Ein Diplom im Selbststudium – ein Meister durch Berufspraxis?
Die Anerkennung informellen Lernens, also all derjenigen Kompetenzen, die man im Ehrenamt, in der Freizeit oder durch Berufserfahrung erworben hat, ist in Deutschland noch ein Entwicklungsfeld, wie unsere europäische Vergleichsstudie im Jahr 2015 gezeigt hat. Hier können wir und andere noch viel von Vorreiterländern lernen. Zum Beispiel von Frankreich, in dem jeder formale Bildungsabschluss, vom Gesellenbrief bis zur Doktorwürde, bei entsprechender Eignung direkt über ein Anerkennungsverfahren erworben werden kann.
Den Handlungsbedarf hierzulande zeigte unser Vorstand Jörg Dräger in seiner Eröffnungsrede der 3. Internationalen Biennale zur Anerkennung von Kompetenzen, die am 7./8. Mai unter dem Motto „Erfolgreiche Politikgestaltung – Anerkennung von Kompetenzen für Bildung und Arbeitsmarkt“ in Berlin stattfand. Dräger beleuchtete dabei unter anderem die Situation der 4,6 Millionen geringqualifizierten Erwerbspersonen in Deutschland. So arbeiten hierzulande 70 Prozent der Beschäftigten ohne Ausbildungs- oder Hochschulabschluss informell als Fachkräfte, bekommen aber ohne die formale Anerkennung deutlich weniger Gehalt und können ihre Kompetenzen auch bei einem Arbeitgeberwechsel kaum nachweisen.
Anschließend beleuchteten Vertreter der UNESCO, der EU-Kommission und der Cedefop den Status quo in Europa und der Welt. Dabei warf der Experte der Cedefop einen ersten Blick auf den Fortschritt der Mitgliedsstaaten seit der wegbereitenden EU-Ratsempfehlung zur Anerkennung von Kompetenzen von 2012. Eine politische Einordnung und philosophische Betrachtung des Themas aus Sicht des Gastgeberlandes lieferte Prof. Dr. Alexander Lorz, Präsident der Kultusministerkonferenz.
Berliner Erklärung zur Anerkennung von Kompetenzen
Da Institutionen und Systeme selten 1:1 auf andere Länder übertragbar sind, waren die 24 Workshops der Konferenz genau wie die Berliner Erklärung in sechs Politikfelder aufgeteilt:
- Institutionelle Rahmenbedingungen
- Finanzierung
- Instrumente und Verfahren
- Beratungsstrukturen
- Wege nach der Kompetenzanerkennung
- Rechtliche Grundlagen
Den jeweils 1 - 2 Good-Practice Inputs von hochkarätigen Referenten folgten intensive Gruppendiskussionen und die gemeinsame Formulierung von Veränderungen oder Ergänzungen des Entwurfs der Berliner Erklärung. Diese wurden dann mit Hilfe des Onlinetools „mentimeter“ abgestimmt und an die nächste Workshoprunde weitergegeben. Parallel zu den sechs politischen Themen wurden in einem siebten Workshopstrang 20 aktuelle Ergebnisse aus Forschung und Projekten präsentiert, die sich zuvor im Rahmen eines „Call for Papers“ durchgesetzt hatten.
Das Ergebnis der Konferenz ist eine zweiseitige Erklärung, mit der sich die Teilnehmer*innen aus Politik, Verbänden, Wissenschaft und Praxis identifizierten: Aussagekräftige 91,9 % nahmen die Berliner Erklärung zur Anerkennung von Kompetenzen in der Abschlusssitzung als Plädoyer und Benchmark der Community of Practice gegenüber Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik weltweit an. Dass hiervon ein wertvoller Impuls für die Entwicklung vor allem der europäischen Anerkennungssysteme ausgeht, betonte am Ende auch Marianne Thyssen, EU-Kommissarin für Beschäftigung, soziale Angelegenheiten, Qualifikationen und Mobilität der Arbeitnehmer in ihrer Videobotschaft an die Teilnehmer*innen.