Kinder sind häufiger als Erwachsene von Armut betroffen – und das oft dauerhaft. Armut hat Folgen für die Entwicklungs- und Bildungschancen von Kindern. Frühkindliche Bildungsangebote könnten hier präventiv wirken. Unsere aktuelle Kurzanalyse zeigt allerdings:
Die Chancen auf einen Kitaplatz sind regional extrem unterschiedlich verteilt. Insbesondere im Nordwesten Deutschlands trifft ein verhältnismäßig geringes Angebot an U3-Betreuung auf eine relativ große Kinderarmut. Das frühkindliche Bildungssystem ist in dieser Region kaum in der Lage, sein Potential zur Förderung der von Armut betroffenen Kinder und zum Abbau von Bildungsungleichheiten auszuschöpfen.
Kitaplätze sind vielerorts ein rares Gut. Dies gilt insbesondere für die westdeutschen Flächenstaaten und dabei vor allem für die Betreuung von unter Dreijährigen. Im Mittel liegt die U3-Betreuungsquote hier bei rund 30 Prozent, während sie in den ostdeutschen Bundesländern bei etwa 52 Prozent liegt. Spätestens seit der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige im Jahr 2013 werden die entsprechenden Angebote aber fast überall zunehmend ausgebaut: Bundesweit hat sich von 2012 bis 2020 die U3-Betreuungsquote um etwa sieben Prozent erhöht. Der Ausbau ist lokal sehr unterschiedlich dynamisch. Während in einigen Kreisen und kreisfreien Städten die Betreuungsquoten um mehr als 20 Prozent stiegen, wurden in anderen Orten sogar Plätze abgebaut (Abbildung 5). In Westdeutschland, wo rund die Hälfte der Mütter und Väter sich einen Betreuungsplatz wünschen, deckt das Angebot fast nirgends den Bedarf der Eltern. Es bleiben also jedes Jahr Kinder ohne einen Betreuungsplatz zurück. Um die (zu wenigen) vorhandenen Plätze müssen Eltern bzw. Kinder vor Ort miteinander konkurrieren.
Wenn Betreuungsplätze für unter Dreijährige ein solch knappes Gut sind – welche Chance auf einen Kitaplatz haben dann eigentlich Kinder, die in Armut aufwachsen?
Kinder sind häufiger als Erwachsene von Armut betroffen – und das oft dauerhaft (Abbildung 7). Kinderarmut ist in Deutschland seit Jahren relativ weit verbreitet, allerdings regional stark unterschiedlich ausgeprägt. Während in Bayern und Baden-Württemberg nur sehr wenige Kinder in Armut aufwachsen, sind es in Teilen des Ruhrgebiets oft mehr als ein Drittel. Noch drastischer stellen sich die Unterschiede auf Ebene der Kommunen dar: Während beispielsweise in Pfaffenhofen an der Ilm nur 2,2 Prozent der Kinder in Armut aufwachsen, betrifft dies in Gelsenkirchen mehr als 40 Prozent der Kinder (Abbildung 9).
Das Armutsrisiko von Kindern variiert regional also dramatisch, ebenso wie ihre Chance auf frühkindliche Bildung und Betreuung. Ist es also tatsächlich so, dass arme Kinder weniger Chancen haben, einen Betreuungsplatz zu erhalten? Das Aufwachsen in Armut benachteiligt arme Kinder ohnehin – ohne Zugang zu frühkindlicher Bildung und Betreuung wären sie doppelt benachteiligt.
Gemeinsam mit dem ZEFIR/Ruhr-Universität Bochum haben wir diese Parameter im Zusammenspiel auf regionaler Ebene analysiert. Die Analyse zeigt:
Insbesondere im Nordwesten von Deutschland (mit den Bundesländern Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Hessen) trifft ein verhältnismäßig geringes Angebot an U3-Betreuung auf relativ große Kinderarmut (Abbildung 12). Zudem zeigt sich auch innerhalb dieser Region ein Gefälle: Gerade dort, wo die Kinderarmut groß ist, sind die Betreuungsquoten im U3-Bereich eher niedrig. Kinder aus armen Familien werden also doppelt benachteiligt: Zum einen wachsen sie schon unter benachteiligenden Bedingungen auf; zum anderen können sie nicht von früher Bildung und Förderung profitieren.
Welche Lösungsansätze gibt es?
Solange es insgesamt keine ausreichende Versorgung in der U3-Betreuung gibt, werden die Eltern gegeneinander ausgespielt – sie konkurrieren um die knappen Plätze. Die von Armut betroffenen Familien sind dabei strukturell im Nachteil. Doch gerade ihre Kinder benötigen frühkindliche Bildungs- und Betreuungsangebote: zum einen, um die Voraussetzung zu schaffen, dass die Eltern wieder Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen, und zum anderen, um die Kinder frühzeitig und optimal zu fördern – denn diese profitieren besonders von einem frühen Kitabesuch.
Bund, Länder und Kommune bekunden regelmäßig, dass sie mehr Kitaplätze schaffen wollen. Es wäre dringend erforderlich, dass diese Plätze gezielt dort entstehen, wo die Kinderarmut besonders groß ist und wo Kinder von einer solchen Förderung besonders profitieren würden. Sonst werden diese Mädchen und Jungen schon vor Schulbeginn systematisch abgehängt.
Auf lokaler Ebene können Kommunen und Kitaträger darüber hinaus gezielt versuchen, benachteiligten Kindern den Zugang zu frühkindlicher Bildung und Betreuung zu erleichtern. Beispielsweise können sie deren Eltern ansprechen und auf die Möglichkeiten und Vorteile der frühkindlichen Bildung aufmerksam machen. Kommunen und Träger befinden sich dabei allerdings in einem Dilemma: Sie müssten für ein Angebot werben, von dem sie wissen, dass es nicht für alle reicht. Eine Möglichkeit, zumindest die vorhandenen Plätze vor Ort sozial chancengerechter zu vergeben, bietet die Vergabe mithilfe eines Algorithmus. Dies wird zum Beispiel im Kreis Steinfurt erprobt.
Um den negativen Folgen vorzubeugen, die das Aufwachsen in Armut für die Teilhabechancen von Kindern mit sich bringt, ist ein chancengerechter Zugang zu einer guten frühkindlichen Bildung und Betreuung essenziell. Dafür müssen Bund, Länder und Kommunen Sorge tragen.
Methodik
Die verwendete Datengrundlage besteht ausschließlich aus Daten der amtlichen Statistik. Es wurden Daten aus drei unterschiedlichen Quellen verwendet: die Fortschreibung des Bevölkerungsstandes auf Basis des Zensus, die Daten zu Kindern in SGB-II-Bedarfsgemeinschaften der Bundesagentur für Arbeit und die Daten zu den in öffentlich geförderten Kindertageseinrichtungen/Kindertagespflege betreuten Kindern auf Basis der Kinder- und Jugendhilfestatistik. Der betrachtete Zeitraum erstreckt sich von 2012 bis 2020.