Das Krisenmanagement der Ukraine ist nach dem Rücktritt des Ministerpräsidenten und dem niederländischen Nein zum EU-Assoziierungsvertrag erneut gefragt. Drei Fragen an Ostap Semerak, erster stellv. Vorsitzender des Europa-Ausschusses in der Verkhovna Rada.
Nach dem Rücktritt des Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuk steht die Ukraine vor der Herausforderung, schnell eine neue, umsetzungsstarke Regierung zu bilden. Hinzu kommt der Schlag ins Gesicht, den das „Nein“ der Niederländer zum Assoziierungsvertrag den Ukrainern versetzt hat, die auch für Europa und seine Werte auf dem Majdan demonstriert und gekämpft haben. „Das Referendum in den Niederlanden hat gezeigt, wie leicht sich europapolitische Themen instrumentalisieren lassen“, so Aart De Geus, Vorsitzender des Vorstands der Bertelsmann Stiftung und ehemaliger Niederländischer Minister. „Hier ging es hauptsächlich um Kritik an Europa an sich, und nicht um die Ukraine. Europa muss die Ukraine weiter aktiv auf ihrem Weg hin zu Stabilität und Demokratie unterstützen und das DCFTA, also das Freihandelsabkommen der EU mit der Ukraine, bleibt ein wichtiges Instrument dabei.“
Wir baten Ostap Semerak, den ersten stellvertretenden Vorsitzenden des Europa-Ausschusses der Verkhovna Rada, des ukrainischen Parlaments, um ein kurzes Meinungsbild. Sein Fazit: Mögliche negative Effekte des niederländischen „Nein“ werden durch die Vorteile des seit Januar in Kraft getretenen Freihandelsabkommens mit der EU mehr als aufgewogen.
Bertelsmann Stiftung: Wie bewertet die ukrainische Öffentlichkeit das niederländische Referendum? Fühlen die Ukrainer sich allein gelassen, oder ist für sie das Ergebnis eher ein „Nein“ für die EU und ihre Art der Entscheidungsfindung?
Ostap Semerak: Die ukrainische Öffentlichkeit konzentriert sich eher auf schnelle Erfolge aus der provisorischen Anwendung des DCFTA. Dazu gehören Marktzugang für die Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie mit dem Ergebnis von Exportzuwächsen, der Schaffung von Arbeitsplätzen und einer stabileren nationalen Währung. Die erwartete Visaliberalisierung wird die Ergebnisse des Referendums aber noch stärker in den Schatten stellen. Diese Meinung teilt meines Erachtens die pro-europäische Öffentlichkeit, also mehr als 60 % der Befragten der neuesten Umfragen.
Bertelsmann Stiftung: Inwieweit beeinflusst dieses niederländische „Nein“ die Innenpolitik in der Ukraine?
Ostap Semerak: Kaum, da wir ja bereits dabei sind, ein neues Kabinett zu bilden. Die Ergebnisse des Referendums mögen langfristig im politischen Diskurs eine Rolle spielen, haben aber zum jetzigen Zeitpunkt keinen Einfluss auf Entscheidungen
Bertelsmann Stiftung: Werden euro-skeptische, pro-russische oder nationalistische Parteien im Land das „Nein“ der Niederländer instrumentalisieren?
Ostap Semerak: Ja, sicher. Aber dieses Thema wird ihrem üblichen Tenor von „unterschiedlichen Werten“ und „unterschiedlichem Schicksal“ keine neue Nahrung geben. Das Gerede um „Europa braucht uns nicht, und das Referendum hat das bewiesen“ ist nicht neu, und dieses Gerede wird gegenüber der Geschichte über die Vorteile des Freihandelsabkommens strategisch den Kürzeren ziehen.