Der Personalmangel in der deutschen Wirtschaft liegt weiterhin auf einem sehr hohen Niveau, wie die zum fünften Mal im Auftrag der Bertelsmann Stiftung durchgeführte Umfrage des Meinungs- und Marktforschungsunternehmens Civey zeigt. Daran ändert auch die anhaltende wirtschaftliche Schwäche nichts. 68 Prozent der Entscheider:innen in Unternehmen in Deutschland berichten von Fachkräfteengpässen in ihren Betrieben. Das sind ähnlich viele wie im Jahr 2023 (70 Prozent). Die Bedarfe unterscheiden sich je nach Branche, Qualifikation und Region. Vor allem die Nachfrage nach Personen mit Berufsausbildung bleibt hoch: 53 Prozent der befragten Betriebe melden hier Bedarf an, während knapp 30 Prozent von ihnen Akademiker:innen fehlen. Hinsichtlich der betroffenen Branchen gibt es kaum Veränderungen: An Fachkräften mangelt es vor allem im Bau und im Handwerk, im Tourismus sowie in der Alten- und Krankenpflege. Allerdings sinken die Bedarfe gegenüber dem Vorjahr in fast allen Branchen um 10 Prozentpunkte. Gleichzeitig bleiben die Unternehmen zurückhaltend bei der Rekrutierung ausländischer Arbeitskräfte und Auszubildender. Nur 18 bzw. 5 Prozent der Unternehmen nutzen dieses Instrument zur Arbeitskräftegewinnung.
Zuzug von Arbeits- und Fachkräften aus Drittstaaten verbleibt trotz weiterhin hoher Bedarfe auf Vorjahresniveau
Trotz der gesetzlichen Erleichterungen durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz steigt die Zahl der Erwerbsmigrant:innen im Jahr 2023 nicht weiter an. Die rund 70.000 zusätzlichen Arbeits- und Fachkräfte können die weiterhin sehr hohen Engpässe in den Unternehmen nicht decken. Der Fachkräftemigrationsmonitor 2024 schlüsselt die Erwerbseinwanderungszahlen und Unternehmensbedarfe detailliert auf.
Inhalt
Erwerbsmigration aus Drittstaaten steigt nicht weiter an
Zum Zwecke der Erwerbsarbeit reisten 2023 70.459 Personen aus Nicht-EU-Staaten nach Deutschland ein, die damit hinter dem Höchstwert des Vorjahres mit 71.046 zurückblieben. Gleichzeitig waren auch die Zahlen der anderen Zuwanderungsformen rückläufig: So kamen etwa 519.530 Menschen aus Fluchtgründen nach Deutschland (2022: 1.119.388). Weiterhin wird die Fluchtmigration nach Deutschland von Ukrainer:innen dominiert. Die Migration aus dem EU-Ausland ist derweil auf einem neuen Tiefstand von 466.500 Personen angelangt. Dieser Trend wird sich voraussichtlich fortsetzen. Umso bedeutsamer wird ein Anstieg von Erwerbsmigrant:innen aus Nicht-EU-Staaten. Diese kamen 2023 zu 43 Prozent aus Asien und hier insbesondere aus Indien und der Türkei. Des Weiteren wanderten 38 Prozent der Erwerbsmigrant:innen aus europäischen Nicht-EU-Staaten nach Deutschland ein, vor allem aus Westbalkan-Staaten. Die Erwerbsmigration aus afrikanischen Staaten blieb mit 6 Prozent weiterhin stark hinter ihrem Potenzial zurück.
Weibliche Erwerbsmigration bleibt hinter ihrem Potenzial
Weniger als ein Drittel der Erwerbsmigrant:innen (31,5 %), die nach Deutschland kommen, sind weiblich. Ihr Anteil unterscheidet sich nach Aufenthaltstitel und damit nach Zuzugsvoraussetzungen stark. Nur bei Fachkräften mit Berufsausbildung stellen Frauen die Mehrheit. Dieser Titel entfällt vor allem auf Pflegekräfte. Dabei steckt in weiblicher Erwerbsmigration ein erhebliches Potenzial, das auch durch den zunehmenden Zuzug von meist weiblichen, mitreisenden Ehepartner:innen (2023: 59.920 Personen) stärker genutzt werden kann. Eine weitere Möglichkeit zur Gewinnung ausländischer Arbeitskräfte liegt im Statuswechsel z. B. von Absolvent:innen von Berufsausbildungen oder Hochschulen hin zu Aufenthaltstiteln zum Erwerb. Zusätzliche, auch weibliche, Erwerbspotenziale jenseits der gezielten Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland, erläutert Susanne Schultz, Migrationsexpertin der Bertelsmann Stiftung, ergeben sich auch aus den anderen, im letzten Jahr stark genutzten Zuwanderungswegen wie der Bildungs-, Familien- und Fluchtmigration.
Das erweiterte Fachkräfteeinwanderungsgesetz kann nur in einer umfassenden Migrations- und Einwanderungspolitik wirken
Die sukzessive Erweiterung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes hat im vergangenen Jahr die rechtlichen Grundlagen für eine erleichterte Anwerbung aus dem Ausland geschaffen, unter anderem im Bereich der Anerkennung von Berufsqualifikationen sowie berufspraktischer Erfahrung. „Damit bietet das Gesetz eine gute Grundlage“, meint Expertin Susanne Schultz, die zusammen mit Christina Mecke von der Universität Osnabrück den Fachkräftemigrationsmonitor 2024 verfasst hat. „Es kommt jetzt entscheidend darauf an, die gesetzlich verankerten Instrumente konsequent und mit den benötigten Ressourcen umzusetzen, vor allem in den Ausländerbehörden und Auslandsvertretungen, flankiert von einer umfassenden Willkommenskultur. Angesichts des zunehmenden Arbeitskräfterückgangs durch den Renteneintritt der Babyboomer-Generation bekommt Zuwanderung aus Drittstaaten, neben der Aktivierung des inländischen Potenzials, eine Schlüsselrolle“, erläutert Schultz. Ausschlaggebend sei dabei eine engere Vernetzung von Unternehmen, Behörden und Zivilgesellschaft. Bessere Bleibeperspektiven und diskriminierungssensible Bedingungen sollten, insbesondere weibliche, ausländische Fachkräfte in Deutschland halten. Zudem bieten umfassende Migrationsabkommen mit den Herkunftsländern von Migrant:innen die Möglichkeit, gezielt Fachkräfte und Auszubildende zu gewinnen, auch im Sinne der Herkunftsstaaten.
Zusatzinformationen:
Der Fachkräftemigrationsmonitor 2024 analysiert die Zahlen zur Zu- und Abwanderung von Arbeits- und Fachkräften aus dem Ausländerzentralregister für das Jahr 2023, die auf der Personenstatistik der Ausländerbehörden basieren. Zugleich erhebt er zum fünften Mal die Einschätzungen der Unternehmen zu Fachkräfteengpässen und Rekrutierungspraxis mittels einer Online-Umfrage des Meinungsforschungsunternehmens Civey GmbH. Dafür befragte Civey zwischen Juni und September 2024 rund 7.500 beziehungsweise 500 Entscheider:innen aus deutschen Unternehmen mit einer Größe von mindestens zehn Mitarbeitenden.