„Von den östlichen Nachbarländern könnten wir viel lernen“, so Professor Thränhardt in seiner Präsentation der neuen Studie „Chancen besser nutzen. Arbeitsintegration von Schutzsuchenden aus der Ukraine“, die kürzlich von der Bertelsmann Stiftung veröffentlicht worden ist. Denn im europäischen Vergleich liegt Deutschland vor allem hinter den osteuropäischen Nachbarländern zurück. Während in Deutschland inzwischen 30% der Schutzsuchenden aus der Ukraine in Arbeit integriert sind, so ist in manchen Nachbarländern der Anteil der Erwerbstätigen unter den ukrainischen Schutzsuchenden teilweise etwa doppelt so hoch. In der Tschechischen Republik und in Polen sind dies jeweils 62%, in Estland 59%. In Polen haben bereits nach 9 Monaten ca. 60% der Schutzsuchenden aus der Ukraine Arbeit gefunden. Warum die Arbeitsintegration in Deutschland so lange dauert, hat mehrere Gründe, analysiert Autor Thränhardt: Bisher galt erstens der Ansatz, dass gute Deutschkenntnisse Voraussetzung für einen Arbeitseinstieg sind. Dieser „language first“-Ansatz wurde durch den „Job-Turbo“ inzwischen abgemildert, da die deutsche Sprache nun auch berufsbegleitend erlernt bzw. vertieft werden kann. Zweitens dauern die Anerkennungsverfahren sehr lange. Drittens führt Prof Thränhardt eine Reihe von administrativen Hürden auf, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erschweren oder gar verschließen. Ein Beispiel, das er aufführt, ist der Beruf des Buskraftfahrers, der erst nach 22 Monaten in Deutschland für Ukrainer:innen mit fertiger Berufsausbildung geöffnet wurde. Neben dem notwendigen Abbau dieser Hürden sowie einem Ausbau digitaler Möglichkeiten setzt der Autor auf das Angebot von Qualifizierungsmaßnahmen, z.B. „Bridging measures“. Zudem empfiehlt er die Antizipierung und Umsetzung europaweiter Regelungen in Bezug auf die Ukraine auf dem Weg zum EU-Mitgliedsstaat. Positiv würdigte Thränhardt den Freistaat Sachsen, der ukrainische Lehrkräfte rasch angeworben, eingesetzt und sprachlich qualifiziert hat. (zur Präsentation)
Chancen besser nutzen!
Die Hoffnung auf eine zügige berufliche Integration der Schutzsuchenden aus der Ukraine, die überwiegend gut ausgebildet und hochqualifiziert sind, wurde enttäuscht. Berufliche Qualifikationen werden nur sehr schleppend anerkannt, die Anerkennungsverfahren sind nicht auf die plötzliche Ankunft so vieler hochqualifizierter Menschen ausgelegt. Unzureichende Kinderbetreuungsangebote sowie fehlende flexible Sprachkursangebote erschweren Müttern den Spracherwerb und den Einstieg ins Berufsleben. Die Konsequenz ist Arbeitslosigkeit oder unqualifizierte Tätigkeit in Helferjobs. Das führt zu Frustrationen auf beiden Seiten. Doch eine bessere Arbeitsintegration von Schutzsuchenden aus der Ukraine ist möglich und machbar. Das ist die Quintessenz der neuen Studie von Prof. Dr. Dietrich Thränhardt im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, die wir in unserem Willkommen: Online Austausch – Arbeitsintegration von Schutzsuchenden aus der Ukraine vorgestellt haben.
Inhalt
Im anschließenden Austausch kam die Frage auf, ob in den Nachbarländern denn im Vergleich zu Deutschland mehr ukrainische Schutzsuchende unterhalb ihrer Qualifikation beschäftigt seien. Doch auch in Deutschland sind viele Ukrainer:innen unterhalb ihrer Qualifikation beschäftigt, während in Polen der Zugang zum in der Ukraine erlernten Beruf vielfach offener gestaltet wurde. Deutlich wurde auch die Erwartung, dass eine schnellere Arbeitsintegration zu einer Verbesserung der Akzeptanz der Fluchtmigration durch die Bevölkerung führen kann. Höhere Arbeitsbeteiligung führt schließlich auch zu mehr Steuereinnahmen und weniger Sozialausgaben.
Der nächste Online-Austausch von Bertelsmann Stiftung und Welcome Alliance (welcome-alliance.org) findet am Mittwoch, 29. Januar 2025 statt. Das Format wird auch künftig einmal pro Monat, mittwochs in der Mittagszeit, in der Regel von 12:30 Uhr bis 13:30 Uhr, angeboten.