Bürgerdialog, Tische, Dolmetscher

EU-Gipfel mal anders: Bürgerdialog in Den Haag

Rund eine Woche vor den Europawahlen haben wir gemeinsam mit der EU-Kommission in Den Haag zum großen EU-Bürgerdialog eingeladen. 120 zufällig ausgewählte Europäer aus fünf Ländern diskutierten in vier Sprachen über ein Thema: Europa. Dass aus der Veranstaltung kein babylonisches Sprachgewirr, sondern ein echter Europadialog wurde, lag auch am grenzüberschreitenden Interesse für Europa und zahlreichen Dolmetschern.

Foto Dominik Hierlemann
Dr. Dominik Hierlemann
Senior Advisor
Foto Anna Renkamp
Anna Renkamp
Senior Project Manager

Ein großer Saal in eindrucksvoller Kulisse, Kameras, Dolmetscherkabinen, EU-Flaggen und ein internationales Sprachgewirr am Eingang: Wer letzte Woche zufällig das "Louwman Museum" in Den Haag besuchte, konnte leicht den Eindruck gewinnen, ein offizieller EU-Gipfel stehe kurz bevor. Doch statt 28 Staats- und Regierungschefs diskutierten und debattierten hier 120 Europäer aus fünf Ländern über ihre persönlichen Wünsche, Kritik und Zukunftsvisionen für ein vereintes Europa. Das Besondere: Bürgerinnen und Bürger aus den Niederlanden, Belgien, Frankreich, Deutschland und Irland wurden in einem speziell ausgetüftelten Auswahlverfahren so eingeladen, dass sich Ältere und Jüngere, Akademiker und Auszubildende, EU-Kritiker und EU-Befürworter gegenüberstanden. So war die Grundlage für einen lebhaften Gipfel-Dialog gelegt.

Damit alle miteinander auf Augenhöhe diskutieren konnten, musste jeder die Ohren spitzen. Die gesamte Veranstaltung wurde von Dolmetschern begleitet, die mit den Bürgern an den Tischen saßen und jedes Wort in eine der vier Landessprachen der Teilnehmer übersetzten. Jeder kam zu Wort und jeder konnte in der eigenen Sprache sprechen. So trafen sich in Den Haag unter anderem ein Krankenpfleger aus Antwerpen, eine Studentin aus Münster oder ein Informatiker aus Nantes und konnten über Sprachbarrieren hinweg, wie bei einem echten EU-Gipfel, miteinander diskutieren und streiten.

Über Grenzen hinweg: Europa im Dialog 

Die Veranstaltung bildete den vorläufigen Abschluss unserer europaweiten Dialogreihe, die wir seit 2018 gemeinsam mit Vertretern der EU-Kommission in Frankfurt Oder, Passau und nun in Den Haag umgesetzt haben. Im Louwman Museum diskutierten die Teilnehmer aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Irland und den Niederlanden über drei großen Themen: soziales, digitales und globales Europa. Verteilt auf diese drei Themen wurden alle Teilnehmer in kleine Gruppen aufgeteilt, um ihre Anliegen darzustellen. Nach den ersten internen Debatten konnten sie ihre wichtigsten Ideen und Fragen dann mit verschiedenen EU-Experten besprechen: Zunächst mit zwölf EU-Vertretern, darunter Botschafter oder Kommissionsmitarbeiter. Danach war die finale Debattierrunde im gesamten Plenum angesetzt: Mit Ann Mettler, Generaldirektorin des "Europäischen Zentrums für Politische Strategie" – einem Think-Tank der EU-Kommission –  konnten die Teilnehmer jeweils die wichtigsten Themen und Thesen aus ihren Gruppen diskutieren.

Fortschritt für alle: Was kann die EU konkret verbessern? 

Die einzelnen Fragestellungen waren fast so vielfältig wie die Europäische Union selbst: Brauchen wir einen europäischen Mindestlohn? Wie kann die EU die Zuwanderung effizient und solidarisch steuern? Wie umgehen mit Internet-Giganten wie Facebook oder Google, die unser Leben täglich beeinflussen, sich aber der konkreten Regulierung durch ein internationales Firmengeflecht oft entziehen?

Immer wieder wurde dabei ein typisches EU-Problem hörbar: Viele Entscheidungen, die scheinbar aus "Brüssel" kommen, werden tatsächlich durch die Staats-und Regierungschefs der Mitgliedsländer gefällt, die jeweils nationale Kompetenzen und Wähler im Blick haben. So seien zum Beispiel Sozialstandards, wie ein Mindestlohn oder europaweite Arbeitslosenhilfen ein überlegenswertes Projekt, so Ann Mettler, aber die Kompetenzen dafür lägen bei den Nationalstaaten und diese seien selten daran interessiert, solche Hoheitsgewalten abzugeben. 

Dennoch, betonte die Generaldirektorin, seien Europas Sozialstandards weltweit einzigartig: "Wir Europäer machen nur sechs Prozent der Weltbevölkerung aus, aber sind für rund die Hälfte der weltweiten Sozialausgaben verantwortlich", so Mettler. Dies allein sei eine beispiellose Erfolgsgeschichte Europas in puncto Lebensstandard, die keiner für selbstverständlich halten sollte.

Bessere Bildung für den Umgang mit digitalen Medien

Angesprochen auf die Herausforderungen des digitalen und globalen Europas, plädierte Ann Mettler vor allem für mehr Bildungsinvestitionen, um Jugendliche früh mit den Chancen und Risiken digitaler Medien vertraut zu machen: "Jede Person, die Ihnen in unserer komplexen Welt einfache Lösungen verspricht, sollten Sie doppelt und dreifach hinterfragen. Dafür braucht es auch digitales Know-how", so die Generaldirektorin in Bezug auf die Gefahr von Meinungsmache und -manipulation im Internet vor den Europawahlen. 

Die EU sei im Bereich der Internet-Regulierung vor allen anderen Staaten oder Wirtschaftsblöcken mutig vorangeschritten: "Mit der Datenschutzgrundverordnung haben wir einen Goldstandard des Datenschutzes geschaffen, dem andere nun folgen müssen", so Ann Mettler. Dies sei einer der wesentlichen Vorteile der Europäischen Union: "Gemeinsam können wir global etwas bewegen."

Europa wählt: Bürgerdialoge schaffen Verständnis und Hintergrundwissen zur EU

Auch wenn an einem Tag nicht alle Fragen beantwortet werden konnten, so gab es doch am Ende der Veranstaltung ein sehr ermutigendes Zeichen für die Europawahl: Eine deutliche Mehrheit der Teilnehmer will in den nächsten Tagen zur Wahl gehen. Für welche Partei konkret, dass durfte natürlich jeder für sich behalten.

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