Haben wir uns mit dem Euro übernommen? Droht in Folge das europäische Einigungswerk zu scheitern?
Die Veranstaltung fand im Rahmen des Projekts „Kompetenzen neu ordnen“ statt. Hier suchen wir faktengestützt nach Antworten auf die Frage: Wer was besser kann, die EU oder die Mitgliedstaaten?
Weniger Europa, ist mehr Europa?
Martin Winter stellte die Thesen seines jüngst erschienen Buches „Das Ende einer Illusion“ vor, in dem er eine ernüchternde Bilanz zog. Die EU habe sich nach Winters Ansicht mit dem Euro, mit der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und mit ihrer ungebremsten Erweiterung übernommen. Die Politik habe einerseits ihre Kraft zur Einigung des Kontinents überschätzt, und andererseits den Widerstand der Bevölkerung dagegen unterschätzt. Die einzige Chance der Europäischen Union bestehe laut Winter darin, sie neu, das heißt nüchterner und realistischer, zu denken. Die EU sollte sich daher nach Winters Auffassung auf wenige Aufgabenfelder konzentrieren, um die Fundamente der europäischen Einigung zu sichern und das Grundvertrauen der Bürger wiederherzustellen.
Mehr Einigkeit der Mitgliedstaaten und eine bessere Aufgabenverteilung führen zum Erfolg
Martin Schulz antwortete, dass es angesichts der zahlreichen Herausforderungen eigentlich Zeit für ihn sei, in Rente zu gehen. „Das schaffe ich nicht mehr umzusetzen“, fügte er lapidar hinzu. Er verwies auf einen logischen Fehler innerhalb der EU, die ein Produkt des Willens ihrer Mitgliedstaaten sei. Diese Mitgliedstaaten würden aber nur im Erfolgsfall Verantwortung übernehmen. Im Falle eines Scheiterns würde die Verantwortung immer auf „die EU“ geschoben. Daher habe nicht die EU, sondern hätten die Mitgliedstaaten im Krisenmanagement der vergangenen Jahre versagt. Insbesondere hätten diese keinen Willen zu einer Debatte über die Zukunft der EU gezeigt.
Schulz unterstütze Winters Vorschlag, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Im Sinne der Subsidiarität sollte die Politik stärker regional und lokal handeln. Er wünsche sich eine verbindlichere Einbindung der nationalen Parlamente in die europäischen Entscheidungsprozesse. Das auf nationaler Ebene bewährte Gewaltenteilungsmodell sollte auf eine entschlackte EU übertragen werden; die Kommission sollte zu einer europäischen Regierung umgewandelt werden. Die Schaffung eines europäischen Bundesstaates halte er allerdings für illusorisch. Zudem seien die nationalen Identitäten zu stark ausgeprägt, was nichts Schlechtes, sondern durchaus etwas Bewahrenswertes sei. Das von Winter geforderte Moratorium für die EU-Erweiterung lehnte Schulz hingegen strikt ab. Die Balkanstaaten und die Türkei bräuchten eine klare europäische Perspektive. Zum Thema „Brexit“ fügte Schulz an, dass diese Debatte durchaus positive Effekte für die Zukunftsdebatte der EU haben könnte.