In den letzten Jahren sind kontinuierlich Flüchtlinge nach Europa zugezogen: Zählte Eurostat 2008 noch rund 182.000 Asyl-Erstanträge in der EU, Schweiz und Norwegen, stieg die Zahl im "Krisenjahr 2015" auf rund 1,3 Millionen. Die meisten Anträge wurden – prozentual zu Bevölkerung – in Ungarn, Schweden, Österreich, Finnland, Norwegen und Deutschland gestellt. Die Unterschiede zwischen den Staaten sind erheblich, sowohl was die Zahl der Asylbewerber als auch die Gestaltung der Asylverfahren angeht. Die EU-Kommission bemüht sich daher um eine gemeinsame Asylpolitik, die wirksam, fair und human ist und hat vor der Sommerpause Vorschläge für eine Harmonisierung des Asylrechts vorgelegt.
In zwei Studien im Auftrag der Bertelsmann Stiftung analysieren Dietrich Thränhardt und Bernd Parusel, wie zwei der Hauptzuzugsländer von Flüchtlingen, die Niederlande mit 43.000 und Schweden mit 156.000 Asyl-Erstanträgen, durch das "Krisenjahr 2015" gekommen sind. Diese beiden Länder sind von besonderem Interesse für die Gestaltung von Asylverfahren: die Niederlande wegen ihres international beachteten Asylreformmodells und Schweden wegen seiner großzügigen Asylpolitik.
Die Niederlande reformierten ihr Asylsystem im Jahr 2010, um die Verfahren fair zu beschleunigen, was 2014 positiv evaluiert wurde. Das Reformmodell der Niederlande stand Pate bei der erfolgreichen Reform des Schweizer Asylsystems, die im Juni 2016 in einem Referendum durch die Schweizer Bevölkerung bestätigt wurde. In seiner Studie "Asylverfahren in den Niederlanden" analysiert Dietrich Thränhardt die Entwicklungen im westeuropäischen Land im vergangenen Jahr. Das erfolgreiche Modell geriet unter Druck, so dass die Regierung in Den Haag Ende des Jahres ankündigte, es neu zu organisieren. Die begleitende Rechtshilfe, die zur Effizienz und Fairness der Verfahren beigetragen hat, steht dabei infrage.
Einen Paradigmenwechsel in seiner großzügigen Flüchtlingspolitik hat angesichts des starken Zuzugs von Flüchtlingen im vergangenen Jahr Schweden vollzogen. Allein die Zahl der Asylanträge unbegleiteter Minderjähriger hatte sich binnen eines Jahres verfünffacht, von 7.000 in 2014 auf 35.000 in 2015. Bernd Parusel zeigt in seiner Analyse "Das Asylsystem Schwedens", dass Schweden sich stärker auf die restriktivere Praxis in anderen Ländern Europas zubewegt, um die Asylbewerberzahlen drastisch zu senken. So wurden bisher unbefristete Aufenthaltserlaubnisse von Asylberechtigten befristet und die Familiennachzugsrechte eingeschränkt. Der kostenlose Rechtsbeistand für Asylbewerber, der allerdings in Schweden erst beim Widerspruch gegen negative Entscheidungen greift, steht bisher nicht infrage.
Europa braucht vergleichbare Standards im Blick auf Effizienz und Fairness im Umgang mit Asylbewerbern. Ob die Bemühungen der EU-Kommission, die Asylverfahren zu harmonisieren, einen "race to the bottom" der Asylpraxis in Europa verhindern können, ist angesichts der erstarkenden populistischen Parteien in allen europäischen Ländern zurzeit allerdings fraglich. Zu schnellen und fairen Asylverfahren gibt es aber keine Alternative, um schutzbedürftigen Asylsuchenden, Aufnahmeländern in Europa und außereuropäischen Staaten, die die Hauptlast der aktuellen Fluchtbewegungen tragen, gleichermaßen gerecht zu werden.