Therapeut und Patient vor Psychotherapeutenpraxis
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, Studie: Psychotherapeutensitze bedarfsgerechter verteilen

Die Planung der Psychotherapeutensitze muss sich stärker am regionalen Bedarf ausrichten. Zu diesem Befund kommt eine von der Bertelsmann Stiftung und der Bundespsychotherapeutenkammer in Auftrag gegebene Studie.

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Die Autoren zeigen, dass die systematische Einbeziehung epidemiologischer und sozio-demographischer Daten schrittweise zu einer regional ausgewogeneren und bedarfsgerechteren Versorgung mit niedergelassenen Psychotherapeuten führt. So unterschätzt die offizielle Bedarfsplanung den psychotherapeutischen Bedarf von Senioren um ein Vielfaches.

Erstmals untersucht die vom IGES-Institut und Prof. Dr. Frank Jacobi von der Psychologische Hochschule Berlin durchgeführte Studie, ob und wie die regionale Verbreitung (Prävalenz) psychischer Erkrankungen in die Planung des psychotherapeutischen Angebots einbezogen werden kann. Dazu wurden die wesentlichen sozio-demographischen Einflussfaktoren für Unterschiede bei der Prävalenz psychischer Störungen identifiziert. Signifikanten Einfluss haben die Faktoren: Alter, Geschlecht, Schulabschluss und Erwerbsstatus (s. Abbildung). Entsprechend ihrer Bedeutung für die Wahrscheinlichkeit psychisch zu erkranken wurden diese Faktoren mittels eines Bedarfsindex‘ auf die Kreise übertragen. So entstand eine Landkarte der geschätzten Prävalenz psychischer Erkrankungen in Deutschland.

Risikofaktoren für psychische Störungen

Deutlich mehr Senioren als vermutet benötigen Psychotherapie

Die Analyse der Daten zeigt, dass die Prävalenz im Alter deutlich höher ist, als die Inanspruchnahme psychotherapeutischer Angebote vermuten lässt. So weisen die Abrechnungsdaten, die auch dem Demographiefaktor der offiziellen Bedarfsplanung zugrunde liegen, eine siebenmal geringere Nachfrage der über 65-Jährigen im Vergleich zu den unter 65-Jährigen aus. Die Prävalenz psychischer Störungen ist aber bei Menschen über 65 nur um ein Drittel geringer als bei den unter 65-Jährigen. 

Der Rückschluss von der Inanspruchnahme auf den Bedarf, den die offizielle Bedarfsplanung vornimmt, erscheint mit Blick auf die epidemiologischen Befunde höchst fragwürdig.
Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte der Bertelsmann Stiftung

Soziodemographische Faktoren berücksichtigen

Die Studie untersuchte auch, welche Auswirkungen auf die Bedarfsplanung es hätte, wenn die regionalen Abweichungen bei der Psychotherapeutendichte sich ausschließlich an den Prävalenzunterschieden orientieren würden (s. Abb. rechte Karte). Dazu wurde eine bundeseinheitliche Verhältniszahl (Einwohner pro Psychotherapeut) definiert. Auf dieser Basis wurde bestimmt, in welchen Kreisen es – gemessen an der geschätzten Prävalenz psychischer Störungen – vergleichsweise (zu) viele und wo es eher (zu) wenige Psychotherapeuten gibt. Würde diese Logik der offiziellen Bedarfsplanung zugrunde gelegt, müssten einige tausend Psychotherapeutensitze in den Großstädten abgebaut und umgekehrt im Umland bzw. den ländlichen Regionen aufgebaut werden. Hierzu hat die Studie verschiedene Varianten berechnet.

Die stärkere Berücksichtigung sozio-demographischer Indikatoren, wie sie im Übrigen auch der Gesetzgeber einfordert, würde in jedem Fall zu einer bedarfsgerechteren Verteilung der Psychotherapeutensitze führen.
Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte der Bertelsmann Stiftung

Die offizielle Bedarfsplanung

Obwohl nur 25 Prozent der Bevölkerung in Großstädten lebt, praktiziert dort ungefähr die Hälfte aller niedergelassenen Psychotherapeuten. Bei keiner anderen Arztgruppe ist die regionale Ungleichverteilung so stark wie bei den Psychotherapeuten. Dabei ist es keineswegs so, dass psychische Erkrankungen häufiger in Großstädten auftreten. Deren Verbreitung spielt weder bei der Niederlassung der Psychotherapeuten noch bei der offiziellen Bedarfsplanung eine Rolle. Hier werden vielmehr die Verhältnisse, wie sie bei der Einführung des Psychotherapeutengesetzes 1999 vorgefunden wurden, einfach fortgeschrieben – ebenso die regional unausgewogene Verteilung der Psychotherapeutensitze. So legt die offizielle Bedarfsplanung unterschiedliche Verhältniszahlen zwischen städtischen und ländlichen Regionen fest. In der Stadt kommen auf einen Psychotherapeuten gut 3.000 Einwohner, auf dem Land sind es fast doppelt so viele pro Therapeut.

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