Aus der Vogelperspektive sieht man Menschen über einen Zebrastreifen gehen

Corona hat für einen Einschnitt in der Zuwanderung von Fachkräften gesorgt

Die Erwerbs- und Fachkräftezuwanderung nach Deutschland, insbesondere aus Drittstaaten, war im Jahr 2020 maßgeblich durch die Pandemie beeinträchtigt. Zugleich zeigen erste Tendenzen, dass Hürden für die Einwanderung langsam abgebaut werden. Um das Potenzial ausländischer Fachkräfte und Auszubildender für die deutsche Wirtschaft zu heben, müssen rechtliche und politische Instrumente noch besser genutzt werden. Der neue Fachkräftemigrationsmonitor fasst die Trends zusammen.

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Dr. Susanne U. Schultz
Senior Expert

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Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Mobilitäts- und Reisebeschränkungen haben für einen spürbaren Rückgang der Fachkräftezuwanderung nach Deutschland gesorgt. So ging die Gesamtzuwanderung in die Bundesrepublik mit 867.211 Personen um 23,1 Prozent deutlich gegenüber dem Vorjahr zurück, auch wenn sie bereits in den Jahren zuvor leicht rückläufig war. Den größten Anteil davon machen EU-Staatsbürger:innen aus, die mit 58 Prozent die Zuwanderung von Personen aus Nicht-EU-Ländern deutlicher als zuvor übersteigen. Die Erwerbs- und Fachkräftezuwanderung von Nicht-EU-Bürger:innen sank mit 3,4 Prozent auf den niedrigsten Stand seit 2015.

Das sind zentrale Ergebnisse des neuen Fachkräftemigrationsmonitors der Bertelsmann Stiftung. Die für den Monitor verwendeten Zahlen zur Zu- und Abwanderung stammen aus dem Jahr 2020 und sind die aktuellsten umfassend verfügbaren und aufgeschlüsselten Daten zu dieser Thematik.

„Die Politik hat die rechtlichen Rahmenbedingungen für mehr Zuwanderung von Fachkräften verbessert. Allerdings hat es die Corona-Krise sehr erschwert, die zusätzlichen Möglichkeiten auch zu nutzen“, beschreibt unsere Migrationsexpertin Susanne Schultz. „Mit dem Wegfallen der meisten Reisebeschränkungen ist davon auszugehen, dass die Zuwanderung von Fachkräften wieder steigen wird. Tatsächlich ist die Wirkung aber erst mit dem weiteren Abflauen der Pandemie realistisch einzuschätzen.“

Die absolute Zahl der zugewanderten Fachkräfte aus dem außereuropäischen Ausland hat sich mit 16.597 pandemiebedingt mehr als halbiert (2019: 39.394) und bildet damit weiterhin nur einen sehr geringen Anteil des Erwerbspersonenpotenzials in Deutschland (etwa 0,1 Prozent). Die weitere Erwerbszuwanderung ging im Verhältnis etwas weniger, aber immer noch deutlich auf 13.150 Personen zurück (2019: 24.825). Die Blaue Karte EU für Migrant:innen mit einem Hochschulabschluss wurde von 44 Prozent aller zugewanderten Fachkräfte genutzt (2019: 34 Prozent). Danach folgte mit insgesamt 37 Prozent die Zuwanderung durch Fachkräfte mit Berufsausbildung, akademischem Abschluss oder mit Aufenthaltserlaubnis zur qualifizierten Beschäftigung. Diese Zahlen sprechen für einen Erfolgsverlauf der Blauen Karte EU seit deren Einführung 2013.

Die Bedeutung der Aufenthaltstitel zur Erwerbstätigkeit für Fachkräfte zeigt sich außerdem an der Anzahl der Statuswechsler:innen, die insgesamt relativ hoch blieb und in einzelnen Bereichen sogar anstieg. Dies sind Personen, die meist bereits in Deutschland sind. So gelang es weiterhin, Studierende als arbeitende Fachkräfte im Land zu halten. Gleiches gilt für Personen, die eine schulische oder betriebliche Ausbildungsmaßnahme absolvierten. Damit war die Zahl der Statuswechsel in den vergangenen Jahren stets ansteigend und blieb auch im ersten Pandemiejahr hoch.

Wachsender Fachkräftemangel

Der Fachkräftemangel in Deutschland tritt dabei immer deutlicher zutage. Im Rahmen einer Civey-Umfrage im Auftrag der Bertelsmann Stiftung berichteten in der zweiten Jahreshälfte 2021 rund 66 Prozent der befragten Unternehmen von Fachkräfteengpässen. Die Rekrutierung ausländischer Fachkräfte spielt dabei allerdings weiterhin nur eine untergeordnete Rolle. „Migrant:innen und Geflüchtete sind bereits seit Jahren ein wachsender Bestandteil unseres Arbeitsmarktes und unverzichtbar für das Funktionieren der deutschen Wirtschaft. Nur wenn es gelingt, mehr Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen, hat die Linderung des Fachkräftemangels Aussicht auf Erfolg“, betont Susanne Schultz.

Rechtliche Möglichkeiten und Unterstützung ausbauen, Potenziale nutzen

Die prognostizierten Bedarfe sowie Potenziale an Fachkräften sollten umfassend und nachhaltig angegangen werden. Laut Fachkräftemigrationsmonitor empfiehlt es sich, die Anstrengungen auf den Ausbau und die Förderung des inländischen Fachkräftepotenzials sowie auf die Stärkung von Zuwanderung und fairer Erwerbs- und Ausbildungsmigration, insbesondere aus Drittstaaten, zu konzentrieren.

Es braucht eine breite und nachhaltige Unterstützung sowohl für Arbeitgeber:innen als auch für Zuwandernde in den Bereichen Bürokratie, Orientierung und der beschleunigten Anerkennung von Qualifikationen. Zudem ist es von Vorteil, die Berufsausbildung bereits in den Herkunftsländern besser zu fördern. Das gilt auch für solche Staaten und Regionen, mit denen bisher weniger Kooperationserfahrung besteht. Ausbildungspartnerschaften sind hier ein wichtiger Ansatzpunkt.

Auch beim Thema Nachzug von Ehepartner:innen zeigen sich klare Unterstützungsbedarfe. Diese beziehen sich insbesondere auf die Anerkennung von Qualifikationen, auf Kinderbetreuung und die soziale Integration sowie zugleich auf weitreichende Möglichkeiten für eine Teilhabe an Gesellschaft und Arbeitsmarkt.

Die rechtlichen Möglichkeiten des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, das nahezu zeitgleich mit der Pandemie in Kraft trat, bieten mit Erweiterungen und Verbesserungen der Erwerbs- und Fachkräftemigration nach Deutschland eine wichtige Grundlage. „Allerdings bleibt zu sehen, inwieweit dies ausreicht“, sagt Susanne Schultz. „Die rechtlichen Möglichkeiten sollten stärker genutzt und nach Bedarf erweitert werden.“ Die neue Bundesregierung plant zum Beispiel mit einem Chancenaufenthaltsrecht und der Vergabe und Entfristung von Aufenthaltstiteln für Migrant:innen und Geflüchtete in Ausbildung und Beschäftigung wichtige Reformen.

Durch den Krieg in der Ukraine erleben wir die größte Fluchtbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Die historisch erste Aktivierung der EU-Massenzustrom-Richtlinie 2001/55/EG ermöglicht es ukrainischen Geflüchteten, unkompliziert eine temporäre Aufenthaltserlaubnis und damit Zugang zu Ausbildung und Arbeitsmarkt in der EU zu erhalten. Wie sich die Situation mittelfristig gestalten wird, ist völlig unklar. Auch wenn die geflüchteten Menschen möglicherweise nur vorübergehend bleiben, sollte ihre Integration ins Schulsystem und in den Arbeitsmarkt rasch und systematisch durch Sprachförderung, Anerkennung beruflicher Abschlüsse, Betreuungs-, und (Weiter-)Bildungsangebote sowie eine schnelle Arbeitsvermittlung erleichtert werden.

Studie