologiestudent durch den Grand Canyon und andere Nationalparks in den USA und Kanada. Und er wusste, dass er die auch in seiner Heimat schaffen wollte. Heute stehen 13.000 Quadratkilometer Wald unter Schutz, das ist rund vierzehnmal die Fläche von Berlin und ein Viertel der Fläche Costa Ricas. Ugalde hat maßgeblich dazu beigetragen, sein Land zum Vorreiter des Ökotourismus zu machen.
Auch das ist die Geschichte Costa Ricas. Es war immer mutig genug, sich von der Mehrheit der Nachbarstaaten abzusetzen. Und das hat sich meist auch noch bezahlt gemacht. Grün ist heute keine Idee mehr in Costa Rica, Grün ist eine seiner stärksten Marken.
Energie durch Erdwärme
Die Regierung in San José hat ihren Anteil daran. Schon 1990 entwickelte das kurz zuvor gegründete Umweltministerium eine Nachhaltigkeitsstrategie, die ihresgleichen suchte. Die fehlende Finanzierung machte daraus zwar vor allem einen schönen Plan, aber er gab den Ton für weitere Schritte an. Heute steht Nachhaltigkeit als verbindliches Ziel im nationalen Entwicklungsplan der aktuellen Regierung. Costa Ricas Vorkämpfer der Nachhaltigkeit haben es immer wieder geschafft, ihre Ziele trotz der unvorhersehbaren Tagespolitik durchzusetzen. Als 1994 Wahlen anstanden, schlossen René Castro und Carlos Manuel Rodriguez einen Pakt. Sie waren für ihre gegnerischen Parteien als Kandidaten für das Amt des Umweltministers aufgestellt. Und sie versprachen sich trotz aller politischen Rivalität, dass sie zusammenarbeiten würden, egal, wer das Rennen machte. Gemeinsam schufen sie den Payment for Ecosystems Service, ein heute noch innovatives Instrument. Die Idee war, dass man den Bauern nicht einfach verbieten könne, ihre Wälder zu roden. Schließlich folgten jene damit zunächst in erster Linie ihren berechtigten wirtschaftlichen Interessen. Rinderweiden brachten mehr ein als bewahrter Wald. Also beschlossen Castro und Rodriguez, die Bauern für den Erhalt des Waldes zu bezahlen. Sie deklarierten den Erhalt des Regenwalds zur Dienstleistung für die Gemeinschaft. Finanziert werden die Zahlungen aus einer Spritsteuer. Mit ehrgeizigen Zielvorgaben treibt das Land sich weiter an: Bis 2021 will Costa Rica ein CO2-neutrales Land sein, seinen Strom will es vollständig aus erneuerbaren Quellen ziehen. Ohne breite Unterstützung für diesen Kurs in der Bevölkerung wäre das Land nicht so weit gekommen. Wie tief das ökologische Selbstverständnis Costa Ricas mittlerweile sitzt, bekommt auch das nationale Energieunternehmen ICE immer wieder zu spüren. Zum einen eignet sich das Land mit seinen vielen Vulkanen besonders zur Energiegewinnung aus Erdwärme. Umweltfreundlich ist dieser Weg dazu. Doch die meisten Vulkane liegen in den heute nahezu heiligen Nationalparks. Und bis dort eine Bohrgenehmigung erteilt wird, kann es dauern. Doch Geduld lohnt sich in Costa Rica.
Über Costa Rica:
Reiche Küste bedeutet der Name der 51.100 Quadratkilometer großen Präsidialrepublik, die in Zentralamerika liegt und im Norden an Nicaragua und im Süden an Panama grenzt sowie im Osten durch die Karibik und im Westen durch den Pazifik begrenzt wird. Von den rund 4.301.700, überwiegend christlich geprägten Einwohnern leben rund 60 Prozent in Städten, zwei Drittel im klimatisch begünstigten Hochland. Die Landessprache ist Spanisch, die Hauptstadt ist San José. Costa Rica hat ein hohes Bildungsniveau, die Analphabetenquote ist mit 4,2 Prozent nach Kuba die zweitniedrigste Mittelamerikas und eine der niedrigsten in Lateinamerika und den Entwicklungsländern. Die Einwohner Costa Ricas gehören laut www.happyplanetindex.org zu den glücklichsten der Welt.
(Text: Benjamin Dierks, aus: change – Das Magazin der Bertelsmann Stiftung)
Buchtipp:
Die fünf in dieser Serie vorgestellten Länder stehen auch im Mittelpunkt des Buchs "Erfolgreiche Strategien für eine nachhaltige Zukunft", das die Bertelsmann Stiftung anlässlich des Reinhard Mohn Preises 2013 am Montag, 4. November, veröffentlicht.