Gespräch mit Hedwig Huschitt, Fachleiterin der Lehrerfortbildung der Bezirksregierung Düsseldorf
Gesprächsführung: Inge Michels und Angela Müncher
Sie sind die Koordinatorin für Vielfalt fördern in der Bezirksregierung Düsseldorf. Das ist mit 15 Regionen der größte aller Bezirke in NRW.
Hedwig Huschitt: So ist es. Wir haben Städte wie Düsseldorf dabei, in denen wir eine große Beständigkeit der Schulen haben, und weitläufige Kreise wie Wesel und Kleve, in denen in den vergangenen Jahren viel Bewegung in der Schullandschaft war, weil es viele Neugründungen gab. Diese bringen eine unglaubliche Dynamik mit sich, weil auch die alten Systeme merken, dass sie sich bewegen müssen. Deshalb wurde Vielfalt fördern auch von ihnen als ein willkommenes Projekt begrüßt.
Eine besondere Situation für die Moderatorinnen und Moderatoren, oder?
Hedwig Huschitt: Oh ja. Zum einen ist es natürlich eine Riesenchance für die Moderatorinnen und Moderatoren, in eine Schule im Aufbau zu kommen. Sie erleben dort eine besondere Dynamik, die sich zum Beispiel darin zeigt, dass gemeinsam überlegt wird, welche Schwerpunkte man setzen möchte, worauf man achten muss. Zum anderen ist es häufig so, dass Vielfalt fördern erst im zweiten, dritten Jahr an eine Schule kommt. Das bedeutet, es wurde bis zu diesem Zeitpunkt bereits viel überlegt, reflektiert und diskutiert – eventuell hat die Schule sich auch schon mehrere Inputs geholt. Das wiederum kann zur Folge haben, dass vieles von dem, was in Vielfalt fördern gemacht wird, mehr oder weniger bekannt klingt, selbst wenn es nicht systematisch vertieft wurde. In solchen Situationen muss ich als Moderator sehr anpassungsfähig sein.
Was bedeutet das konkret, anpassungsfähig zu sein?
Hedwig Huschitt: Die Moderatoren und Moderatorinnen müssen vor allem anderen würdigen können, was die Schule bereits gemacht hat. Sie sollten verschiedene Fäden aufnehmen und ggf. zusammenknüpfen können und gleichzeitig den Mehrwert verdeutlichen, der aus den Vielfalt fördern-Modulen kommt. Sie sollten die Steuergruppe als Solidar- oder Entwicklungspartner einbeziehen, und zwar einschließlich Schulleitung oder Fachkonferenzvorsitzen. Ich staune häufig, wenn ich die Moderatorinnen und Moderatoren erlebe: Was für ein breites Denken muss ich haben und was für eine hohe Professionalisierung und Gelassenheit brauche ich dafür, um so einen Prozess zu steuern! Keine einfache Aufgabe.
Sie sind für die Kompetenzteamleitungen bei Vielfalt fördern die wichtigste Ansprechpartnerin in der Bezirksregierung. Wie unterstützen Sie die Kompetenzteamleitungen, die Verantwortlichen in den Bildungsbüros und die Moderatorinnen und Moderatoren?
Hedwig Huschitt: Ich habe nicht das eine Modell des Vorgehens, das für alle Regionen gilt. Was für die eine Region unbedingt wichtig ist, braucht die andere nicht. Es hängt auch davon ab, mit welchen Personen die einzelnen Positionen in den Kommunen und Kreisen besetzt sind: ob sie über viel Erfahrung verfügen, ob sie schon eine große Nähe zu den Schulen haben, ob sie sich eher in der Projektdurchführung oder auf der inhaltlichen, personellen, strukturellen Ebene Unterstützung wünschen etc. Grundsätzlich bin ich mit allen unseren Projektregionen in einem engen Dialog – und ich finde, das ist das Entscheidende. Wenn mich zum Beispiel jemand fragt, wie der Stand in einer Region ist, dann kann ich ihm auf Abruf sagen, wie viele Schulen Vielfalt fördern durchlaufen und wo sie stehen. Ein anderes Beispiel: Wenn mich ein Kompetenzteam-Co-Leiter anruft und von Schule X berichtet, weil er ein Reflexionsgespräch braucht, um zu spiegeln, was gerade passiert ist, dann habe ich schnell vor Augen, wo er an dieser Schule ansetzen könnte, mit wem er ein Gespräch führen könnte und ob eine weitere, externe Sichtweise sinnvoll sein könnte.
Das klingt so, als agierten Sie im Hintergrund und seien dennoch nah dran.
Hedwig Huschitt: Genauso ist es. Zu signalisieren, dass man im Hintergrund immer ansprechbar ist, wenn die Regionen das brauchen, das ist mir wirklich wichtig. Das geht nur, wenn ich nah dran bin. Das heißt, ich mache viele Besuche und ich organisiere regelmäßig mindestens einmal im Halbjahr einen runden Tisch mit allen Akteuren.
Sind Sie dann mit allen Ebenen im Gespräch: den regional Verantwortlichen, den Moderatorinnen und Moderatoren und den Schulen?
Hedwig Huschitt: Mit den Schulen nur punktuell – da besteht ja ein direkter Draht zu den regionalen Ansprechpartnern. Aber mit allen anderen bin ich zumindest bei den runden Tischen im Gespräch. Es gibt dort eine einfache Struktur, anhand derer wir die Dinge besprechen. Zuerst kommen die Moderatorinnen und Moderatoren zu Wort. Sie berichten anhand von Leitfragen, wie sie den Prozess in der Schule in den vergangenen Monaten wahrgenommen haben. Anschließend erläutern sie, wie die Steuergruppe den Prozess der Schule steuert und wie die Schulleitung involviert ist. Schließlich besprechen wir herausfordernde Situationen und die Möglichkeiten, mit ihnen umzugehen.
Haben Sie ein konkretes Beispiel für eine herausfordernde Situation?
Hedwig Huschitt: Das Spektrum reicht von den normalen Herausforderungen – etwa bei einer Schule im Aufbau – bis hin zu Situationen, die hochexplosiv sind. So eine gab es einmal, als an einer Schule die Fortbildung evaluiert wurde. Eine grundständige Evaluation erfordert ja eine bestimmte Konzeption der Fragebögen; das war nicht überall zu vermitteln und führte zu einer ganz schwierigen Situation. Wir wussten: Wenn die Stimmung erst einmal anfängt zu kippen, dann ist es sehr, sehr schwierig, die Situation wieder einzufangen. Es besteht dann die Gefahr, dass man sich auf eine Grundsatzdiskussion zubewegt, die die gesamte Fortbildung infrage stellt. So eine Diskussion ist schwer aufzulösen, weil es gerade nicht mehr um Konsens geht, sondern nur noch um Entweder-oder. Um eine lange Geschichte auf den Punkt zu bringen: Wir haben dazu einen runden Tisch eingerichtet. In dessen Fokus stand die Frage: Wie kommt man aus hochexplosiven Situationen so heraus, dass keine Seite einen Gesichtsverlust befürchten muss. Das Ziel muss sein, dass jede Partei zu dem Ergebnis kommt: "Wir haben zwar einen Dissens in dieser Sache, gehen aber dennoch gut auseinander." Gelingt dies nicht, ist die Basis der Zusammenarbeit gefährdet. Und das ist eine hohe Herausforderung in jeder Fortbildung.
Hört sich wie eine Coaching-Situation an.
Hedwig Huschitt: lacht. Ich komme aus der Schulentwicklungsberatung, Coaching ist meine Leidenschaft. Deshalb weiß ich, wie wichtig es ist, Moderatorinnen und Moderatoren so zu stärken, dass sie sich Situationen nicht ausgesetzt fühlen. Ihre Aufgabe ist es, selbst in schwierigen Situationen handlungsfähig zu bleiben. Die Offenheit für die Transparenz anspruchsvoller Situationen ist natürlich nicht überall gleich ausgeprägt. Um solche offenen Runden mit den Moderatorinnen und Moderatoren durchführen zu können, ist eine große Offenheit der Co-Leitungen der Kompetenzteams notwendig. Manche möchten Probleme auch lieber ohne Bezirksregierung lösen. Das ist okay und hängt von der Antwort auf die Frage ab, ob ein Blick von außen helfen kann oder nicht.
Haben Sie eigentlich direkten Kontakt mit den Schulen?
Hedwig Huschitt: In der Regel haben die Moderatorinnen und Moderatoren sowie die Verantwortlichen vor Ort den direkten Kontakt in die Schulen; das sind also vor allem die Kompetenzteam-Co-Leitung und auch die Verantwortlichen in den Bildungsbüros. Sie führen zum Beispiel die Schulbesuche durch, die mindestens einmal im Jahr stattfinden. Im Mittelpunkt steht der Dialog, auch Verantwortlichkeiten werden reflektiert ebenso wie der Prozess.
Gab es Rückmeldungen aus den Schulen der ersten Durchgänge, die dazu beigetragen haben, dass Vielfalt fördern sich weiterentwickelt hat?
Hedwig Huschitt: Oh ja! Am Anfang ging das Programm aus meiner Sicht zu starr mit den Inhalten um. Deshalb wurden die Module häufig als wenig anpassungsfähig für die spezifische Situation der Schule wahrgenommen. Das hat sich geändert – nun gibt es eine gute Balance zwischen Input und Mitgestaltung. Man sollte stets bedenken: Menschen müssen neue Informationen oder auch Vorgaben zu ihrem Eigenen machen können. Impulse, Fragestellungen und Know-how sind die Basis der Entwicklung. Erst dann und darauf aufbauend kann ein Prozess gemeinsam gestaltet werden. Hier hat Vielfalt fördern gezeigt, wie lernfähig eine Fortbildung sein kann.
Wie gehen die Regionen eigentlich vor, wenn die begleitete Fortbildungsphase an den Schulen abgeschlossen ist?
Hedwig Huschitt: Mit einem Satz: Sie halten den Kontakt mit den Schulen – sehr aktiv übrigens. Ihre Frage beleuchtet eine kritische Phase: Es kann leicht passieren, dass die Unterrichtsentwicklungsprozesse, die durch die Fortbildung in Gang gekommen sind, im Alltag untergehen. Deshalb ist der Kontakt so wichtig. Da reicht es schon, hin und wieder anzufragen, ob eine Projektschule sich nicht zum Beispiel an einem Inklusionstag beteiligen möchte, der in der Region stattfindet. So hat man einen niedrigschwelligen Grund für eine Kontaktaufnahme und weist gleichzeitig auf ein Thema hin, das einen Bezug Vielfalt fördern hat. Meines Erachtens ist hier der persönliche Kontakt über die Projektmoderatoren ein guter und wichtiger Weg. Sie können so den Kontakt zur Steuergruppe halten, vielleicht auch mal einen Reflexionstermin anbieten und halten den Faden in der Hand.
Thema "Nachhaltigkeit": Kann man mit solchen niedrigschwelligen Angeboten schon davon ausgehen, dass es mit der Unterrichtsentwicklung weitergeht?
Hedwig Huschitt: Nicht allein. Damit es weitergeht, ist eine Sache wichtig: Weniger ist mehr. Die Schule sollte sich erst einmal auf die Umsetzung einiger weniger Ziele konzentrieren, die die Moderatorinnen und Moderatoren gemeinsam mit der Schule vereinbaren. Und: Es sollte ein Besuch der Schule durch das begleitende Moderatorenteam und die Co-Leitung des Kompetenzteams nach einem Jahr vereinbart werden. Dort kann nachgehakt werden, an welchen Themen die Schule weitergearbeitet hat und wo sie Unterstützung braucht. Das kann zäh sein, aber letztlich ist es wichtig und insbesondere dann lohnenswert, wenn dadurch bestimmte Entwicklungen sichtbar werden.
Die Schulen sind da sicherlich auch sehr unterschiedlich, stecken in unterschiedlichen Startlöchern, um einen Vergleich aus dem Sport zu nehmen.
Hedwig Huschitt: Das ist ganz sicher so. Während eine Schule wie die Gesamtschule Uerdingen Vielfalt fördern ganz systematisch zum Aufbau von Strukturen und der eigenen inhaltlich-pädagogischen Ausrichtung nutzte, reagierten andere Schulen erst einmal irritiert. Manche wurden durch das Projekt ja fast aus dem Dornröschenschlaf geweckt, die haben sich dann durch das Projekt gerieben. Aber auch das ist wertvoll. So hatten sie die Möglichkeit, ihr Tun zu überdenken. Sie durften überlegen: Muss ich justieren, muss ich was ändern oder fühle ich mich bestätigt? Je nachdem, wie die Antworten ausfielen, starten sie ganz unterschiedlich in die Phase der Nachhaltigkeit.
Vielfalt fördern brachte nicht nur Reflexion sondern auch theoretischen Input in die Schulen. Das ist nicht immer mit Freude aufgenommen worden.
Hedwig Huschitt: Das stimmt. Es gab viele Diskussionen zwischen Schulen und Moderatoren. Wir wollten über Vielfalt fördern noch einmal den kognitiven Anspruch an Fortbildung hervorheben können. Die Schulen haben jedoch zurückgemeldet, dass es in dem theoretischen Input teilweise einfach zu viele Folien waren. Dabei muss ich als Lehrkraft doch auch wissen, welche aktuellen fachwissenschaftlichen Erkenntnisse es gibt. Ich kann nicht nur mein Wissen von vor 30 Jahren mit mir rumschleppen. Es gehört zu unserem Alltagsgeschäft als Fortbildner, dass wir versuchen, durch Kooperationen mit Universitäten wissenschaftliche Erkenntnisse über Fortbildung in die Schulen reinzutragen.
Auch die Moderatorinnen und Moderatoren waren nicht immer angetan von der Fülle der Materialien, die ihnen zur Verfügung gestellt wurden, oder?
Hedwig Huschitt: Stimmt, ich erinnere mich an manche Dialoge: "Das geht ja gar nicht! Wie soll ich 120 Bücher lesen?" Die Kollegin meinte damit die Hintergrundinformation, den Seminarapparat. Und ich bin dann ins Schwelgen geraten und habe gesagt: "Wie großartig, dass ihr das dürft, dass euch ein Seminarapparat zur Verfügung gestellt wird!" Das fanden die Moderatorinnen und Moderatoren aber nicht witzig. Allerdings muss ich auch sagen, dass die Präsentationen in den ersten Durchgängen noch sehr dicht waren. Sie sind erst im Laufe der Zeit aufgrund der Rückmeldungen deutlich entschlackt worden. Das hat es letztlich nicht nur den Schulen, sondern auch den Moderatoren einfacher gemacht, die Theorie praxisrelevant einzubringen. Außerdem war es so einfacher, die roten Fäden zu finden und die Projektphilosophie zu verstehen. Dadurch haben sich natürlich auch die Moderatorinnen und Moderatoren professionell weiterentwickelt.
Erzählen Sie doch mal, was aus den Moderatorinnen und Moderatoren geworden ist.
Hedwig Huschitt: Wenn ich mir die Gruppe nach mehreren Durchgängen heute ansehe: Ganz toll! Es gibt eine richtig hohe Identifikation mit dem Projekt und sie haben sich zu einem super Team entwickelt. Allerdings sind nicht mehr alle Kolleginnen und Kollegen dabei, denn solche Landesmaßnahmen sind natürlich auch ein Sprungbrett für die eigene Karriere. Eine Moderatorin ist inzwischen stellvertretende Schulleiterin, eine andere ist Fachleiterin geworden. Junge Menschen entwickeln sich durch solche Maßnahmen, werden von ihren Leitungen wahrgenommen und bekommen dann Karriereoptionen angeboten – was uns ja auch freut.
Zusammenfassend heißt das ja eigentlich: Die Schulen haben im Programm viel gelernt, Vielfalt fördern hat den Anspruch, ein lernendes Projekt zu sein, umgesetzt, die Moderatorinnen und Moderatoren haben eine tolle Qualifizierung bekommen. Bleibt die Frage: Was haben Sie selbst durch Vielfalt fördern gelernt?
Hedwig Huschitt: (lacht) Ich bin seit fünf Jahren dabei. In dieser Zeit habe ich noch einmal mein Führungsverständnis reflektiert und viel über Strukturen gelernt. Ein ganz großes Plus von Vielfalt fördern ist für mich, dass sich die Schulen in einem demokratischen Entscheidungsprozess für oder gegen das Projekt entscheiden sollen. Aus diesem Entscheidungsprozess habe ich als Fortbildnerin sehr viel über die Entscheidungskulturen in Schulen erfahren. Wie kommt das System Schule zu einer Entscheidung? Wie steuert eine Schulleitung einen Entscheidungsprozess? In welcher Schrittigkeit muss sie das machen? Welche Strukturen muss sie aufbauen, damit ein Entscheidungsprozess wirklich solide ist? Welche Möglichkeiten stellt sie zur Verfügung, damit in diesen Strukturen inhaltlich pro und contra diskutiert werden kann? Im Grunde genommen ist dieser Prozess schon ein Teil von Vielfalt fördern, der für die Demokratiefähigkeit des Systems Schule nicht hoch genug zu bewerten ist.