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Kanzlerreise nach Peking – eine vertane Chance für Europa

Bundeskanzler Olaf Scholz reist vom 13.-16. April nach China in Begleitung einer Wirtschaftsdelegation – aber ohne europäische Beteiligung. Dabei bräuchte die EU gerade jetzt ein koordiniertes Vorgehen und gemeinsames Auftreten gegenüber Peking.

Foto Cora Francisca Jungbluth
Dr. Cora Francisca Jungbluth
Senior Expert China and Asia-Pacific
Foto Anika Sina Laudien
Anika Sina Laudien
Project Manager

Inhalt

Die letzte China-Reise des Kanzlers liegt nun schon eineinhalb Jahre zurück. Im November 2022 besuchte Olaf Scholz Peking, im Juni 2023 fanden in Berlin die letzten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen statt – ebenfalls eine rein bilaterale Angelegenheit, obwohl der Koalitionsvertrag zumindest für die Konsultationen ein europäisches Vorgehen angekündigt hatte.

Seitdem ist viel passiert: Deutschland hat sich eine China-Strategie gegeben, die einen klaren Schwerpunkt auf De-risking setzt, also auf das Ziel, die Abhängigkeit Deutschlands vom Partner, Wettbewerber und systemischen Rivalen China bei Schlüsseltechnologien und wichtigen Rohstoffen zu verringern. Gleichzeitig soll die Strategie „fest auf dem Boden der gemeinsamen Chinapolitik der EU” stehen. Das ist auch sinnvoll und notwendig. Denn ein einzelner Mitgliedstaat, selbst eine Wirtschaftsmacht wie Deutschland, ist in einer zunehmend geopolitisierten und fragmentierten Welt nicht in der Lage, China gegenüber im Alleingang Interessen durchzusetzen. Für eine gemeinsame EU-China-Politik wird ein solches Vorgehen zudem immer kontraproduktiver, da China sehr geschickt darin ist, einzelne Mitgliedstaaten und die EU gegeneinander auszuspielen.

Wenn hingegen die EU und ihre Mitgliedstaaten europäische Interessen klar definieren und Peking gegenüber stets abgestimmt und gemeinsam kommunizieren würden, würde dies die gesamte Wirtschaftsmacht des Binnenmarktes in die Waagschale legen. So ließe sich zumindest die Chance erhöhen, in Peking mit Blick auf das zunehmend schwierige Marktumfeld für ausländische Investoren, die staatliche Exportförderung (um industrielle Überkapazitäten abzubauen und ausländische Märkte zu erobern) und den daraus entstehenden unfairen Wettbewerb etwas zu erreichen.

All das hat Bundeskanzler Scholz bei seiner Reise leider nicht im Gepäck. Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ist nicht dabei, wie bereits 2022. Das ist bedauerlich, da der BDI mit seinem China-Papier von 2019 einen wichtigen Beitrag für ein Umdenken in der europäischen und deutschen China-Politik geleistet hat. Die Botschaft, die Deutschland mit der Zusammensetzung der Delegation senden könnte, ist ungünstig: eine zu kritische Haltung gegenüber dem größten Handelspartner scheint unerwünscht.

Was im Gepäck des Kanzlers ebenfalls fehlt, ist eine adäquate europäische Antwort darauf, dass China sich im Angriffskrieg gegen die Ukraine pseudoneutral gibt, einen engen Schulterschluss mit dem Aggressor pflegt und offenbar auf verschiedenen Wegen westliche Sanktionen gegenüber Russland umgeht.

Vor diesem Hintergrund ist die Kanzlerreise eine vertane Chance, die EU als eigenständigen geopolitischen Spieler zu etablieren, der aus einer Position der Stärke heraus auftritt. Die zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China machen dies jedoch dringend erforderlich, um die Handlungsfähigkeit der EU zu stärken und sie aus einer Situation des Reagierens auf Aktionen der beiden Großmächte in eine Situation des Agierens zu bringen. Denn die USA haben China längst als die Schlüsselherausforderung des 21. Jahrhundert definiert und handeln dementsprechend und schnell: der Inflation Reduction Act (IRA), der Chips Act, die geplante Regulierung für US-amerikanische Investitionen in China und Exportkontrollen mit extraterritorialen Auswirkungen, auch auf europäische Unternehmen, führen mehr als deutlich vor Augen, dass die EU hier kaum hinterherkommt. Dieser Kurs wird sich auch nach den US-Wahlen nicht ändern – unabhängig davon, wer im Weißen Haus regiert.

Um nicht nur auf US-amerikanische Vorstöße reagieren zu müssen, wäre eine einheitliche europäische Vorgehensweise gegenüber China mehr als notwendig. Scholz hätte dafür ein klares Zeichen setzen können, wenn er nicht allein, sondern gemeinsam mit anderen hochrangigen EU-Politiker:innen oder Regierungschef:innen anderer Mitgliedstaaten nach China reisen würde. Im Vorfeld der Europa-Wahl hätte er die einmalige Gelegenheit gehabt, nicht allein als deutscher Kanzler, sondern explizit als Europäer – als den er sich laut Politico-Bericht von 2022 auch sieht – nach China zu reisen. Denkbar gewesen wären verschiedene Zusammensetzungen europäischer Delegationen oder gemischte Wirtschaftsdelegationen. Jegliche Europäisierung seiner Reise hätte einen deutlichen Fortschritt für mehr Koordinierung auf EU-Ebene bedeutet.

Ein Kommentar von Cora Jungbluth und Anika Laudien