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, Policy Brief: Digitale Souveränität als Europäisches Öffentliches Gut

"Digitale Souveränität" ist ein erklärtes Ziel der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Für einen in der aktuellen politischen Debatte so zentralen Begriff ist dieser allerdings sehr unscharf definiert. Was genau kann digitale Souveränität bedeuten? Was sind die nötigen Rahmenbedingungen, damit die EU ihre eigenen Werte- und Rechtsvorstellungen im digitalen Raum durchsetzen kann?

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Europa müsse technologisch und digital souverän werden, so erklärte Kanzlerin Merkel in ihrer Rede anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Der Begriff der digitalen Souveränität besitzt dabei eine geringe Trennschärfe. In einem Policy Brief erläutern Falk Steiner und Viktoria Grzymek die zu Grunde liegende Problematik und erörtern, was digitale Souveränität konkret bedeuten kann: Ein besseres Bewusstsein für und die Fähigkeit zur Steuerung von Abhängigkeiten in zentralen Elementen der digitalen Infrastruktur.

Europas Handlungsfähigkeit unter Digitalisierungsdruck

Auch weil die Europäische Union in vergangenen Jahren klare Ziele in der Digitalpolitik hat vermissen lassen, sieht sie sich mittlerweile mit einem enormen Handlungsdruck konfrontiert. Dabei geht es zum einen um die Verbesserung der Politik des Digitalen, also die Infrastruktur wie Breitband- und Mobilfunknetze, und ihre Nutzung. Gleichzeitig erfasst die Digitalisierung immer mehr Branchen und Bereiche, in denen sie massive strukturelle Veränderungen der Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten hervorruft.

Die eigenständige Regulierung des Digitalen wird dadurch erschwert, dass die meisten digitalen Produkte und Räume von privaten Firmen angeboten werden, die häufig nicht in der EU sitzen. Diese internationale Abhängigkeit gewinnt an Gewicht, da digitale Politik eine immer größere Rolle in der sich entwickelnden Konfrontation zwischen den USA und China spielt. Während auf der einen Seite die USA strategische Digitalpolitik zur Offenhaltung von Märkten und dem Schutz geistigen Eigentums vorantrieben, hat auf der anderen Seite China mit hohen Forschungsinvestitionen ein eigenes Digitalökosystem unter staatlicher Kontrolle entworfen und exportiert mittlerweile massiv Schlüssel-Technologien in Drittstaaten.

Digitalpolitik eindeutig ein europäisches öffentliches Gut

Diese strukturellen Voraussetzungen und das unzureichende Gewicht einzelner Mitgliedstaaten machen deutlich, dass eine effektive Digitalpolitik nur auf europäischer Ebene möglich ist. Die europäische Politik hat dies erkannt und mit der Datenschutzgrundverordnung ein erstes Beispiel dafür geliefert, dass sie europäische Standards setzen kann, deren Einfluss über die EU hinauswirkt. Gleichzeitig wurde in der Debatte um 5G deutlich, dass sich die Mitgliedstaaten in entscheidenden Fragen uneins sind und nationale Lösungen suchen, die einer effektiven europäischen Digitalpolitik im Weg stehen.

Souveränität als Fähigkeit zur Ausgestaltung der Digitalisierung

Gemeinsam mit dem stärker wahrgenommenen Handlungsdruck der letzten Jahre stieg auch die Popularität des Konzeptes der „digitalen Souveränität“, wobei diese selten klar definiert wird. Klar ist, dass sie im digitalen Raum nicht binär zwischen Autarkie und Abhängigkeit gedacht werden kann. Viel eher geht es darum, über die weitere Entwicklung von Abhängigkeiten und Unabhängigkeiten selbst bestimmen zu können.

Digitale Souveränität ist die Fähigkeit einer Entität, über die zukünftige Ausgestaltung festgestellter Abhängigkeiten in der Digitalisierung selbst entscheiden zu können und über die hierfür notwendigen Befugnisse zu verfügen.
Falk Steiner und Viktoria Grzymek

Diese Definition beinhaltet, dass man zwischen kritischen und unkritischen Bereichen unterscheidet, sowie aktuelle und zukünftige Abhängigkeitsgrade in die Bewertung miteinfließen lassen sollte. Dies setzt allerdings ein klares Bewusstsein für die tatsächlichen technologisch-digitalen Abhängigkeiten voraus: Wie stark ist eine konkrete Abhängigkeit? Warum ist die EU konkret abhängig (Ressourcen, Subventionen, technologischer Vorsprung)?

Ein gemeinsames europäisches strategisches Abhängigkeitsmanagement

Ein erster Schritt ist daher die Erfassung der Abhängigkeiten in allen Bereichen, in denen digitale Technologien zum Einsatz kommen, wie die Autoren am Beispiel von 5G demonstrieren. Eine digital souveräne Politik, sowie eine Gestaltung der Digitalisierung, die die europäischen Werte und Grundprinzipien bewahrt, ist nur gemeinsam und mit klarem Mandat auf europäischer Ebene möglich.

Dabei bietet ein gemeinsames europäisches Vorgehen eine große Chance. Wesentliche Teile der westlich geprägten Demokratien (namentlich die meisten OECD-Staaten) sind durchaus nicht gewillt, sich dem technologischen und damit auch politischen Einfluss Chinas zu unterwerfen. Es fehlt aber an Alternativen zu dieser Abhängigkeit. Europa muss sich selbst in die Lage versetzen, dass andere Akteure in der Digitalisierung mindestens so abhängig von seiner Spielteilnahme sind, wie die EU es von ihrer ist. In diesem Falle wäre die EU tatsächlich digital souverän und könnte ihre eigenen Werte und Rechtsvorstellungen aktiv gegenüber jenen durchsetzen, die aus Drittstaaten in der Union tätig sind, und muss zugleich seine eigene Rolle als eine für die Bürger*innen positiv erfahrbare EU neu finden.

Publikation

Publikation: Digitale Souveränität in der EU

"Digitale Souveränität" – ein oft genutzter Begriff in politischen Debatten auf nationaler wie europäischer Ebene. Was ist damit gemeint? ...

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