2 Menschen sitzen vor einem Laptop und verfolgen die Zoom Time

Wirtschaftliches Potenzial innovativer Gründungen von Migrant:innen in Deutschland

Im Juni 2021 fand eine virtuelle Veranstaltung statt, auf der diskutiert wurde, wie das wirtschaftliche Potenzial innovativer Gründer:innen durch Migrant:innen in Deutschland besser gehoben werden kann.

In der vierten Migration Zoom Time als digitale Version des erfolgreichen Veranstaltungsformats Migration Lunch Time kam ein breiter Teilnehmer:innenkreis aus Bundesverwaltung, Politik, Verbänden, Zivilgesellschaft, Medien, Wissenschaft, Gründer:innen und Startup-Community zusammen, um zu diskutieren, wie das große Potenzial innovativer Gründungen durch Migrant:innen noch besser zur Entfaltung gebracht werden kann.

Dr. Susann Schäfer vom Institut für Geographie der Friedrich-Schiller-Universität Jena stellte auf Grundlage der im Mai veröffentlichten Studie „Innovative Gründer:innen mit Migrationserfahrung in Deutschland“ Herausforderungen für innovative Gründer:innen mit Migrationserfahrung dar. Außerdem zeigte sie Handlungsoptionen auf, um diese Ressource noch besser zur Geltung zu bringen. Dr. Oliver Koppel, Senior Economist für Innovationen und MINT, Institut der Deutschen Wirtschaft Köln, präsentierte Ergänzungsmöglichkeiten der Studie auf Grundlage der Publikation „Migration hält Deutschlands stotternden Innovationsmotor am Laufen“. Danach brachte Dr. Alexander Hirschfeld, Teamleiter Research, Bundesverband Deutsche Startups, seine Perspektive ein. Dabei berief er sich auf den Migrant Founders Monitor. Als dritte Kommentatorin teilte Sachiko Kayama, Gründerin des Tech-Startups KARO Labs, ihre Erfahrungen als ausländische Gründerin in Deutschland. Im Anschluss wurde die Diskussion für den gesamten Teilnehmer:innenkreis geöffnet.

Wichtige Ergebnisse der Diskussion waren die folgenden:

1. Innovative Gründungen durch Migrant:innen können auf unterschiedliche Weise empirisch erfasst werden

Für die empirische Erfassung von migrantischen Gründer:innen gibt es unterschiedliche Herangehensweisen. Die Studie „Innovative Gründer:innen mit Migrationserfahrung in Deutschland“ definiert die Zielgruppe als Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit, die ein Unternehmen gegründet haben, das Forschung und Entwicklung betreibt. Nur drei Prozent der innovativen Unternehmen in Deutschland haben eine:n ausländische:n (Mit-)Gründer:in, während ihr Anteil an allen Gründungen bei 17 Prozent liegt. Dieser enge Fokus unterschätzt jedoch manchen Einschätzungen nach das Potenzial innovativer Gründungen von Migrant:innen, denn viele besitzen auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Ein alternativer Ansatz ist es, Patentanmeldungen von Personen mit einem Namen aus einem anderen Sprachraum zu betrachten, wie es die Studie „Migration hält Deutschlands stotternden Innovationsmotor am Laufen“ macht. Demnach ist der Anteil der in Deutschland wohnhaften Erfindenden mit ausländischen Wurzeln an allen in Deutschland entwickelten Patenten zwischen 1994 und 2018 kontinuierlich von 3,8 auf 11,2 Prozent gestiegen. Eine weitere Möglichkeit, die Zielgruppe zu analysieren, wählt der Migrant Founders Monitor und erfasst Migrant:innen der ersten und zweiten Generation durch eine Umfrage. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass ihr Anteil an allen Startups bei 20 Prozent liegt (wohingegen ihr Anteil an allen Erwerbstätigen 25 Prozent ausmacht).

2. Auch auf Maßnahmenebene ist es wichtig, die Zielgruppe differenziert zu betrachten

Migrantische Gründer:innen sind ein heterogener Personenkreis mit unterschiedlichen Bedürfnissen. Deswegen ist es wichtig, die Zielgruppe zu differenzieren, um die verschiedenen Personenkreise auf Maßnahmenebene gezielt ansprechen zu können. Denn die Herausforderungen im Gründungsprozess stellen sich für die Untergruppen unterschiedlich dar. So gilt es zu unterscheiden zwischen:

  • Migrant:innen, die hier aufgewachsen sind. Sie haben in der Regel keine Probleme mit der deutschen Sprache, erfahren aber möglicherweise dennoch Diskriminierung.
  • Ausländische Studierende in Deutschland. Sie sind eine gründungsaffine Gruppe, v.a. Studierende im naturwissenschaftlichen Bereich. Um von diesem Potenzial zu profitieren, muss darauf geachtet werden, dass Studien- und Lehrkapazitäten in MINT-Fächern nicht ab-, sondern eher ausgebaut werden.
  • Personen, die nach Deutschland zuwandern möchten, um hier zu gründen. Für diese Gruppe muss Deutschland attraktive Gründungsökosysteme bieten, da viele von ihnen ansonsten in anderen Ländern gründen.

3. Gründer:innen mit ausländischen Wurzeln sehen sich mit besonderen Herausforderungen konfrontiert

Das (implizite) Voraussetzen deutscher Sprachkenntnisse und häufig unklare bürokratische Strukturen stellen vielen ausländische Gründer:innen vor Herausforderungen. Zudem ist bei der Etablierung einer sogenannten Willkommenskultur in Deutschland weiterhin Luft nach oben. Denn Vorurteile oder gar Diskriminierung sowie risikoaverse Finanzierungsstrukturen, die eher deutsche Gründer:innen und Produkte für den deutschen Markt unterstützen, stehen erfolgreichen ausländischen Gründungen entgegen. Außerdem weist Deutschland im internationalen Vergleich Attraktivitätsdefizite auf, da es nicht durchgängig einen guten Ruf als einwanderungs- und gründungsfreundliches Land hat und der deutschsprachige Markt deutlich kleiner als der englischsprachige ist.

4. Das Ausländerrecht spielt eine wichtige Rolle für Erfolg oder Misserfolg von Gründungen durch ausländische Staatsangehörige

Einerseits ist die Aufenthaltserlaubnis für ausländische Absolventen deutscher Hochschulen ein wichtiger Habenfaktor, der potenziellen Gründer:innen ermöglicht, eineinhalb Jahre in Deutschland zu bleiben und ihre Gründungsidee zu verfolgen. Andererseits gibt es auch aufenthaltsrechtliche Hindernisse, die die Gründungsaktivität von Ausländer:innen behindern. So können Selbstständige nicht vom sogenannten beschleunigten Verfahren profitieren. Dieses sieht das Fachkräfteeinwanderungsgesetz vor z.B. für Fachkräfte mit Hochschulabschluss oder Berufsausbildung, denen ein konkretes Arbeitsplatzangebot vorliegt. Auch gibt es keine spezielle Einreiseregelungen für Startups und innovative Unternehmen, wie das in anderen Ländern, wie z.B. Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden, der Fall ist. Aufgrund der hohen Komplexität des Aufenthaltsrechts wäre eine aufenthaltsrechtliche Beratung für ausländische Gründer:innen durch spezialisierte Beratungsstellen empfehlenswert. In der Praxis kommt es auch vor, dass ausländische Gründer:innen von Förderprogrammen ausgeschlossen werden, da ihre Aufenthaltserlaubnis nicht die geforderte Gültigkeitsdauer aufweist. Aus diesem Grund gibt es bereits Projekte, die ausländischen Gründer:innen ein Anstellungsverhältnis anbieten, das es ihnen erlaubt, ihre Geschäftsidee zu verfolgen.

5. Deutsche Gründungsökosysteme müssen attraktiver werden

Um (innovative) Gründer:innen aus dem Ausland zu gewinnen, müssen die deutschen Gründungsökosysteme attraktiv sein. Ansonsten läuft man Gefahr, dass diese Potenzialträger:innen ihr Unternehmen in einem anderen Land aufbauen. Um die Attraktivität des Startup-Standortes Deutschland zu steigern, sind inklusive Förder- und Finanzierungsstrukturen eine zentrale Notwendigkeit. Ein weiterer Faktor ist die Auflösung des Zielkonflikts zwischen einer komplexen Bürokratie auf der einen Seite und der dynamischen Welt der Gründer:innen, in denen Entscheidungen schnell getroffen werden müssen, auf der anderen Seite. Digitale Strukturen und Formulare würden dabei helfen. Außerdem müssen die Leistungen migrantischer Gründer:innen sichtbarer gemacht werden, z.B. durch das Hervorheben von Rollenmodellen. Zudem muss es Arbeitsmöglichkeiten für mitziehende Familienmitglieder und Unterstützung bei Alltagsaufgaben, wie der Schulfindung, geben. Eine konkrete Idee für die Attraktivitätssteigerung Deutschlands wäre, dass der von ausländischen Gründer:innen bei der zuständigen Ausländerbehörde einzureichende Business Plan, der von der lokalen Industrie- und Handelskammer geprüft wird, auch auf Englisch verfasst werden kann. Die englischen Business Pläne könnten überdies von einem bundesweiten Gremium geprüft werden. Das würde für gleiche Kriterien und mehr Fairness bei der Beurteilung von Business Plänen sorgen. Des Weiteren sollten Beratungs- und Unterstützungsstrukturen ausgebaut und eine zielgruppenorientierte Vernetzung ermöglicht werden. Dabei sollten auch Angebote speziell für ausländische Gründer:innen geschaffen werden.