Kenia

Umgang mit Desinformation in Afrika: Erster Regionalworkshop

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Cathleen Berger
Senior Expert
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Dr. Joachim Rother
Project Manager

Inhalt

Unsere internationale Good-Practice-Recherche wird durch regionale Forschungsprojekte unterstützt und bereichert, die aus Workshops und bilateralen Gesprächen mit Entscheidungsträgern, Experten und relevanten Akteuren bestehen, die wir an einem vergleichsweise zentralen Ort in jeder Region zusammenbringen. Ziel dieser Recherchereisen ist es, einen Raum für den Austausch zwischen Experten und das gegenseitige Kennenlernen der jeweiligen Kontexte zu schaffen, um gemeinsam die Landschaft der Initiativen zur Desinformationsbekämpfung und der pro-demokratischen Mobilisierungsbemühungen zu erkunden und besonders vielversprechende Beispiele und bewährte Praktiken hervorzuheben. Darüber hinaus zielt die Vernetzung mit und zwischen den jeweiligen Akteuren darauf ab, starke Kooperationen, Allianzen und den Wissenstransfer zu fördern, einschließlich der Bewertung von Ideen hinsichtlich ihres Potenzials zur erfolgreichen Stärkung der Desinformationsbekämpfung in Europa und Deutschland. 

Schwerpunkte: Rolle der Medien, Fact-Checking und Wahlen
Unsere erste Forschungsreise fand vom 12. bis 16. Juni 2023 in Nairobi, Kenia, statt. Gemeinsam mit unserem regionalen Partner, der Collaboration on International ICT Policy for East and Southern Africa (CIPESA), führten wir eine zweitägige Konferenz mit 25 Teilnehmern aus über 15 verschiedenen afrikanischen Ländern durch. Es folgten zwei Tage bilateraler Gespräche mit Regierungsvertretern, Vertretern der Zivilgesellschaft wie Amnesty International und Journalisten. Nachstehend finden Sie einen Bericht und eine Zusammenfassung unserer Erkenntnisse, Eindrücke und Ergebnisse.

 

13.06.2023 Sich einen Überblick verschaffen, die Akteure treffen, die Herausforderungen verstehen


Wie beginnt man eine Konferenz mit 25 verschiedenen Personen aus über 15 Ländern, die sich noch nie getroffen haben? Nach einigen Begrüßungsworten von Juliet Nanfuka (CIPESA) und Ralph Müller-Eiselt (Bertelsmann Stiftung) hatten die Teilnehmer die Gelegenheit, sich durch eine interaktive und engagierte Aktivität besser kennenzulernen. Im Anschluss daran wurde die inhaltliche Arbeit in Angriff genommen:  Wir konnten uns einen Überblick über die Desinformationslandschaft im afrikanischen Kontext verschaffen, in einzelne länderspezifische Fallstudien (mit Fokus auf Wahlen) eintauchen und in Gruppendiskussionen verschiedene Ansätze und Kooperationsmöglichkeiten zur besseren Bekämpfung von Desinformation diskutieren. Die Mischung der Veranstaltungsformate mit Impulsen, Podiumsdiskussionen und lebhaften Gruppenaktivitäten sowie das Engagement der Teilnehmer trugen zu einer sehr freundlichen und bemerkenswert vertrauensvollen Atmosphäre bei. Sie ermöglichte aber auch das produktive Zusammentragen von interessanten Erkenntnissen und weiteren offenen Fragen.

 

14.06.2023 Analyse - In die Debatte eintauchen und die Punkte verbinden


Nachdem wir die Ergebnisse und offenen Fragen von Tag 1 reflektiert hatten, stürzten wir uns direkt in die erste Sitzung des zweiten Tages: "Beyond fact-checking: using innovation and current tech development to combat disinformation in Africa", präsentiert von Africa Check. Während sich Tag 1 vor allem auf Übersichten über das Desinformations-Ökosystem und die länderspezifischen Fallstudien konzentrierte, ging es an Tag 2 darum, konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung oder Unterbrechung von Desinformation auf verschiedenen Ebenen und durch verschiedene Akteure vorzustellen.

 

15.06. - 16.06.2023 / Verschiedene Interessengruppen treffen und neue Perspektiven gewinnen


Nach zwei intensiven und aufschlussreichen Workshop-Tagen verbrachten wir die letzten beiden Tage unserer Reise mit Treffen von Interessengruppen zu bilateralen Gesprächen und Austausch. Durch die Gespräche mit Article 19 und Amnesty International erhielten wir Einblicke in die Art und Weise, wie sich die Zivilgesellschaft in der afrikanischen Region für Themen an der Schnittstelle von IKT-Politik und Menschenrechten engagiert. Während beide Organisationen bemerkenswerte Erfolgsgeschichten von Kampagnen und Maßnahmen zur Stärkung digitaler Rechte und der Demokratie aufzeigten, betonten sie auch ihre gemeinsamen Herausforderungen: begrenzte Ressourcen, Einschränkungen und Bedrohungen.

Ähnliche Aspekte wurden auch von Journalisten angesprochen, die für Hintergrundgespräche getroffen wurden. In einem Land wie Kenia, in dem das Mediensystem zwar weitgehend unabhängig ist, aber mit grundlegenden strukturellen Herausforderungen zu kämpfen hat, stoßen auch sie bei ihrer Arbeit auf erhebliche Schwierigkeiten - und spüren durchaus den Druck, ihrer wesentlichen Rolle im Kampf für Wahrheit und Fakten gerecht zu werden.

Sowohl Journalisten als auch Vertreter der Zivilgesellschaft verfolgen die Arbeit der Regierung kritisch. Einerseits würden sie eine stärkere Bereitstellung von Ressourcen durch die Regierung begrüßen. Andererseits beschreiben sie, dass die Regierung eine passive Rolle einnimmt, in einigen Fällen sogar eine so kontraproduktive, dass sie zur Desinformation im Lande beiträgt. Mit Vertretern des kenianischen Medienrats, einer unabhängigen nationalen Institution, die 2007 durch das Medienratsgesetz geschaffen wurde, diskutierten wir diese kontroverse Positionierung der Regierung - und das inhärente Potenzial von Einrichtungen wie dem Rat, zwischen der Zivilgesellschaft und der Regierung zu navigieren und zu vermitteln, um eine dringend benötigte Zusammenarbeit und einen ständigen Austausch zu gewährleisten.

Die wichtigsten Erkenntnisse der Forschungsreise Nr. 1 nach Nairobi, Kenia


#PerspektivenaufMethoden: Fact Checking war die am häufigsten eingesetzte Methode, um Desinformation zu bekämpfen, insbesondere in Ländern ohne unabhängige Mediensysteme. Die Projekte JamiiForum oder Africa Check sind vielversprechende Beispiele für die Bewältigung der größten Herausforderung dieser Methode: die skalierbare Verbreitung von faktengeprüften Informationen. Es werden jedoch mehr Ressourcen für die Ausweitung der Überwachung sozialer Medien sowie ergänzende Prebunking-Maßnahmen benötigt, die sich effektiv auf die (demokratische) Bildung konzentrieren. Die Finanzierung der beteiligten Initiativen und Projekte ist ein wichtiges Thema: Nachhaltige Finanzierungsmodelle könnten einen echten Unterschied machen, wenn es darum geht, die Wirkung und Effektivität bestehender Fact-Checking-Organisationen und ergänzender Initiativen zu skalieren.


#PerspektivenaufAkteure: Zivilgesellschaftliche Akteure spielen im Kampf gegen Desinformation in verschiedenen afrikanischen Ländern eine wichtige Rolle. Wir beobachteten gut organisierte Strukturen mit einem hohen Maß an Engagement, das unter anderem durch einen starken Fokus auf die lokale Ebene und die sprachliche Vielfalt gefördert und untermauert wird. Viele der Experten, mit denen wir während unserer Recherchen gesprochen haben, äußerten ihre Besorgnis über die Rolle der Regierungen. Regierungen werden oft nicht als Verbündete angesehen, oder schlimmer noch, sie werden als Instrumentalisierung von Desinformation zu ihrem eigenen Vorteil angesehen. Daher werden Fragen der gesetzlichen Regulierung immer komplexer: Entsprechende Gesetze wurden und werden regelmäßig als systematische Taktik eingesetzt, um Kritiker unter dem Deckmantel der Desinformationsbekämpfung mundtot zu machen, oft mit Verweis auf internationale "Vorbilder", wie das deutsche NetzDG von 2017, etwa in Uganda und Tansania. "Copy-Paste"-Mechanismen europäischer Gesetzgebungen, wie die DSA, werden daher weithin als Gefahr wahrgenommen.


#PerspektivenAufPlattformen: Im Vorfeld der kenianischen Wahlen 2022 haben wir von Meta und in Zusammenarbeit mit der Regierung und verschiedenen NGOs einige wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung von Desinformation kennengelernt. Diese vielversprechende Allianz führte jedoch nicht zu einer dauerhaften Zusammenarbeit. Stattdessen lassen sich das Verhalten und die entsprechenden (fehlenden) Maßnahmen von Meta und anderen sozialen Plattformen in der Regel als "Feigenblatt-Aktivitäten" charakterisieren: Ein Mangel an intrinsischer Motivation und finanziellen Anreizen spiegelt sich in einer eher passiven, kaum sichtbaren Präsenz auf dem Kontinent und, wenn überhaupt, in kurzfristigen, auf Wahlzyklen ausgerichteten Maßnahmen wider, statt in langfristigen, nachhaltigen Lösungen.