Gruppenbild der 3. Weimarer Gespräche

3. Weimarer Gespräche: Wir brauchen eine echte Partizipationskultur

Bereits zum dritten Mal richteten das Programm Demokratie und Zusammenhalt der Bertelsmann Stiftung und die Deutsche Nationalstiftung gemeinsam die „Weimarer Gespräche“ aus. Passend zum Jahresthema „Demokratie“ der Bertelsmann Stiftung fand der Austausch in diesem Jahr zum Thema „Die Zukunft der Demokratie in der Einwanderungsgesellschaft“ statt.

Ansprechpartner:in

Im Festsaal des Weimarer Rathauses begrüßte Oberbürgermeister Peter Kleine die rund 20 Gäste aus Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Medien und Kultur. Kleine gab in seiner Begrüßung Einblicke in die politische Lage in Thüringen und Weimar. Anschließend führte Daniela Schwarzer, Vorständin der Bertelsmann Stiftung, ins Thema ein, indem sie darlegte, wie die Demokratie zurzeit in Deutschland und weltweit unter Druck steht. Liberale Demokratien hätten zunehmend ein Repräsentationsproblem, insofern das Vertrauen in Personen und Institutionen schwinde und Teile der Bevölkerung eine Distanz zu verantwortlichen Politiker:innen empfänden. Zentrale Konfliktarenen seien sozio-ökonomische Ungleichheit, die ökologische Transformation mit ihren wahrgenommenen und tatsächlichen Kosten, die Sicherheitspolitik mit Blick auf den russischen Angriffskrieg sowie Migration, durch die sich die Zusammensetzung des Demos ändere und die Frage der Repräsentation verschärfe.

Diskussion über gesellschaftliche Polarisierung, politische Partizipation und zivilgesellschaftliches Engagement

In drei Sessions, die von Ulrike Wieland und Ulrich Kober von der Bertelsmann Stiftung sowie von der Geschäftsführerin der Deutschen Nationalstiftung Agata Klaus moderiert wurden, diskutierten die geladenen Expert:innen über die Frage der Polarisierung der Gesellschaft, die politische Partizipation von Zugewanderten und ihren Nachkommen sowie die Rolle der Zivilgesellschaft für eine resiliente Demokratie. Impulse für die Diskussion lieferten Ulrike Wieland, Senior Expert im Programm „Demokratie und Zusammenhalt“ der Bertelsmann Stiftung, Andreas Wüst, Professor für Politikwissenschaft an der Hochschule München, sowie Paulina Fröhlich, stellvertretende Geschäftsführerin des Progressiven Zentrums.

Demokratie ist kein „Ost-Thema“

Die Diskutant:innen waren sich einig, dass in Deutschland bisher keine Spaltung der Gesellschaft vorliege, aber eine Fragmentierung zu beobachten sei, was sich vor allem in der Entwicklung der Parteienlandschaft widerspiegele. In den Diskursen im Internet, etwa auf Social Media-Plattformen, zeigten sich jedoch durchaus starke Polarisierungstendenzen, und es müsse dringend gehandelt und mehr investiert werden, um dem entgegenzuwirken. Die gesellschaftliche Debatte über eine Spaltung zwischen Ost- und Westdeutschland wiederum trage inzwischen bisweilen diskriminierende Züge: Demokratie bzw. deren Gefährdung sei kein reines „Ost-Thema“. Zudem gelte es, ostdeutsche und migrantische Perspektiven stärker zusammenzudenken statt sie stets in einen Gegensatz zueinander zu bringen. Denn beide Bevölkerungsgruppen teilten durchaus bestimmte Erfahrungen, wie den Anpassungsdruck an eine westdeutsch geprägte Mehrheitsgesellschaft und eine unzureichende Repräsentation in der Politik und in Organisationen. In einem aktuellen Policy Brief anlässlich der Weimarer Gespräche stellen Ulrike Wieland und Ulrich Kober die Ähnlichkeiten und Unterschiede in den Wahrnehmungen und Einstellungen der Bevölkerung in West- und Ostdeutschland zum Thema Migration dar (Download).

Echte Partizipation statt „Tokenism“

Anhand aktueller Daten konnte Andreas Wüst in seinem Hintergrundpapier für die Weimarer Gespräche (Download) zeigen, dass sich die Lage bei der politischen Partizipation von Eingewanderten und ihren Nachkommen im Zeitverlauf deutlich verbessert hat. Gleichzeitig sei die Akzeptanz von migrationsbedingter Vielfalt in der Gesellschaft bis heute nur teilweise verwirklicht, und es zeigten sich noch immer Defizite z.B. bei der Repräsentation und den Karrieremöglichkeiten von Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Wichtig sei, so die Diskussionsteilnehmer:innen, eine echte Partizipationskultur mit ernst gemeinten Angeboten zu etablieren. Zu oft handele es sich um „Tokenism“, d.h. nur scheinbare oder symbolische Anstrengungen, Angehörige marginalisierter Gruppen einzubeziehen oder zu repräsentieren. Unterstrichen wurden zudem die Bedeutung der Förderung von Netzwerken von Menschen mit ähnlichen biografischen Erfahrungen sowie eine stärkere Neuausrichtung der klassischen Parteiarbeit auf die Zielgruppen junger Menschen, von denen zudem inzwischen viele aufgrund der demografischen Entwicklung migrantische Perspektiven mitbringen

Finanzielle und rechtliche Sicherheit für zivilgesellschaftliches Engagement

Die dritte Runde der Diskussion drehte sich um die finanziellen und rechtlichen Rahmenbedingungen für den zivilgesellschaftlichen Einsatz für die Demokratie. Es wurde betont, dass es einerseits wichtig sei, dass zivilgesellschaftliche Organisationen zu einem gewissen Grad finanziell und somit in ihrem Handeln vom Staat unabhängig blieben. Andererseits stelle sich die Frage, wie das zivilgesellschaftliche Engagement angesichts der großen Herausforderungen für die Demokratie hinreichend gefördert werden könne, etwa wenn fraglich sei, ob das von der Bundesregierung geplante Demokratiefördergesetz umgesetzt werde. Auch über die Frage der Rechtssicherheit für Stiftungen wurde diskutiert. Denn sie könnten unter Umständen Gefahr laufen, ihren Status der Gemeinnützigkeit zu verlieren, wenn ihr Engagement als Verstoß gegen das Gebot der parteipolitischen Neutralität eingestuft würde. Einen möglichen Beitrag zur Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements durch Arbeitgeber:innen sahen die Diskutant:innen darin, dass diese ihre Mitarbeiter:innen etwa durch die Bereitstellung eines Zeitbudgets und eine sichtbare Würdigung von freiwilligem Engagement incentivieren könnten.  

Die Ergebnisse der Weimarer Gespräche dienen als Impulse für die Stiftungsarbeit und fließen in die Planung weiterer Projektaktivitäten ein.

 

Fotos: Deutsche Nationalstiftung/Dominique Wollniok

Titelbild v.l.n.r.: Paulina Fröhlich, Prof. Dr. Hans Vorländer, Jennifer Wilton, Kübra Gümüşay, Dr. Elizabeth Beloe, Ulrich Kober, Agata Klaus, Prof. Dr. Daniela Schwarzer, Jochen Fasco, Jasmin Arbabian-Vogel, Linda Teuteberg, Prof. Dr. Andreas Wüst, Dr. Devrimsel Deniz Nergiz, Dr. Ulrike Wieland, Prof. Dr. Tarik Tabbara, Jana Hensel, Katja Knapwerth, Ezra Stöwing, Hüdaverdi Güngör

Policy Brief und Hintergrundpapier