Geopolitische Instabilität, rasante technologische Umbrüche, wirtschaftliche Machtverschiebungen, beschleunigter Klimawandel, die fortschreitende Zerstörung von Ökosystemen und gewaltige sozio-demographische Veränderungen erfordern permanente Anpassungs- und Lernleistungen von Regierungen. All diese Herausforderungen sind eng miteinander verknüpft, es gibt Wechselwirkungen und erhebliche Zielkonflikte. Damit einher geht eine hohe Unsicherheit zu Wirkung und Folgeproblemen bestimmter politischer Maßnahmen.

Pia Bublies/Bertelsmann Stiftung
Wie zukunftsfähig sind die Staaten der OECD und EU?
Die Sustainable Governance Indicators (SGI) adressieren eine der zentralen gesellschaftspolitischen Fragestellung, die die hochentwickelten Staaten der OECD und EU heute lösen müssen: Wie lassen sich nachhaltige Politikergebnisse und eine größere Langfristorientierung in der Politik erzielen?
Inhalt
Lösungsansätze müssten daher dieser Komplexität Rechnung tragen, sektorübergreifend und interdisziplinär angelegt sein und gemeinsam mit den wichtigsten gesellschaftlichen Stakeholdern erarbeitet und umgesetzt werden. Dabei ist auch eine Abstimmung über mehrere politische Ebenen – lokal, regional, supranational oder international – zentral. Beispiele für sich positiv ergänzende Politikansätze gibt es viele. Effektiv umgesetzt, kann zum Beispiel ein investiv und vorausschauend ausgerichteter Sozialstaat gleichermaßen die politische Stabilität fördern als auch eine Neuausrichtung des Wirtschaftsmodells an neue Herausforderungen erleichtern. Eine nachhaltige Regierungsführung ist gleichermaßen Voraussetzung für Vertrauen und Planungssicherheit für Bürger und Unternehmen sowie die Lern- und Anpassungsfähigkeit von Staaten.
Idealerweise sollten Regierungen die Herausforderungen ganzheitlich angehen, mit einer langfristigen Perspektive, die auf Fakten und bewährten Verfahren beruht. Dabei sollten sie bemüht sein, ungerechte Lastenverschiebungen zuungunsten künftiger Generationen zu vermeiden. Dies ist jedoch heute selten der Fall. Regierungen verhalten sich oftmals sehr kurzsichtig. Wachsende Schuldenberge, gesellschaftlich ungleich verteilte Teilhabechancen in Bereichen wie Bildung oder Gesundheit oder ein ineffizienter Umgang mit natürlichen Ressourcen haben negative Folgewirkungen für gegenwärtige und künftige Generationen und gefährden so die Zukunftsfähigkeit der OECD- und EU-Staaten. In vielen dieser Staaten ist zudem ein sinkendes Vertrauen in demokratische Institutionen und eine starke gesellschaftliche und politische Polarisierung zu beobachten.
Im SGI-Projekt haben wir ein Monitoring-Instrument entwickelt, das durch evidenzbasierte Analysen wichtiges Orientierungs- und Anwendungswissen für politische Entscheidende in den Regierungszentralen und demokratischen Institutionen der OECD- und EU-Staaten, aber auch für zivilgesellschaftliche Akteure, internationale Organisationen, die Wissenschaft und die interessierte Zivilbevölkerung zur Verfügung stellt.
Mit den SGIs vergleichen und bewerten wir umfassend die Fortschritte der Industriestaaten bei der Umsetzung von wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit in insgesamt 20 Schlüsselfeldern anhand von Politikergebnissen. Gemeinsam mit einer vergleichenden Bewertung der Effektivität der regierungsinternen Organisation von Prozessen und Strukturen, die das vorausschauende Regieren erleichtern, wird eine Bewertung der Nachhaltigkeit von politischer Steuerung möglich. Die zusätzliche Bewertung der Qualität demokratischer Kontrollmechanismen ermöglicht Rückschlüsse auf die Nachhaltigkeit der gesamten Governance-Architektur.
Durch den Stärken- und Schwächenvergleich können (internationale) Lernprozesse angestoßen und Entscheidungsträger für notwendige Reformen sensibilisiert werden. Für uns bedeutet nachhaltige Governance, so zu regieren, dass das menschliche Wohlergehen innerhalb der planetarischen Grenzen gesichert bleibt, und dabei gleichzeitig resiliente und gesellschaftlich eingehegte demokratische Institutionen geschaffen werden. Dem liegt die Überzeugung zugrunde, dass es prinzipiell möglich ist, eine Gesellschaftsordnung zu etablieren, die für diese und kommende Generation tragfähig ist.
Nachhaltiges Regieren messen
Um gute Beispiele nachhaltigen Regierens zu identifizieren, basiert das Instrument auf drei Säulen: dem Sustainable Policymaking Index, dem Governing with Foresight Index und dem Democratic Government Index. Die Grundlage für den Ländervergleich bilden 144 Indikatoren sowie umfassende Ländergutachen. Die Leistungsperformanz eines jeden Landes wird in einem aufwändigen mehrstufigen Review-verfahren durch ein internationales Expertennetzwerk ermittelt. Mehr als 100 Wirtschafts-, Umwelt-, Politik- und Sozialwissenschaftler sind an jeder Erhebungsrunde beteiligt und bringen ihre internationale, ländervergleichende, methodische, regional- und länderspezifische sowie fachlich-sektorale Expertise in den Erhebungsprozess ein.
Alle Daten, Rankings und die detaillierten Länderberichte sind auf der interaktiven Projektwebseite www.sgi-network.org frei zugänglich.