Von Christian Mölling
Trumps Wiederwahl wirft Schatten nach Europa. Der alte Kontinent ist ohnehin so verwundbar wie schon lange nicht mehr. Es tobt der größte Landkrieg seit 70 Jahren und die wirtschaftliche Leistungskraft des Kontinents fällt zurück. Genau auf diese beiden zentralen Bereiche, Wirtschaft und Verteidigung dürfte ein Teil der Politik des nächsten Präsidenten zielen und Europa weiter unter Druck zu setzen. Man kann darüber spekulieren, ob persönliche Obsession Trump dazu antreibt, oder die kühle Rationalität seiner Berater, in Europas Schwäche den Vorteil der USA zu suchen. Aber dies lenkt davon ab, dass dies nur möglich ist, weil Europa es möglich gemacht hat: Europas Schwäche ist hausgemacht. Und es lenkt ab davon, dass Europa es immer noch selbst in der Hand hat, aus dieser Lage herauszukommen.
Das Glück im Unglück ist, dass, im Unterschied zum Blick auf die Hoffnungskandidatin Harris, nun jeder sich einig ist, dass es mit Trump wohl keine Kompromisse geben wird, bei denen Europa in seiner Komfortzone bleiben kann. Es kann nicht nur, es muss sich sogar selbst helfen.
Der hilflose Verweis auf die Erfüllung der NATO-Quote von 2% durch viele Staaten ist nicht nur Selbstbetrug sondern Selbstgefährdung. Alle europäischen NATO-Staaten wissen bereits heute, dass sie deutlich mehr ausgeben müssen, um sich gegen die naheliegendste Bedrohung zu wappnen: einen russischen Angriff auf NATO-Territorium. Und das gilt, selbst wenn die USA in Europa weiterhin engagiert blieben. Heben die USA ihre Sicherheitsgarantien auf, müsste Europa die Lücke in seiner Sicherheit selbst zusätzlich füllen. Ja, das geht nicht von heute auf morgen; und ja, das würde ein hohes Risiko bedeuten, Sicherheit selbst schultern zu müssen. Aber damit endlich zu beginnen ist immer noch sinnvoller, als alle vier Jahre auf die US-Wähler:innen zu hoffen, dass sie jemanden wählen, der oder die statt nur für Amerika auch noch auf Europa Acht geben sollen. Dieses Mal zumindest haben sich die Amerikaner anders entschieden und Europa nicht die höhere Priorität eingeräumt vor den eigenen Problemen.
Im wirtschaftlichen Bereich hat Draghi es vorgerechnet: Wieder wettbewerbsfähig zu werden, wird auch hier erstmal teuer. Gleichzeitig gilt für beide Bereiche: Wirtschaft und Verteidigung, dass die finanziellen Aufwendungen Investitionen in die zukünftige Verhandlungsfähigkeit mit den USA bedeuten können. Denn auch hier gibt es etwas zu gewinnen: Verhandlungsmasse gegenüber den USA. Wo man US-Angebote nicht annehmen möchte oder sich den US-Drohungen nicht beugen will, wird man die finanzielle Resilienz brauchen, einen Konflikt einzugehen und durchstehen zu können.
Die Ausweglosigkeit kann also die Möglichkeit schaffen, Europa so zu transformieren, sodass es danach erfolgreicher dasteht. Nicht nur gegenüber den USA, auch gegenüber anderen Akteuren im globalen Wettbewerb und bei der Abwehr von Gefahren und Erpressung im wirtschaftlichen und militärischen Bereich.
Deshalb sollte Europa um seinetwillen eine sicherheitspolitische Dekade für sich ausrufen: Einen auf zehn Jahre angelegten Plan, mit dem die Staaten und die Europäische Kommission die wesentlichen Schwächen in ihrer Sicherheit reduzieren oder sogar in Stärken transformieren. Dabei geht es um Geld – auch um viel Geld. Aber nicht nur. Die schwierigste Frage wird sein, wie glaubhaft Europa machen kann, dass es seine dann neu gewonnene militärische und wirtschaftliche Stärke auch als ein einiges Europa einsetzen würde.