Am 25. März 2017 feiert die Europäische Union 60 Jahre Römische Verträge. Vor dem Hintergrund des anstehenden Brexit und einer EU, die auf der Suche nach einer neuen Strategie ist, sprachen wir mit Federico Fabbrini, Professor für Europarecht, über die rechtlichen Herausforderungen der nächsten Zeit.
Die Entscheidung des Vereinigten Königreichs, aus der Europäischen Union auszutreten, ist beispiellos und wirft eine Reihe von politischen und rechtlichen Fragen auf. Wir sprachen mit Federico Fabbrini, Professor für Europäisches Recht an der School of Law and Government der Dublin City University.
Bertelsmann Stiftung: Mit Blick auf die Brexit-Verhandlungen und Artikel 50, was sind Ihrer Meinung nach die drei größten rechtlichen Unsicherheiten und wie können sie gelöst werden?
Federico Fabbrini: Eine erste Frage war, ob die britische Regierung Artikel 50 EUV allein auslösen und den Austrittsprozess ohne Beteiligung des britischen Parlaments beginnen könnte. Im Januar 2017 der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs entschied im Miller-Fall, dass das Referendum im Juni 2016 die britische Regierung nicht automatisch ermächtigte, den Austrittsprozess ohne Zustimmung des britischen Parlaments zu beginnen. Infolgedessen legte die britische Regierung dem Parlament einen Gesetzentwurf vor, dem das Unterhaus ohne Einschränkung zustimmte. Trotz der Bereitschaft des Oberhauses, Änderungsanträge vorzuschlagen, wurde der Entwurf schließlich am 13. März 2017 in seiner ersten Fassung vom Unterhaus gebilligt. Damit kann die britische Regierung wie geplant den Austrittsprozess nach Artikel 50 vor Ende März 2017 auslösen.
Eine zweite Frage betrifft die Austrittsverhandlungen selbst. Nach Artikel 50 EUV sollen diese sowohl den Austritt eines Mitgliedsstaates aus der EU-Rechtsordnung regeln, als auch die neue Beziehung zwischen diesem Land und der restlichen EU definieren. Artikel 50 EUV setzt einen zweijährigen Zeitrahmen, um sich in beiden Aspekten zu einigen. Danach ist das austretende Land nicht mehr Teil der EU, die sogenannte Klippe. Der Europäische Rat kann die Frist verlängern, dies bedarf jedoch einer einstimmigen Zustimmung der übrigen 27 Mitgliedstaaten. Die Verhandlungen über die Verbindlichkeiten werden strittig sein, und die EU hat noch nie ein umfassendes Handelsabkommen in zwei abgeschlossen. Deshalb ist es sehr ungewiss, ob sich das Vereinigte Königreich und die EU innerhalb des Zeitrahmens auf ein vollständiges Abkommen werden einigen können, das sowohl den Austritt und auch zukünftige Beziehung beinhaltet.
Drittens: Auch wenn das Vereinigte Königreich und die EU in der Lage sind, eine Vereinbarung abzuschließen, die sowohl die vergangenen als auch die künftigen Beziehungen abdeckt, gibt es einige Unsicherheiten in Bezug auf die Ratifizierung dieses Abkommens. Auf der Grundlage der EU-Verträge muss das Europäische Parlament das Abkommen ratifizieren und die britische Regierung hat sich verpflichtet, den Deal vor dem britischen Parlament einer "up-or-down"-Abstimmung vorzulegen. Wenn eines dieser Parlamente gegen das Abkommen stimmt, können die britische Regierung und die EU-Institutionen zurück an den Verhandlungstisch gezwungen werden oder die Verhandlungen scheitern lassen.
Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten, in dem einige Länder gemeinsam mit neuen Projekten vorangehen, während andere zurückbleiben, scheint in einigen EU-Mitgliedsstaaten an Unterstützung zu gewinnen. Wenn dies die offizielle EU-Strategie wird: Was bedeutet das für die gemeinsame europäische Rechtsordnung?
Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten fußt auf der Idee, dass alle Mitgliedsstaaten in die gleiche Richtung (zu einer „immer engeren Union“) marschieren, wenn auch unterschiedlich schnell. Die Realität ist jedoch, dass sich die Mitgliedstaaten in unterschiedliche Richtungen bewegen: Das Vereinigte Königreich hat sich zum Austritt entschlossen; die Option, dass Griechenland die Eurozone verlässt, hat die Reaktion auf die Euro-Krise bestimmt; und mehrere mittel- und osteuropäische Mitglieder verletzen demokratische Grundsätze wie Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Anders gesagt: Die EU-Mitgliedsstaaten haben keine gemeinsame Vision über das zukünftige Ziel des europäischen Integrationsprojekts.
Um den britischen Austritt zu verhindern, vereinbarte der Europäische Rat im Februar 2016 eine Sonderregelung für das Vereinigte Königreich innerhalb der EU. Diese Vereinbarung trug der Realität eines multidirektionalen Europas Rechnung, indem sie das Vereinigte Königreich von der Teilnahme an der "immer engeren Union" befreite. Nach dem Brexit-Votum der britischen Wähler hat es keine rechtliche Bedeutung mehr. Allerdings sollte die EU die Gefahren eines Auseinanderbrechens auch jenseits der britischen Frage stärker in den Blick nehmen und neue Formen des Zusammenhalts überdenken.
Das Interview in voller Länge finden Sie hier:
Die Publikation ist Teil des Forschungsprojekts "Repair and Prepare: Strengthen the euro" des Jacques Delors Instituts – Berlin und der Bertelsmann Stiftung.