Die Umrisse einer Batterie mit einem ausgestanzten Ladesymbol in der Mitte wird gegen das Sonnenlicht gehalten

Wie sich die Wirtschaft in Zeiten von Krieg und Klimawandel verändert

Die Menschen, die Gesellschaft, die Wirtschaft müssen sich anpassen, um endlich Wege aus der Klimakrise zu finden. Aber welches sind die richtigen Wege? Wie lassen sich Klimaschutz und Emissionsziele einerseits und eine wettbewerbsfähgige Wirtschaft andererseits miteinander vereinigen? Kurz: Was kann uns aus der Krise führen? Die Bertelsmann Stiftung leistet mit ihrer Expertise wichtige Beiträge zur Diskussion.

Expert:innen

Foto Jan C. Breitinger
Dr. Jan C. Breitinger
Senior Project Manager
Foto Andreas Esche
Andreas Esche
Director
Foto Armando García Schmidt
Armando García Schmidt
Senior Expert
Foto Sara Holzmann
Sara Holzmann
Project Manager
Foto Jakob Christof Kunzlmann
Jakob Christof Kunzlmann
Senior Expert
Foto Thieß Petersen
Dr. Thieß Petersen
Senior Advisor
Foto Daniel Posch
Daniel Posch
Project Manager
Foto Fritz Putzhammer
Fritz Putzhammer
Project Manager
Foto Birgit Riess
Birgit Riess
Director
Foto Daniel Schraad-Tischler
Dr. Daniel Schraad-Tischler
Director
Foto Marcus Wortmann
Dr. Marcus Wortmann
Senior Expert

Inhalt

Es reicht nicht: Wenn der Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen wie in den Jahren 1990 bis 2022 um durchschnittlich 15,5 Millionen Tonnen pro Jahr sinkt, dann schafft Deutschland nicht wie vorgesehen im Jahr 2045 die Klimaneutralität, sondern erst zwanzig Jahre später, nämlich im Jahr 2065. Der deutsche Beitrag zum 1,5-Grad-Ziel gerät damit endgültig aus dem Blick.

Zwei Optionen sind rein rechnerisch denkbar, um zumindest das deutsche Klimaziel doch noch im gesteckten Zeitrahmen zu erreichen. Variante 1: Wenn der Ausstoß von Treibhausgasen pro Euro Wirtschaftsleistung, die sogenannte Emissionsintensität, im gleichen Tempo zurückgeht wie in den vergangenen 30 Jahren, müsste das reale Bruttoinlandsprodukt pro Jahr um durchschnittlich mehr als sieben Prozent sinken. Variante 2: Lautet die Devise, dass das BIP wie in den vergangenen 30 Jahren im Schnitt um 1,25 Prozent pro Jahr wachsen soll, muss die Emissionsintensität bis 2045 um durchschnittlich mehr als elf Prozent pro Jahr zurückgehen.

Die Alternative ist, die Emissionen pro Euro Bruttoinlandsprodukt herunterzufahren, also Wirtschaftsleistung und Emissionen so weit wie möglich zu entkoppeln und damit die vermeintliche Logik zu durchbrechen, dass Wirtschaftswachstum immer auch klimaschädlich sein muss.  Was das bedeutet, haben unsere Expert:innen berechnet. Schwer verständlich? Mag sein. Aber wie Emissionen und Wachstum zusammenhängen, kann jeder ganz leicht selbst nachvollziehen – mit unserem Entkopplungsrechner. Und auf diese Weise visualisiert, sprechen die Ergebnisse eine deutliche Sprache.

Innovation

So viel ist ohnehin klar: Ohne Innovationen wird es nicht gehen. Und ausgerechnet hier hat die deutsche Wirtschaft Nachholbedarf. In den vergangenen drei Jahren ist der Anteil der innovativen Unternehmen in Deutschland  rapide zurückgegangen. Nur noch jedes fünfte deutsche Unternehmen kann heute als besonders innovativ bezeichnet werden. 2019 galt dies noch für jeden vierten Betrieb. Dagegen ist der Anteil der Unternehmen, die nicht aktiv nach Neuerungen suchen, von 27 auf 38 Prozent gewachsen. Wo besonders viel Nachholbedarf besteht, wie ein richtiges Umfeld für Innovationen aussehen muss, beschreiben unsere Experten in einer Studie über die innovativen Milieus in Deutschland. Wie wichtig Innovationen sind, warum sie eine Stärke der bekannten und heimlichen Weltmarktführer aus Ostwestfalen-Lippe ist, erklärt auch Almut Rademacher, Geschäftsführerin von OWL Maschinenbau, in unserem Podcast "Zukunft gestalten".   

Subventions-Wirrwarr

Hinderlich für die großen Ziele ist auch das Wirrwarr, das in der deutschen Subventionspolitik herrscht. Was wird eigentlich als Subvention gerechnet, welche Förderung fällt in der Übersicht einfach unter den Tisch. Der Abbau "überflüssiger, unwirksamer und klima- und umweltschädlicher" Subventionen ist jedenfalls Teil des Koalitionsvertrags. Doch die Vorzeichen für die Umsetzung stehen aus vielerlei Gründen denkbar schlecht. Fragt man das Umweltbundesamt (UBA), so gewährte der deutsche Staat 2018 41 Subventionen in Form von Finanzhilfen und Steuererleichterungen, die den Einsatz fossiler Energieträger begünstigen und somit eine effektive Klimaschutzpolitik untergraben. Ihr Gesamtvolumen ist gewaltig: Mit einer Summe von mindestens 65 Milliarden Euro jährlich entspricht es dem Umfang des dritten Entlastungspakets der Bundesregierung in der Energiekrise. Aufräumen ist also dringend angesagt.

Weniger Emissionen zentraler Industriebranchen

Wie auch immer es gelingt, die Emissionen zu senken – eine zentrale Rolle spielen dabei die Zementindustrie, die Stahlindustrie und die Grundstoffchemie-Industrie. Diese drei Bereiche sind für 70 Prozent der Emissionen verantwortlich. Das Bundeswirtschaftsministerium will die betroffenen Branchen deshalb mit sogenannten Klimaschutzverträgen unterstützen. Unternehmen, die die Transformation angehen, will der Staat mit Kostenzuschüssen unter die Arme greifen. Doch wie hoch müssen diese Subventionen wirklich ausfallen, um den kostspieligen Technologiewechsel zu stemmen? Und für wie lange sollten die Hilfen greifen? Welche technologischen Hebel können angesetzt werden? Eine Einheitslösung gibt es auch hier nicht, so viel steht fest. Für die Einschätzung, was wo und wie lange hilft, gibt es jetzt aber erstmals eine realitätsnahe und sehr aufschlussreiche Modellsimulation.

Grüner Wasserstoff

Immer wieder verweisen Politiker:innen und Wirtschaftsexpert:innen darauf, wie wichtig die Rolle des sogenannten grünen Wasserstoffs ist. Weil er in der Natur nur in Verbindung mit anderen Stoffen vorkommt, gilt es, ihn abzutrennen. Dazu muss Energie aufgewandt werden. Aber nur, wenn diese Energie aus regenerativen Quellen stammt, ist der Wasserstoff auch wirklich "grün". Um die Infrastruktur für die Nutzung des grünen Wasserstoffs nötige Infrastruktur zu schaffen, bedarf es noch einer ganzen Reihe von Maßnahmen, die unsere Experten beschreiben. So müssen die wettbewerbsverzerrenden Subventionen für andere Energieträger abgebaut werden, erneuerbare Energien müssen ausgebaut werden. Auch in den Bereichen Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Sozialpolitik sowie eine außenwirtschaftliche Flankierung bleibt viel zu tun.

Hilfe für den Mittelstand

Das Rückgrat der deutschen Wirtschaft sind die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Aber viele von ihnen haben unter den Folgen der Corona-Pandemie, abreißenden Lieferketten und der Wirtschaftskrise besonders gelitten. Der Staat ist mit kurzfristigen Hilfen eingesprungen, aber damit die Transformation gelingen kann, ist auch ein steuerpolitisches Umsteuern nötig. Stattdessen sorgt das Steuersystem für Fehlanreize, die Innovationen von Unternehmen im Bereich energieeffizienter und emissionsarmer Technologien behindern. Doch es ginge auch anders. Eine Investitionsprämie für Digitalisierung und Klimaschutz könnte helfen. Neben einer Kreislaufwirtschaftsstrategie könnte der Staat die Transformation beispielsweise durch eine Mengensteuer auf den Verbrauch von Primärbaustoffen unterstützen, sagen unsere Expert:innen. Alternative, vor allem sekundäre Rohstoffe würden dadurch wirtschaftlicher. Investitionen und Innovation in Richtung zirkulärer Wertschöpfung würden angeregt.

Klimaschutz und Finanzpolitik

Allerdings reicht es nicht aus, eine Transformation der Wirtschaft für einen ungewissen Zeitpunkt in der Zukunft in den Fokus zu nehmen. Schon jetzt verursacht der menschengemachte Klimawandel immense Kosten. Durch Katastrophen wie das Ahrtalhochwasser mit mehr als 100 Toten ist ein Schaden von vielen Milliarden entstanden. Allein im vergangenen Jahr erreichten die Schäden durch Hochwasser, Dürre und Stürme mehr als 42 Milliarden Euro. Doch neben der Belastung durch unmittelbare finanzielle Schäden stellt der Klimawandel auch das Finanzsystem vor neue Herausforderungen, mahnen unserer Expert:innen. So sind die Steuern auf Arbeit oder Kapital in den vergangenen Jahren deutlich stärker gestiegen als Umweltsteuern, zum Beispiel Kfz-Steuer, Lkw-Maut, oder CO2-Bepreisung. Gleichzeitig werden umweltschädliche Aktivitäten mit zuletzt 65 Milliarden Euro subventioniert. Dabei würde allein die Reform der zehn klimaschädlichsten Subventionen Mehreinnahmen von bis zu 46 Milliarden Euro generieren und fast 100 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen einsparen. 

Nachhaltigkeit in Unternehmen

Technische Innovationen und die Anpassung des Steuersystems sind wichtige Aspekte – ohne eine Änderung der Einstellung der handelnden Personen der Wirtschaft reichen sie allerdings nicht aus. Deshalb ist die spannende Frage: Wie steht es in den Unternehmen um das Thema Nachhaltigkeit? Die Bertelsmann Stiftung mit ihren Partner:innen misst den Stellenwert der Nachhaltigkeit in der Wirtschaft mit dem Sustainability Transformation Monitor. Und der zeigt: Das Thema ist im Zentrum der Unternehmen angekommen. 84 Prozent der Verantwortlichen für Nachhaltigkeit in Unternehmen der Realwirtschaft sagen, das Thema sei wichtiger geworden. In der Finanzwirtschaft liegt der Wert mit 73 Prozent nicht viel niedriger. 

Kreislaufwirtschaft

Die konsequente Umsetzung der Circular Economy hilft, Rohstoffe zu sparen und die Umweltbelastung zu senken. Das zeigt eine aktuelle Studie des WWF, an der die Bertelsmann Stiftung als Knowledge Partner beteiligt ist. Insgesamt können im Vergleich zu einem Weiter-So-Szenario im Jahr 2045 rund 197 Millionen Tonnen Rohstoffe bzw. 27 Prozent weniger verbraucht, 186 Megatonnen CO2-Äquivalente bzw. 26 Prozent Treibhausgase weniger emittiert. Dadurch würden bis zu 157 Milliarden Euro globale Umweltkosten vermieden. Die  Studie zeigt aber auch, dass es durch einen veränderten Konsum und das Vermeiden von Primärrohstoffeinsatz zu einem Rückgang an Wertschöpfung und Beschäftigung in industriellen Wirtschaftsbereichen kommen kann – mit entsprechenden Folgen für das soziale Gefüge. Je nachdem, wie verlorene Arbeitsplätze und Einkommen durch den Strukturwandel in anderen Bereichen neu entstehen und verausgabt werden, könnte aber auch ein positiver volkswirtschaftlicher Gesamteffekt in 2045 zu Buche stehen, das zeigt auch das Policy Paper zum Thema . Die Circular Economy ist zudem ein gutes Beispiel dafür, dass zentrale, übergreifende Ziele auch zentral angepackt werden müssen, statt sie zwischen die Mühlsteine der sich gegenseitig behindernde unterschiedliche Ressortzuständigkeiten geraten zu lassen. Dafür braucht es Missionsagenturen, die direkt beim Bundeskanzleramt angedockt sein sollten.

Inflation

Wie schnell sich die Schwerpunkte verschieben können, haben wir gerade in der Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine erlebt. Der Bundeskanzler sprach von der "Zeitenwende", für die Menschen rückte neben der Angst vor dem Krieg auch die Sorge angesichts der sprunghaft steigenden Inflation ins Zentrum des Interesses. Mit den herkömmlichen Mitteln, das war schnell klar, ist den starken Preisanstiegen nicht beizukommen. Warum die Notenbanken allein das Problem nicht regeln können, und wie eine angepasste Wirtschaftspolitik aussehen sollte, ist Gegenstand unserer Analyse „Inflation – diesmal ist alles anders“.

Die Europäische Zentralbank spielt eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung der Inflation. Ihr wichtigstes Instrument sind bislang die immer wiederkehrenden Erhöhungen des Leitzinses. Doch daran gibt es auch Kritik: Eine steigende Zahl von Experten mahnt, die EZB dürfe mit den Zinserhöhungen nicht „überdrehen“, weil sonst Konjunktur, Beschäftigung und vor allem Klimaziele in Gefahr gebracht könnten. Dabei gibt es Alternativen zur pauschalen Zinspolitik der Zentralbank.

Und noch etwas ist anders in dieser Zeit der hohen Inflation: Ausgerechnet der wichtigste Partner, die USA, fahren Europa in die Parade. Der Inflation Reduction Act schafft kräftige Subventionsvorteile für Unternehmen, die in den USA produzieren. Das ist Wettbewerbsverzerrung, sagen die Europäer:innen. Doch es gibt auch positive Seiten. Denn gefördert werden insbesondere Unternehmen und Produkte einer „grünen“ Wirtschaft. Der Wettbewerbsdruck, der durch Maßnahmen wie die IRA ausgelöst wird, kann auch zu einer weiteren positiven Außenwirkung führen: Andere Teile der Welt müssen sich mehr anstrengen, um den ökologischen Umbau ihrer Volkswirtschaften zu bewerkstelligen, erinnern unsere Expert:innen. Dies könnte zu einem vorteilhaften Wettlauf führen, um eine solche Transformation durch die Umsetzung intelligenter politischer Maßnahmen zu erreichen. Auch Europa könnte seine bisherigen Anstrengungen in diesem Bereich verstärken und ausbauen.