Eine gerechte Familienpolitik stellt sowohl Deutschland als auch Frankreich vor große Herausforderungen. Welche Ansätze beide Länder verfolgen und wie sie gemeinsam voneinander lernen können, war deshalb Thema unseres dritten Deutsch-Französischen Dialogs in der Französischen Botschaft in Berlin.
Zur Frage „Wie zukunftsfähig sind unsere Sozialstaaten?“ kamen am Mittwoch Experten aus Deutschland und Frankreich in der Französischen Botschaft zusammen, um vor einem breiten Publikum über Familienpolitik zu sprechen.
Jean-Claude Tribolet, Gesandter der Französischen Botschaft, begrüßte die Anwesenden mit einem Plädoyer: Der europäische Zusammenhalt müsse gestärkt werden, indem die Staaten ein besseres Verständnis für Unterschiede entwickeln und sich zugleich auf Gemeinsamkeiten stützen. Deutschland und Frankreich strebten nach einer modernen Familienpolitik und die Herausforderung bestehe darin, „neue Familienmodelle mit dem Arbeitsmarkt in Einklang zu bringen“, so Tribolet. Er betonte, Ziel müsse es sein, Kindern ein Heranwachsen in finanzieller Sicherheit und mit gleichen Chancen zu ermöglichen. Gleichzeitig sei Familienpolitik aber auch komplex, weil sie viele Themengebiete anspreche.
Familienpolitik im Wandel
Als nächstes berichtete Moderator Joachim Fritz-Vannahme, Direktor des Programms Europas Zukunft der Bertelsmann Stiftung, von seinen eigenen Erfahrungen mit dem französischen Betreuungssystem. Seine Kinder durchliefen selbst ab einem frühen Alter die französische Vorschule, die sogenannte école maternelle. Was in Frankreich bereits in den 1980er Jahren Standard gewesen sei, habe in Deutschland bisweilen für Kopfschütteln gesorgt – Tenor: das sei ja immerhin “fast Kommunismus“. In diesem Moment sei ihm bewusst geworden, wie politisch aufgeladen dieses Thema sei, so Fritz-Vannahme.
In ihren anschließenden Impulsreden skizzierten die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfamilienministerium Caren Marks und die französische Beraterin für sozialen Schutz Nathalie Destais deutsche und französische Etappen, gesellschaftliche Veränderungen sowie Herausforderungen und Ziele einer modernen Familienpolitik. Caren Marks bezeichnete Zeit und Zeithoheit als wichtiges Gut für junge Eltern und als „Elemente neuer Lebensqualität“. Mit Elterngeld, ElterngeldPlus, dem Partnerschaftsbonus sowie dem stetigen Ausbau des Betreuungsangebotes in den letzten zehn Jahren habe die Bundesregierung bereits viel erreicht.
Vereinbarkeit von Beruf und Familie als zentrales Ziel
Die Hauptziele der französischen Familienpolitik liegen laut Nathalie Destais in der Steigerung der Geburtenrate, dem Kampf gegen Familienarmut und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Gerade der letzte Punkt sei für die meisten Franzosen der wichtigste. Ein dezentrales System, in dem die Kommunen viel Verantwortung beim Umsetzen dieser Ziele übernehmen, sei eine wichtige Stütze der französischen Familienpolitik.
Auch in Deutschland sei für Frauen wie für Männer die Vereinbarkeit der Arbeit mit der Familie seit Jahren das wichtigste Argument, so Petra Mackroth, familienpolitische Leiterin im Bundesfamilienministerium. Daneben zählte sie Zeitpolitik, finanzielle Unterstützung und eine hinreichende Infrastruktur zu den wesentlichen Erwartungen, die junge Mütter und Väter an Familienpolitik stellen.
„Familienfreundlichkeit mit Gleichstellung und Chancengleichheit koppeln“
Daniel Lenoir, Leiter der französischen Nationalkasse für Familienleistungen, ergänzte, dass die Nachfrage für Familienleistungen in Frankreich insgesamt zugenommen habe und dass insbesondere Alleinerziehende mehr und mehr auf finanzielle Unterstützung angewiesen seien.
Im weiteren Verlauf der Podiumsdiskussion ging es auch darum, dass in der Vergangenheit Kriege oder große gesellschaftliche Einschnitte Einfluss auf die Familienpolitik genommen haben, wohingegen es heute „Perioden des Wandels“ seien, wie Nathalie Destais es nannte. Dabei stünden allmähliche Anpassungen im Vordergrund, wie etwa die Aufteilung der Elternzeit auf beide Elternteile in Frankreich oder die befristete, aber dafür bezahlte Elternzeit in Deutschland. Der Wunsch, „Familienfreundlichkeit mit Gleichstellung und Chancengleichheit“ zu koppeln, habe Familienpolitik laut Petra Mackroth dahingehend verändert, dass Familienleistungen sich mittlerweile an Mütter und Väter richten.
Unternehmen sollen noch mehr Verantwortung übernehmen
Die Wichtigkeit von Zeitmanagement wurde von allen Experten wiederholt aufgegriffen, ob für Arbeit, Familie, Weiterbildungen oder öffentliches Engagement. Hier nahm Petra Mackroth auch ganz explizit die Unternehmen in die Pflicht, da diese sich sehr dankbar für das Elterngeld zeigten, aber ihrer Meinung nach mehr Familienfreundlichkeit durch flexible Modelle wie befristete Teilzeit oder Home Office zeigen müssten. Die Möglichkeiten der Digitalisierung dürften dabei nicht außer Acht gelassen werden, so Mackroth und Daniel Lenoir unisono. Arbeitszeitkonten in Deutschland und das in Frankreich eingeführte persönliche Erwerbstätigenkonto (Compte personnel d’activité) seien dabei der erste Schritt.
Die Publikumsfragen am Ende des Dialogs offenbarten noch einmal, dass an die Familienpolitik in Deutschland und Frankreich vielfältige Anforderungen gestellt werden. Daher sei das Ziel, familienpolitische Leistungen individueller auf die Betroffenen zuzuschneiden, so Daniel Lenoir. Auch Caren Marks hatte in ihrer Impulsrede bereits von passgenauen Familienleistungen gesprochen, damit die Unterstützung bei den Familien ankomme, die sie am meisten benötigten. Petra Mackroth fügte an, dass Armut jedoch über Sozialleistungen allein nicht bekämpft werden könne und dass eine gute Infrastruktur (etwa über das Betreuungsangebot) umso wichtiger sei.
Zur Dialogreihe
Die deutsch-französische Dialogreihe „Wie zukunftsfähig sind unsere Sozialstaaten?“ ist eine Kooperation der Französischen Botschaft und der Bertelsmann Stiftung. Ziel der Dialoge ist ein besseres gegenseitiges Verständnis und der Austausch über die Zukunftsfähigkeit beider Sozialsysteme in einer globalisierten Welt. Die vorangegangenen Dialoge beschäftigten sich mit den Themen „Armut und soziale Ungleichheit“ sowie „Migration und Integration“.
Die vierte und letzte Veranstaltung wird „Arbeit 4.0“ im Rahmen der Digitalisierung zum Thema haben und findet am 21. Februar 2017 statt. Zu den Podiumsteilnehmern gehören unter anderem Deutschlands und Frankreichs Arbeitsministerinnen Andrea Nahles und Myriam El Khomri.
Das Hintergrundpapier zu dieser Veranstaltung steht Ihnen in der rechten Spalte zur Verfügung (in Deutsch und Französisch). Die filmische Dokumentation zur Veranstaltung finden Sie unterhalb der Fotogalerie.
Downloads
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- Programm der Veranstaltung "Familienpolitik: Deutsche und Französische Herforderungen" am 25.01.2017
- Hintergrundpapier "Familienpolitik: Deutsche und Französische Herausforderungen" (deutsche Fassung)
- Hintergrundpapier "Familienpolitik: Deutsche und Französische Herausforderungen" (französische Fassung)
- Statistiken "Familienpolitik: Deutsche und Französische Herausforderungen"