Zwei Wähler betreten ein Wahllokal.

Europawahl 2014 – Warum Wählen wichtig ist

Auch wenn Wissenschaftler sie "Wahlen zweiten Ranges" nennen: Es gibt gute Gründe, am Sonntag an der Europawahl teilzunehmen. Andrej Stuchlik, Project Manager im Brüsseler Büro der Bertelsmann Stiftung, mit einem Wahlappell.

Am Donnerstag ging sie los, die Europawahl 2014 – ausgerechnet in Großbritannien, möchte man ausrufen. Doch nicht nur dort ist das Vertrauen in die Europäische Union seit den letzten Wahlen zum Europäischen Parlament 2009 stark gesunken. Aufgrund der Krise und der Sorge um mögliche Erfolge der Populisten blicken alle gespannt auf das Wahlergebnis. Alle? Nicht wirklich, denn wenige Wahlen werden für gewöhnlich als langweiliger empfunden als diese.

Unverständlich und dem Wähler zuhause nicht vermittelbar, so der Tenor. Auf jeden Fall ein Ereignis, das Wissenschaftler beschwichtigend als "second-order elections" – als "Wahlen zweiten Ranges" – bezeichnen, um die geringe Wahlbeteiligung zu erklären. Und diese ist nicht nur im Vergleich zu nationalen Wahlen gering (im EU-Schnitt betrug sie vor fünf Jahren 43 Prozent), sondern nahm in der Vergangenheit ab und lag speziell in Osteuropa teilweise bei kärglichen 20 Prozent.  

Der Deutsche Bundestag nennt fünf gute Gründe, ihn zu wählen: Er ist das einzig direkt gewählte Verfassungsorgan und somit "Stimme der Bürger". Er ist der zentrale Ort für "politischen Ideenwettbewerb". Er "erlässt Gesetze, die unser aller Leben betreffen", beschließt Staatsausgaben und das Wahlergebnis entscheidet darüber, welche Partei die Regierung stellen darf.

Gemessen daran steht das Europäische Parlament bis auf den letzten Punkt nicht schlecht da. Es ist ebenfalls die einzig direkt gewählte Institution der EU, und es ist zunehmend ein Ort für politischen Streit. Zwischen 2009 und 2013 gab es mehr als 5000 namentliche Abstimmungen. Zwar kommt es noch immer in mehr als zwei Drittel aller Fälle zu einer großen Koalition aus europäischen Sozialdemokraten und Konservativen, aber immerhin 30 Prozent sind entweder Mitte-Links- oder Mitte-Rechts-Mehrheitsentscheidungen gewesen.

Ein manchmal belächelnder Blick auf das Europäische Parlament verzerrt die Wahrnehmung. Informationsfreiheit, Bankenunion, TTIP, genveränderte Organismen und die Aussicht auf eine Finanztransaktionssteuer haben weitreichende Konsequenzen. Teils im Konsens beschlossen, teils mit nur drei Stimmen Vorsprung. Zugegeben, der EU-Haushalt ist im Vergleich zu den Mitgliedstaaten klein, aber die von der EU ausgezahlten Fördergelder erreichen je nach Empfängerland, gerade in Mittel- und Osteuropa, bis zu fünf Prozent der Wirtschaftsleistung.

Bleibt das Manko der fehlenden Regierungsbildung, das im Februar auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Sperrklausel-Entscheidung zur Europawahl herausgestellt hat. Doch der an nationalen Mustern angelehnte Versuch eines Wahlkampfs von Spitzenkandidaten um den Posten des künftigen Kommissionspräsidenten könnte mittelfristig auch dies ändern und das Machtgefüge zugunsten des Parlaments verschieben.

Ach ja, und wer nicht wählt, hilft damit vor allem den großen Volksparteien und den Extremisten, weil die Bezugsgröße kleiner wird: Die großen Volksparteien profitieren, weil sie eine relativ stabile Wählerschaft ansprechen; die Extremisten profitieren, weil sie gut mobilisieren können. Wer also über die EU streiten will, könnte den Sonntag gut nutzen.

Andrej Stuchlik ist Project Manager im Brüsseler Büro der Bertelsmann Stiftung. Sein Artikel gehört zu einer Serie von Analysen, Hintergrundtexten und Kommentaren, mit denen die Bertelsmann Stiftung auf die Europawahl am kommenden Sonntag einstimmt. Die weiteren Teile der Serie finden Sie in der Link-Box auf der rechten Seite.