Europa – das ist für viele Menschen nach wie vor der Inbegriff für ein sicheres und besseres Leben. In der Heimat verfolgt oder ohne Jobperspektive nehmen jährlich Hunderttausende einen langen, oft brandgefährlichen Weg auf sich, um zwischen Athen und Stockholm ihr Glück zu versuchen. Nachdem die Balkanroute geschlossen wurde, betreten die meisten Flüchtlinge nun in Italien wieder zum ersten Mal europäischen Boden. 12.000 Menschen wurden allein in den letzten Tagen im Mittelmeer gerettet und nach Sizilien gebracht.
Die Republik Italien ist ein traditionelles Ein- und Auswandererland: Siedelten im 19. und 20. Jahrhundert noch Hunderttausende Italiener nach Nord- und Südamerika über, so prägten viele von ihnen nach 1945 die Gesellschaften Westeuropas als sogenannte „Gastarbeiter“ mit – nicht zuletzt in Deutschland. In Italien wiederum haben aktuell von rund 61 Millionen Einheimischen um die 5,5 Millionen einen Migrationshintergrund. Bis in die 1990er Jahre verdienten vor allem Saisonarbeiter aus Tunesien und Marokko im südeuropäischen Staat ihr Geld. Heute stammen die Einwanderer aus Rumänien, Albanien und afrikanischen Staaten und arbeiten oft illegal in der Landwirtschaft oder auf dem Bau. Seit 2014 kommt ein neues Phänomen hinzu: Flüchtlinge.
Gewaltsame Konflikte und die schlechte wirtschaftliche und politische Lage in vielen Staaten Afrikas haben dazu geführt, dass jährlich über 100.000 Menschen nach Italien flüchten. 2015 nahm das europäische Land rund 154.000 Neuankömmlinge auf. 2016 waren es bislang schon 132.000. Je nach Wetterlage kommen an einem Wochenende bis zu 10.000 Menschen. Die meisten stammen aus west- und ostafrikanischen Staaten wie Nigeria, Eritrea, Sudan, Gambia oder der Elfenbeinküste. Viele von ihnen sind minderjährig und reisen ohne Eltern. Startpunkt der gefährlichen Reise ist oft die libysche Küste. Von dort senden Schleuser die Menschen mit alten, kaum fahrtüchtigen Booten hinaus aufs Mittelmeer. Immer wieder endet die Fahrt tödlich: Allein 2016 wurden vor der italienischen Küste 3.000 Tote und Vermisste gezählt.
Doch auch wer es bis aufs Festland schafft, ist meist schnell in einem Strudel aus Nichtstun und Perspektivlosigkeit gefangen. Zwar hat Italien die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert und als eines von wenigen europäischen Ländern das Recht auf Asyl in der Verfassung verankert. Eine umfassende Einwanderungspolitik existiert bislang aber nur in Ansätzen und die aktuellen Verwaltungsbeamten sind oft unzureichend auf die Neuankömmlinge vorbereitet. Die Folgen: In den vier zentralen Flüchtlingslagern und den weiteren Aufnahmezentren herrschen immer wieder schlechte hygienische Zustände. Privatsphäre: Fehlanzeige. In den Behörden wiederum stapeln sich die Asylanträge. Derzeit werden monatlich zwischen 7.000 bis 11.000 Anträge gestellt. Oft dauert es ein Jahr oder länger bis sie bearbeitet werden. Die Flüchtlinge sind dann zum Nichtstun verdammt. Viele verlassen daher die Lager, arbeiten illegal und kommen kaum über die Runden.
In Italien treffen die Flüchtlinge außerdem auf eine verunsicherte und zweifelnde Gesellschaft. Die Wirtschaft stagniert, Banken kriseln, Korruption ist nach wie vor ein großes Problem und viele junge Italiener blicken sorgenvoll in die Zukunft. Aktuell hat der südeuropäische Staat mit 39 Prozent die dritthöchste Jugendarbeitslosenquote in Europa. Nicht wenige Italiener empfinden die Flüchtlinge als Konkurrent um Arbeit und Wohnungen und gerade das strukturschwache Sizilien und Süditalien, wo die meisten Menschen ankommen, sind der Mehrbelastung aktuell nicht gewachsen.
Allerdings gibt es auch erste Fortschritte: Mittlerweile werden in Italien die meisten Flüchtlinge registriert und anerkannte Asylbewerber dürfen legal arbeiten. Zudem beschloss die deutsche Regierung diese Woche, künftig jeden Monat rund 500 Flüchtlinge aus Italien in die Bundesrepublik umzusiedeln.
Was muss die italienische Regierung unter Ministerpräsident Matteo Renzi tun, um die Flüchtlinge schneller und besser zu integrieren? Wo muss Europa Italien mehr unterstützen und wie kann gemeinsam gegen das verbrecherische Schlepperwesen an der nordafrikanischen Küste vorgegangen werden? Antworten gibt's in unserer neuen Analyse.