3 Hände unterschiedlicher Nationen vereint über der Europaflagge

Europas neuester Plan wird die Gräben in der EU kaum schließen können

Nach Jahren erbitterter Auseinandersetzungen über den Umgang mit Migranten hat die Europäische Union nun einen neuen Plan vorgestellt. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass er auf breite Zustimmung treffen wird, zumal sich die Einstellung gegenüber Flüchtlingen während der Coronakrise verhärtet hat.

von Jess Smee

Als eine „europäische Lösung, mit der das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger wiederhergestellt“ werden soll, beschrieb EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen den lange aufgeschobenen und nun Ende September vorgelegten Plan der Europäischen Union zur Überarbeitung der Migrations- und Asylpolitik der Europäischen Gemeinschaft.

Der kontroverse Plan wird viele Mitgliedstaaten der Gemeinschaft jedoch kaum überzeugen, die gespalten ist in die Lager der Mittelmeeranrainerstaaten, wo die meisten Flüchtlinge ankommen, der reicheren Staaten im Norden Europas, in denen viele später zu leben hoffen, sowie der notorisch widerwilligen Staaten im Osten.

Besonders umstritten ist das Versprechen der EU, jeden Staat zur Aufnahme einer Mindestzahl von Flüchtlingen zu verpflichten – wobei jedes Land für jeden aufgenommenen Erwachsenen 10.000 Euro (11.750 Dollar) erhalten soll. Pläne, die eine solche Verpflichtung enthalten, werden von Polen und Ungarn seit langem kategorisch abgelehnt.

Die kürzlich veröffentlichten Sustainable Governance Indicators (SGI) 2020 der Bertelsmann Stiftung verdeutlicht die großen Meinungsunterschiede und gegensätzlichen Ansätze der verschiedenen Länder, was den Umgang mit Zuwanderern betrifft. Die SGI-Studie, die sowohl legale als auch illegale Migration erfasst, zeigt, dass das gastfreundlichste Land in Europa Portugal ist, dessen Politik die Integration von Migranten in die Gesellschaft „effektiv“ fördert und dem Land neun von zehn möglichen Punkten eingebracht hat. „Portugal hat sich bemüht, in Bezug auf Flüchtlinge und Migranten auf EU-Ebene eine Führungsrolle zu übernehmen und eine liberale Position vertreten. Es hat durchgehend die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen unter Beweis gestellt“, heißt es darin, wobei hervorgehoben wird, dass Portugal trotz seiner Größe die sechsthöchste Anzahl von Flüchtlingen im Rahmen des Resettlement-Programms der EU aufgenommen hat. Einen Kontrast dazu bildet Polen, das unter der Führung der notorisch einwanderungsfeindlichen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in der SGI-Rangliste zur Integration von 41 Nationen den letzten Platz einnimmt und nur drei von zehn möglichen Punkten erzielt.

Der Moria-Effekt

Bisherige Pläne der EU zur Regelung der Migration waren an der Kritik einiger weniger Mitgliedsstaaten gescheitert. Nachdem nun der neue Plan bekanntgegeben wurde, sagte ein hochrangiger Diplomat aus einem der östlichen EU-Länder gegenüber Reuters, dass eine obligatorische Aufnahme von Asylsuchenden „für uns nicht in Frage kommt“, was darauf hindeutet, dass dieser jüngste Vorschlag vermutlich der letzte in der Reihe gescheiterter Versuche zur Neugestaltung der Migrationspolitik der EU werden wird.
Nach Angaben der Kommission nimmt die EU derzeit 2,5 Millionen legal Eingewanderte auf, die nach Europa kommen, um hier zu leben und zu arbeiten, im Vergleich zu nur 140.000 Asylsuchenden, die irregulär einreisen. Anfang September gingen Bilder vom Feuer im überfüllten griechischen Flüchtlingslager Moria um die Welt und lösten innerhalb der Gemeinschaft eine kontroverse Debatte darüber aus, welche Länder die fast 13000 Menschen aufnehmen sollen, die keine Bleibe mehr hatten.

Von der Leyen beschrieb Moria als „eine scharfe Mahnung“, doch gingen die Reaktionen der verschiedenen Mitgliedstaaten auf die humanitäre Notlage stark auseinander. Deutschland, das EU-Land mit der zweithöchsten Bewertung der SGI für die Integration von Einwanderern, sagte die Aufnahme von mehr als 1500 Menschen zu. Belgien machte unterdessen „begrenzte Kapazitäten“ geltend und erklärte sich bereit, nur 12 Minderjährige aufzunehmen, während der konservative österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz versicherte, er werde „dem deutschen Weg nicht folgen“.

Covid-19 vertieft die Kluft noch weiter

Das Lager Moira auf der Insel Lesbos stand nach dem Ausbruch des Coronavirus unter Quarantäne, als das Feuer gelegt wurde, was verdeutlicht, wie sehr die globale Pandemie den Druck auf die ohnehin schon am meisten gefährdeten Menschen, wie auch auf die Länder, die sie aufnehmen, weiter erhöht hat.

Die Haltung gegenüber Flüchtlingen hat sich während der Verbreitung von Covid-19 verhärtet, von den wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Pandemie ganz zu schweigen. Nach dem Ausbruch der Pandemie bildete die Regierung Portugals eine Ausnahme unter den europäischen Staaten, als sie allen Migranten und Asylsuchenden, die bereits einen Antrag gestellt hatten, vorübergehende Staatsbürgerrechte gewährte – um deren Zugang zu sozialer Sicherheit und medizinischer Versorgung sicherzustellen.

Anderswo in Europa haben die Angst vor Ansteckung und die wirtschaftliche Unsicherheit die einwandererfeindliche Stimmung nur weiter verstärkt. In Italien zum Beispiel, einem der ersten von der Pandemie betroffenen europäischen Länder, ordnete der Präsident Siziliens, Nello Musumeci, die Schließung aller Flüchtlingseinrichtungen auf der Insel an, da es unmöglich sei, die Ausbreitung des Coronavirus in den Einrichtungen zu stoppen. Der Schritt wurde zwar von einem Gericht blockiert, aber seine Erklärung macht deutlich, wie die Angst vor der Pandemie eine bereits polarisierte Einwanderungsdebatte weiter befeuert.

Politiker des äußersten rechten Flügels verschiedener Mitgliedstaaten haben den Virus als neues Argument gegen Zuwanderung für sich entdeckt. Matteo Salvini, der Vorsitzende der migrationsfeindlichen Lega, beschrieb Sizilien Anfang des Monats auf Twitter als „gesetzlosen Staat“. „Eine Invasion illegaler Migranten, eine Welle von Infektionen, Sizilien bricht zusammen“, twitterte er.

Die humanitären Folgen dieser Zunahme von Ängsten und des Populismus zeigen sich an den europäischen Küsten. Ein Schiff mit Hunderten von Migranten aus Afrika und dem Nahen Osten, von denen etwa 20 positiv auf Covid-19 getestet worden waren, fuhr kürzlich in den Gewässern vor Sizilien hin und her, da ihm zunächst die Einfahrt in einen italienischen Hafen verweigert wurde, bis es schließlich in Augusta im Südosten der Insel anlegen durfte.

Als sie für den neuen Plan der EU warb, prognostizierte von der Leyen, dass er „das Vertrauen zwischen den Mitgliedsstaaten wiederherstellen“ werde. Vor dem Hintergrund der stark polarisierten politischen Positionen der 27 Staaten sowie neuer Ängste und Nöte der Corona-Ära machen die politischen und wirtschaftlichen Eigeninteressen die Wiederherstellung des Vertrauens in naher Zukunft jedoch äußerst unwahrscheinlich.

Jess Smee lebt und arbeitet als Journalistin in Berlin. Sie schreibt unter anderem für The Guardian und ist Redakteurin von SGI News und dem BTI-Blog der Bertelsmann Stiftung.

Übersetzt aus dem Englischen Cornelius Reiber