Menschen am Tisch

Korruptionsbekämpfung in der Ukraine – eine vorläufige Bilanz

Vor fünf Jahren haben sich die Menschen in der Ukraine auf beeindruckende Art und Weise für eine Zukunft auf der Basis europäischer Werte entschieden. Die Korruption nicht länger hinzunehmen und von ihren politischen Vertretern gutes Regieren und die Beachtung der Bürger- und Menschenrechte zu fordern, waren die treibenden Kräfte für die so getaufte Revolution der Würde im kalten Winter 2013/14.

Bis heute hat der Korruptionskampf für Ukrainerinnen und Ukrainer Priorität, so die Meinungsumfragen, die das Superwahljahr 2019 eingeleitet haben. Und weil Korruption nur ein Symptom der Krankheit „Schlechte Regierungsführung“ ist, ist es im Interesse der jungen ukrainischen Demokratie zu fragen Wie steht es um die Reformen in Sachen Korruptionsbekämpfung? Das haben John Lough (Associate Fellow des Russland und Eurasien Programms von Chatham House) und Wladimir Dubrowskij (Senior Economist bei CASE Ukraine) getan.

Expertendebatte zu guter Regierungsführung und Korruption in Berlin

Auf Einladung der Bertelsmann Stiftung diskutierte Lough die wichtigsten Ergebnisse im Februar in Berlin mit einem Fachpublikum aus politischen Entscheidungsträgern, Mitgliedern des Bundestages, Experten und Journalisten. Die Recherche der Experten deckt ein weites Spektrum von Schlüsselbereichen ab, in denen Reformen begonnen wurden, vom Energie- und Rohstoffsektor bis zu Bankenreform, Zoll und Steuern und zu Justiz, Strafverfolgung und Politik.

Der ehemalige Richter Mykhailo Zhernakow, Direktor der ukrainischen NGO DEJURE Foundation und lange Vorstandsmitglied im zivilgesellschaftlichen Reformbündnis Reanimation Package of Reforms, verwies auf das Fehlen einer zuverlässig funktionierenden Justiz als Haupthindernis, das wirksamer Korruptionsbekämpfung im Wege stehe. Er erläuterte das schwierige Zusammenspiel zwischen post-sowjetischen Strafverfolgungsbehörden und Gerichten auf der einen und neuen Antikorruptionsbehörden auf der anderen Seite. Auch sich anderswo bewährt habende Modelle justizieller Selbstverwaltung funktionierten nicht überall, sondern könnten sogar der Verfestigung alter Gewohnheiten dienen. Es gelte deshalb, erst einmal unabdingbare Grundwerte aufzubauen und integre Richter von korrupten zu trennen. Clemens Müller, Anti-Korruptionsberater für das EU-finanzierte Antikorruptionsprojekt EUACI und die EU Advisory Mission, diskutierte die unterstützende Rolle, die die EU und einzelne Mitgliedstaaten, der Internationale Währungsfonds, die Osteuropa- und die Weltbank für Strukturreformen spielen.

Haben Regierende und Entscheider den politischen Willen für Reformen?

Im Mittelpunkt der lebhaften Debatte stand schnell die Sinnhaftigkeit zwar nachvollziehbarer Reformvorschläge und die Förderung der ukrainischen Zivilgesellschaft angesichts eines zumindest durchgängig fehlenden politischen Willens und der Dominanz alter Kräfte, die Handlungsspielräume nach wie vor beschränkten und Regierung und Verwaltung interessengeleitet betrieben.

Die Diskussionsteilnehmer wurden sich nicht einig, ob noch mehr Druck und "negative Konditionalität" notwendig seien, oder ob die Transformation der Ukraine hin zu guter Regierungsführung schlicht ihre Zeit brauche.

Eine bloß schwache ukrainische Demokratie ist ein Risiko für Europa

Sicher war man sich allerdings, dass die junge ukrainische Demokratie die konsequente Unterstützung von außen brauche, um aktuelle Herausforderungen zu bewältigen – auch im ureigenen europäischen Interesse an belastbarer Stabilität und Freiräumen für wirtschaftliche Entwicklung durch Wettbewerb und Innovation in der unmittelbaren EU-Nachbarschaft.