In einer High-Level-Reflexionsgruppe kommen mehrmals im Jahr Politiker, Vertreter wichtiger europäischer Institutionen und unabhängige Experten zusammen, um Vorschläge für eine „neue“ Europapolitik aus der Perspektive europäischer Gemeinschaftsgüter zu diskutieren und zu entwickeln.
In Zeiten großer innerer und äußerer Herausforderungen und offener ökonomischer und politischer Fragen ist die Europäische Union mehr denn je gefordert, sich neu aufzustellen, überzeugende Antworten zu entwickeln und diese entschlossen und gemeinsam umzusetzen. Wir zeigen, in welchen wichtigen Politikfeldern der entscheidende Mehrwert für die Bürger erst durch die EU realisiert werden kann.
Die Europäische Union (EU) wurde vor mehr als 70 Jahren als ein zutiefst politisches Projekt gegründet, das die souveränen Beziehungen durch wirtschaftliche Integration verändern sollte. Zollunion, Binnenmarkt, Schengen und Europäische Währungsunion: All diese Projekte haben entscheidend zu Frieden, Freiheit, Wohlstand sowie zu einer tief greifenden Integration der Gesellschaften, Märkte und Menschen auf unserem Kontinent beigetragen. Heute stellen sich jedoch viele neue, drängende und auch kritische ökonomische und politische Fragen von innen und außen an die EU. Ist die EU noch in der Lage, die Antworten zu geben, Lösungen zu finden, so wie die Bürger sie zu Recht erwarten?
Von innen stehen Migrationspolitik und Schengen, Rechtsstaatlichkeit und Brexit beispielhaft für Desintegrationstendenzen, während von außen ein geopolitisch selbstbewussteres Russland, der Aufstieg Chinas und ein weniger zuverlässiger transatlantischer Partner auf ein unbeständigeres internationales System hindeuten, in dem sich die EU mehr auf sich selbst verlassen muss. Vor diesem Hintergrund scheint die EU derzeit nicht in der Lage zu sein, ihre Interessen entsprechend ihrem Gewicht als größtem Binnenmarkt- und Politikprojekt der Welt zu schützen - es besteht eine erhebliche Kluft zwischen dem, was die EU tut, beziehungsweise kann; und dem, was die EU tun sollte und die Bürger zu Recht erwarten.
Europäische Öffentliche Güter – "Gemeinschaftsgüter" - als Leitgedanke europäischer Reformen und eines neuen europäischen Narratives des 21. Jahrhunderts
Um diese Erwartungslücke zu überbrücken, braucht die EU neue Impulse, damit sie interne und externe Herausforderungen kohärent angehen kann. In diesem Kontext entwickelt die Bertelsmann Stiftung High-Level Reflexionsgruppe ausgehend vom Konzept der europäischen öffentlichen „Gemeinschaftsgüter“ konkrete Reformvorschläge. Das Konzept der europäischen öffentlichen Güter identifiziert jene Politikbereiche wichtiger Politikfelder, in denen ein echter europäischer Mehrwert entsteht, wenn sie gemeinsam auf EU-Ebene verfolgt werden. Das Konzept erlaubt so eine Konzentration der EU auf das Wesentliche sowie ein kritisches Hinterfragen der heutigen Kompetenzen der Europäischen Union im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips. Damit gewinnen wir auch ein neues Narrativ zur Rolle der EU und ihrer Beziehung zu Mitgliedstaaten und Bürgern im 21. Jahrhundert.
Wo ein europäischer Mehrwert besteht, stellt die Reflexionsgruppe die Frage der Umsetzung: Wie kann das öffentliche Gut in einem bestimmten Politikbereich auf EU-Ebene effektiv bereitgestellt werden? Welche politischen, verfassungsrechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen ermöglichen die Bereitstellung eines europäischen öffentlichen Gutes? Wo muss für ein EU Gemeinschaftsgut Souveränität an die EU abgegeben werden, wo kann hingegen umgekehrt Souveränität an die Mitgliedstaaten zurückverlagert werden bzw. wo reicht sie aus? Welche Mechanismen können die Umsetzung der Politik und die Durchsetzung der geteilten Verantwortung und Solidarität zwischen der EU und den Mitgliedstaaten gewährleisten?