Trotz des weit verbreiteten Misstrauens gegenüber der EU, steht den Polen nicht der Sinn nach einem "Polexit". Das Land möchte Teil der EU bleiben, ist aber mit dem gegenwärtigen Integrationskurs unzufrieden. Eine ganze Reihe von Entwicklungen verärgern Warschau: der zunehmende Protektionismus in Westeuropa, der eine Gefahr für den Binnenmarkt darstellt; die Tatsache, dass Kooperation in der Zuwanderungsfrage in der EU zur Chefsache geworden ist; Die Gefahr, dass nach dem Brexit die Verteilungskämpfe innerhalb der EU an Heftigkeit zunehmen werden; die Debatte um die Schaffung "strategischer Autonomie" in der Verteidigung der EU, die die transatlantischen Beziehungen belasten könnte. Warschaus Unbehagen in all diesen Punkten erklärt die euroskeptische Haltung Polens in der Integrationsdebatte und seinen Widerstand gegen die Pläne aus Paris und Brüssel, die politische Zusammenarbeit zu intensivieren.
Im Januar 2016 erklärte Polen, sein wichtigster Verbündeter in Europa sei das Vereinigte Königreich. Die Abkehr von Deutschland als wichtigstem Partner folgte einer Logik: Noch vor dem Brexit-Referendum nährten Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich die Hoffnung, mit einem gemeinsamen britisch-polnischen Vorgehen in der EU eher die Marktintegration und weniger die politische Integration voranzutreiben. Der Brexit-Entscheid offenbarte, wie sehr sich Polen verkalkuliert hatte: Der neue Partner trennt sich ganz von der Gemeinschaft und lässt Warschau mit seinen Reformambitionen allein zurück.
Wie kann Polen jetzt weitermachen? Gegenwärtige Modernisierungsbemühungen zielen darauf, Polens Position in der Wertschöpfungskette zu verbessern, damit das Land sich von der Rolle des Unterauftragnehmers der deutschen Wirtschaft befreien kann. Doch für eine solche Modernisierung braucht man starke Beziehungen zu westlichen Partnern, das hat auch Premierminister Morawiecki inzwischen deutlich gemacht.
Sich aus den Entscheidungsprozessen der EU zurückzuziehen stellt für Polen keine Option dar. Im Gegensatz zum Hauptverbündeten Ungarn hat Polen in vielen Feldern der EU-Politik, darunter die Energie- und Sicherheitspolitik, besondere und vielfältige Interessen, über die es mit der EU im Gespräch bleiben will. Vor diesem Hintergrund muss auch die neue Debatte über einen Beitritt zur Eurozone gesehen werden, die hauptsächlich von unabhängigen Experten und der politischen Opposition getragen wird.