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Verschwörungsglaube rückläufig, aber Risiken bleiben bestehen

Der Verschwörungsglaube in Deutschland ist insgesamt leicht zurückgegangen, jedoch das politische Misstrauen ist angewachsen. Das zeigt eine neue Studie im Rahmen des Religionsmonitors 2023 der Bertelsmann Stiftung.

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Dr. Yasemin El-Menouar
Senior Expert – Religion, Werte und Gesellschaft
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Ulrich Kober
Director

Inhalt

Die neue Ausgabe des Religionsmonitors der Bertelsmann Stiftung untersucht, wie verbreitet Verschwörungsglaube in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern in Europa und den USA ist. Unter Verschwörungsglaube werden Einstellungen verstanden, denen zufolge angeblich geheime Organisationen den Politikbetrieb maßgeblich beeinflussten, vermeintlich unverbundene Ereignisse das Ergebnis geheimer Aktivitäten seien und der Staat die Bevölkerung überwache. Die Ergebnisse der Studie basieren auf den Daten des Religionsmonitors 2023 sowie auf einer Nacherhebung der Daten für Deutschland, die im September 2024 vorgenommen wurden.

Im September 2024 hielten 28 Prozent der deutschen Bevölkerung die Aussage "Es gibt geheime Organisationen, die einen großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben" für mindestens wahrscheinlich. Zwei Jahre zuvor war noch ein Drittel (33 Prozent) davon überzeugt. Die Aussage "Regierungsbehörden überwachen alle Bürger genau" hielten 2024 17 Prozent der Bevölkerung für mindestens wahrscheinlich; zwei Jahre zuvor betrug dieser Anteil noch 27 Prozent. "Dieser starke Rückgang ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Lockerung der Kontaktbeschränkungen in der Coronapandemie zurückzuführen", so Dr. Yasemin El-Menouar, Expertin für Religion und Zusammenhalt bei der Bertelsmann Stiftung.

Die dritte Aussage zur Messung von Verschwörungsglauben – "Ereignisse, die auf den ersten Blick nicht in Verbindung stehen, sind oft das Ergebnis geheimer Aktivitäten" – fand 2024 bei 19 Prozent der Bevölkerung Zustimmung – im Jahr 2022 war dieser Anteil mit 22 Prozent etwas höher. Damit ist der Verschwörungsglaube in Deutschland insgesamt leicht zurückgegangen, aber immer noch ist ein Fünftel bis zu fast einem Drittel der Bevölkerung ansprechbar für Verschwörungsnarrative.

Dieser Anteil wächst auf 50 bis 60 Prozent, wenn zusätzlich diejenigen berücksichtigt werden, die unentschieden sind beziehungsweise diese Aussagen zumindest nicht für unwahrscheinlich halten. Werden jedoch lediglich diejenigen gezählt, die durchschnittlich alle drei Aussagen für mindestens wahrscheinlich halten und somit eine verschwörungsideologische Neigung haben (im Folgenden "Verschwörungsanfällige"), ist der Anteil deutlich niedriger (15 Prozent im Jahr 2024 gegenüber 21 Prozent im Jahr 2022).

Auch wenn der Verschwörungsglaube insgesamt rückläufig ist, kann daher keine Entwarnung gegeben werden. Dieses Risikopotenzial könnte aktiviert werden, wenn erneut eine tiefgreifende Krise eintritt, die in ihrem Ausmaß vergleichbar ist mit der Coronapandemie. Krisen fungieren in diesem Fall als Katalysatoren.

Dr. Yasemin El-Menouar, Religionsexpertin der Bertelsmann Stiftung

Politisches Misstrauen als größter Risikofaktor für Verschwörungsanfälligkeit

In den Analysen konnte politisches Misstrauen als größter Risikofaktor identifiziert werden. Innerhalb der letzten zwei Jahre ist dieses Misstrauen angewachsen (von 42 auf 48 Prozent). "Auch wenn der Verschwörungsglaube insgesamt rückläufig ist, kann daher keine Entwarnung gegeben werden. Dieses Risikopotenzial könnte aktiviert werden, wenn erneut eine tiefgreifende Krise eintritt, die in ihrem Ausmaß vergleichbar ist mit der Coronapandemie. Krisen fungieren in diesem Fall als Katalysatoren", so El-Menouar.

Ein weiterer Ausdruck des Misstrauens gegenüber gesellschaftlichen Institutionen ist eine stärker ausgeprägte Wissenschaftsskepsis unter Verschwörungsanfälligen: Während in der  Gesamtbevölkerung lediglich sechs Prozent der Wissenschaft misstrauen, liegt dieser Anteil unter Verschwörungsanfälligen mit 18 Prozent dreimal so hoch. Diese gesellschaftliche Entfremdung ist eng mit einer allgemeinen Unzufriedenheit und Verdrossenheit verbunden: So bringen 56 Prozent der Verschwörungsanfälligen ein allgemeines Ungerechtigkeitsempfinden zum Ausdruck; in der Gesamtbevölkerung beträgt dieser Anteil 40 Prozent. Auch Menschen, die das Gefühl haben, um ihre Sorgen kümmere sich niemand, neigen eher dazu, an Verschwörungsnarrative zu glauben.

Benachteiligte Bevölkerungsgruppen eher ansprechbar für Verschwörungserzählungen

Aus den Daten des Religionsmonitors lässt sich kein klares psychologisches oder sozioökonomisches Profil von Verschwörungsgläubigen ablesen. Daher lässt sich Verschwörungsglaube in Deutschland nur schwer gesellschaftlich verorten. Seine Besonderheit und Gefahr besteht darin, dass er anschlussfähig ist an ganz unterschiedliche gesellschaftliche Milieus.

Dennoch sehen wir eine leichte Häufung in Milieus, die aus verschiedenen Gründen benachteiligt sind. So ist der Anteil an Einkommensschwachen unter Verschwörungsanfälligen überdurchschnittlich hoch (29 Prozent im Jahr 2024 gegenüber 23 Prozent im Jahr 2022). Zudem sind Personen mit niedriger Bildung häufiger verschwörungsgläubig (Anteil 38 Prozent); unter Hochgebildeten sind es lediglich 20 Prozent. Auch Menschen in ländlichen Regionen sind häufiger betroffen im Vergleich zu Menschen, die in städtischen Gebieten leben.

Zudem sind Menschen, die nicht in Deutschland geboren sind – also Zugewanderte –, eher empfänglich für Verschwörungsnarrative. Eine Aufschlüsselung nach Religionszugehörigkeit zeigt, dass Muslim:innen unter Verschwörungsanfälligen überrepräsentiert sind, während evangelische Christ:innen unter ihnen seltener zu finden sind.

In den Analysen konnte politisches Misstrauen als größter Risikofaktor identifiziert werden. Innerhalb der letzten zwei Jahre ist dieses Misstrauen angewachsen (von 42 auf 48 Prozent). "Auch wenn der Verschwörungsglaube insgesamt rückläufig ist, kann daher keine Entwarnung gegeben werden. Dieses Risikopotenzial könnte aktiviert werden, wenn erneut eine tiefgreifende Krise eintritt, die in ihrem Ausmaß vergleichbar ist mit der Coronapandemie. Krisen fungieren in diesem Fall als Katalysatoren", so El-Menouar.

Ein weiterer Ausdruck des Misstrauens gegenüber gesellschaftlichen Institutionen ist eine stärker ausgeprägte Wissenschaftsskepsis unter Verschwörungsanfälligen: Während in der  Gesamtbevölkerung lediglich sechs Prozent der Wissenschaft misstrauen, liegt dieser Anteil unter Verschwörungsanfälligen mit 18 Prozent dreimal so hoch. Diese gesellschaftliche Entfremdung ist eng mit einer allgemeinen Unzufriedenheit und Verdrossenheit verbunden: So bringen 56 Prozent der Verschwörungsanfälligen ein allgemeines Ungerechtigkeitsempfinden zum Ausdruck; in der Gesamtbevölkerung beträgt dieser Anteil 40 Prozent. Auch Menschen, die das Gefühl haben, um ihre Sorgen kümmere sich niemand, neigen eher dazu, an Verschwörungsnarrative zu glauben.

Strategien gegen Verschwörungsglauben: Was Politik und andere Akteure tun können

Der beste Ansatz, Verschwörungsglauben entgegenzuwirken, besteht darin, das Vertrauen der Bevölkerung in den politischen Prozess zu stärken. Auch die Vermittlung von Wissen und Medienkompetenz können Wissenschaftsskepsis und Desinformation entgegenwirken. Schließlich sind Begegnungsorte wichtig, die Verständigung und Empathie fördern und dem Gefühl, im Stich gelassen zu werden, entgegenwirken. Eine besondere Bedeutung kommt nicht zuletzt dem Dialog zwischen den Religionsgemeinschaften untereinander sowie nicht-religiösen Teilen der Gesellschaft zu, der im gegenseitigen Respekt Vertrauen aufbaut und verbindendes Engagement für das Gemeinwohl stärkt.

Publikation

Zusatzinformation

Die Publikation "Verschwörungsglaube als Gefahr für Demokratie und Zusammenhalt. Erklärungsansätze und Prävention" ist Teil des Religionsmonitors. Die Daten basieren auf Erhebungen aus September 2024 sowie aus Juli 2022. Die Daten der Nacherhebung 2024 wurden durch das Meinungsforschungsinstitut forsa erhoben. Insgesamt wurden 3.002 Personen befragt, die repräsentativ sind für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren. 

Die Daten des Religionsmonitors 2023 wurden durch das Sozialforschungsinstitut infas erhoben. Insgesamt wurden 10.657 Menschen in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Polen sowie den USA befragt. In Deutschland haben sich 4.363 Menschen an der Befragung beteiligt. 

Mit dem Religionsmonitor untersucht die Bertelsmann Stiftung seit 2008 ländervergleichend die Rolle von Religion für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der Religionsmonitor 2023 beschäftigt sich mit den Fragen der Religiosität in Zeiten multipler Krisen und der Frage von Vielfalt, Solidarität und Toleranz gegenüber Andersgläubigen. Die Erkenntnisse der Studien liefern Hinweise für ein gelingendes Zusammenleben. Dafür sollte Religion mitgedacht und eine moderne Religionspolitik gestaltet werden.