Diskutanten auf dem Podium

Verschlafen wir die Zukunft? Diskussion zur deutschen Wettbewerbsfähigkeit

Ist das Land der Tüftler und Bastler für die digitale Zukunft gewappnet? Diese Frage stand im Zentrum unserer Diskussion zur Zukunft der sozialen Marktwirtschaft und deutschen Wettbewerbsfähigkeit. Dabei waren sich die Teilnehmer aus der Wirtschaft und Wissenschaft vor allem in einem Punkt einig: Politik und Wirtschaft sollten mutiger werden.

Glühbirne oder Algorithmus, das war zunächst eine wesentliche Frage auf dem Podium. Beide Produkte stehen sinnbildlich für ihre jeweilige Epochen. Doch während die industrielle Revolution, wenn auch unter teils prekären Bedingungen, einen enormen Produktivitätsschub geliefert hat, stehen die Forscher zu Beginn des 21. Jahrhunderts vor einem sogenannten Produktivitätspuzzle: Obwohl die digitale Transformation die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft enorm steigern und Unterschiede zwischen industriestarken Ballungszentren und ländlichen Regionen einebnen sollte, ist dies bisher kaum zu beobachten. Stattdessen vergrößert sich die Schere zwischen innovativen und traditionellen Unternehmen sowie sehr gut bezahlten Industrie- und schlecht bezahlten Dienstleistungsjobs.

Was müssen Unternehmen, Sozialpartner und Politik tun, damit in Deutschland weiterhin Wettbewerbsfähigkeit und Teilhabe in einer sich wandelnden Welt möglich sind?  Diese Frage steht nicht nur im Zentrum unseres diesjährigen Reinhard Mohn Preises, sondern wurde auch auf unserer Podiumsdiskussion „Produktivität 4.0: Wettbewerbsfähigkeit und Teilhabe in einer sich wandelnden Welt“ in Berlin intensiv diskutiert. 

„Deutschland ist verschnarcht“ – was sich ändern muss

Zur Diskussion saßen die führenden Köpfe der Arbeitnehmer- und Unternehmensverbände mit am Tisch: Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes, und Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, diskutierten gemeinsam mit Nicola Brandt, Leiterin der OECD in Berlin und Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, über notwendige Weichenstellungen für die Zukunft.

„Dieses Land ist verschnarcht,“ so fasste es der BDI-Vorsitzenden Kempf prägnant zusammen. Damit kritisierte er, dass der dringend notwendige Ausbau der 5G-Netze viel zu langsam vorankomme. Doch damit nicht genug. Beim Thema Infrastruktur waren sich alle Teilnehmer einig, dass die Politik mehr Geld in die Hand nehmen müsse, um die digitale und Verkehrsinfrastruktur schleunigst auszubauen. Auch die soziale Infrastruktur von Kindergärten bis hin zu Gesundheitseinrichtungen – gerade im ländlichen Raum – dürfe nicht weiter ausbluten, fügte DGB-Chef Hoffmann hinzu.

Von links: Ursula Weidenfeld, Journalistin und Moderatorin der Veranstaltung; Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie; Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes; Nicola Brandt, Leiterin der OECD in Berlin; Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

Disruption statt Tradition: deutsche Unternehmen müssen mehr wagen

Aber auch die Wirtschaft müsse deutlich mehr investieren und sich öffnen. „Es gibt einen Investitionsstau in den Köpfen.“ Mit diesem Satz ging selbst BDI-Chef Kempf mit seiner eigenen Klientel hart ins Gericht. Die deutschen Unternehmen waren bislang Weltklasse darin, bestehende Produkte und Technologien inkrementell bis zur Perfektion weiterzuentwickeln. Doch das reicht heute nicht mehr. Heute dürfe man nicht mehr inkrementell, sondern müsse disruptiv denken.

Doch das sei in den Führungsetagen vieler – gerade mittelständischer – Unternehmen noch nicht angekommen. Das deckt sich auch mit Erkenntnissen der Bertelsmann Stiftung und der OECD, wie Nicola Brandt betonte. So werde in Deutschland deutlich weniger in Wissenskapital investiert, als in vergleichbaren Volkswirtschaften. Doch Investitionen in Forschung und Entwicklung, in Software, aber auch in die Organisation der Unternehmen seien dringend notwendig, um in der fortschreitenden Digitalisierung Schritt halten zu können.

Gelingt das nicht, driftet dieses Land auseinander. Bereits heute gebe es eine gespaltene Lohnentwicklung, so DGB-Chef Hoffmann. Arbeitnehmer in hochproduktiven Unternehmen verdienen sehr gut, während gerade im Dienstleistungsbereich die Lohnentwicklung zunehmend unterhalb der – bereits geringen – Produktivitätsentwicklung zurückbliebe.

Europa ist die Antwort

Wie kann also gegengesteuert werden? Die Antworten sind vielschichtig, doch für DIW-Präsident Fratzscher liegt die Antwort in Europa. Er fordert eine europäische Industriepolitik mit gemeinsamen Wettbewerbsregeln und den Abbau von nationalstaatlichen Regulierungen. Nur so können Deutschland und Europa im Wettbewerb mit den USA und China bestehen. Es bleibt spannend zu diskutieren, wie eine solche Industriepolitik aussehen kann.