Factory executive talking to an apprentice employee. 
Checking on the Employees. Fabrikarbeiter spricht mit einer Kollegin.
Bestellt am 18.01.2018 für ST-LL in einer Standard-Lizenz plus Mehrplatzlizenz für die Broschüre Ungelernte Fachkräfte, Formale Unterqualifikation.
Getty Images/iStockphoto/SolStock

Pressemeldung, , : Jeder zweite Arbeitnehmer ohne formale Ausbildung arbeitet als Fachkraft

Fachkräfte werden händeringend gesucht. Dabei werden heute schon viele Fachkraftstellen von Menschen ohne formale Qualifikation erfolgreich ausgefüllt. Diese ungelernten Fachkräfte verdienen allerdings deutlich weniger als ihre qualifizierten Kollegen. Außerdem befürchten sie Nachteile beim Jobwechsel, weil sie ihre Fähigkeiten nur schwer nachweisen können. Mit einer neuen Anerkennungskultur wäre ihnen geholfen und der Fachkräftemangel gelindert.

Für den Geldbeutel der betroffenen Arbeitnehmer hat dies unmittelbare Konsequenzen: Wer ohne formale Qualifikation eine höherwertige Tätigkeit ausübt, erhält zwar häufig einen höheren Lohn als Gleichqualifizierte. Im Vergleich zu ihren formal adäquat qualifizierten Kollegen haben sie allerdings einen Lohnabschlag von 7 bis 11 Prozent. So verdient eine ungelernte Fachkraft zum Beispiel durchschnittlich 9 Prozent weniger als ihre Kollegen mit Ausbildungsabschluss. Für Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, ist deshalb klar: "Das Know-how und Fachwissen von ungelernten Fachkräften wird nur unzureichend anerkannt."

Mehrheit der Ausbildungslosen arbeitet als Fachkraft

Schon heute arbeitet jeder zweite Arbeitnehmer ohne Ausbildungsabschluss auf einer Stelle, für die normalerweise eine Ausbildung erforderlich ist. In den ausbildungsstarken Branchen Handwerk und Handel wird schon jede zehnte Fachkraftstelle von einer Person ohne Ausbildung ausgeübt. Diese ungelernten Fachkräfte kompensieren die fehlenden Formalia nicht selten durch langjährige Berufserfahrung, besondere Softskills und hohe Lernbereitschaft. Das zeigt sich auch daran, dass sie häufiger in interaktiven und analytischen Tätigkeiten arbeiten, in denen hohe Kommunikations- und Problemlösungsfähigkeiten gefragt sind. "Die Betriebe profitieren von den Fähigkeiten ungelernter Fachkräfte", so Dräger. Er fordert deshalb, den Betroffenen den Weg zu einem formalen Vollabschluss zu erleichtern.

Eine neue Anerkennungskultur ist notwendig

Der hohe Anteil von Arbeitnehmern, die über ihrer formalen Qualifikation beschäftigt sind, deckt sich mit der Einschätzung von Personalabteilungen und Vorgesetzen, dass die on-the-job erworben Fähigkeiten die wichtigste Kompetenzquelle im Betrieb sind. Für Studienabbrecher oder Ausbildungslose ist das zunächst eine positive Nachricht. "Praxiswissen ist für die persönliche Entwicklung im Unternehmen die wichtigste Währung, bei Bewerbungen wird aber trotzdem vor allem auf den Abschluss geschaut," analysiert Dräger die geringere Arbeitsplatzmobilität von ungelernten Fachkräften. So empfinden es laut der vorliegenden Untersuchung auch die Betroffenen. Sie sind pessimistischer als ihre qualifizierten Kollegen, eine zumindest gleichwertige Stelle bei einem neuen Arbeitgeber zu finden. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich Arbeitnehmer ohne formales Zertifikat im Vergleich zu ihren qualifizierten Kollegen beim Arbeitsplatzwechsel verschlechtern – wodurch wichtiges Humankapital volkswirtschaftlich ungenutzt bliebe. Für Dräger ist deshalb klar: "Wir brauchen eine neue Anerkennungskultur für Fähigkeiten, die on-the-job erworben wurden. Das ist gerecht und volkswirtschaftlich sinnvoll."

Unterqualifizierte können ihre informell erworbenen Kompetenzen nur dann zur Verbesserung ihrer Arbeitsmarktchancen nutzen, wenn sie auch formal anerkannt werden. Anerkennungs- und Qualifizierungsverfahren sollten deshalb an beruflichen Tätigkeitsfeldern (zum Beispiel Ausbildungsbausteine) ansetzen. Bereits bestehende Fähigkeiten können so leichter erfasst und ergänzt werden – möglichst mit dem Ziel eines Vollabschlusses. Gerade mit Blick auf erfahrene Arbeitnehmer macht Dräger deutlich: "Die Anerkennung der beruflichen Kompetenzen ist auch eine Anerkennung von Lebensleistung."

Zusatzinformationen

Die vorliegenden Ergebnisse wurden von Prof. Bauer und seinen Mitarbeitern des Lehrstuhles für Empirische Wirtschaftsforschung der Ruhr-Universität Bochum berechnet. Sie basieren auf repräsentativen Stichproben der deutschen Wohnbevölkerung. Zur Identifikation der formalen Unterqualifikation wurde der Bildungsstand von Befragten des Sozio-oekonomischen Panels mit den Anforderungsniveaus ihrer Berufe verglichen, die sich aus der Klassifikation der Berufe von 2010 (KldB 2010) ablesen lassen.