Dabei gehört es zum uralten Wissen des Menschen, dass kulturelle Vielfalt bereichert. Egal, ob in moralischer oder politischer, in ökonomischer, künstlerischer oder auch kulinarischer Hinsicht: Vielfalt bedeutet die Chance, den eigenen Horizont zu erweitern. Das Europa der vergangenen Jahrzehnte war vor allem ein Sehnsuchtsprojekt der Weite – gegen die von den Nationalstaaten erzwungene Einengung. Doch disruptive zeitgenössische Megatrends wie Globalisierung und Digitalisierung haben zu Verunsicherung und Ängsten geführt. Der vertraute Lebensraum verändert sich. Die eigene kulturelle Identität, also der aus Sprache, Religion, Philosophie, Traditionen und Gepflogenheiten geprägte Wertekanon, scheint in Gefahr. In Zeiten beschleunigter Vielfalt suchen Teile der Gesellschaft als Rahmen wieder Schutz in der Abgrenzung gegen das Fremde. Denn natürlich bedeutet Vielfalt nicht nur Chancen. Sie birgt auch ein nicht zu unterschätzendes Potenzial für Reibungen und Konflikte. Die Wissenschaft mag in der Theorie bewiesen haben, dass die beschleunigte kulturelle Vielfalt den Zusammenhalt der Gesellschaft nicht in seinen Fundamenten erschüttert. Die erlebte Realität des Einzelnen indes zeigt, dass das Zusammenleben in kultureller Vielfalt kein Selbstläufer ist, sondern aktiv gestaltet werden muss.