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KiTa-Personal braucht Priorität!

Fragen und Antworten der Bertelsmann Stiftung zum Status quo der Kindertagesbetreuung sowie ihrer notwendigen Transformation.

1) Betreuungswünsche der Eltern

1. Werden die Betreuungswünsche der Eltern in der Kindertagesbetreuung aktuell gedeckt?

Auch 10 Jahre nach der Einführung des Rechtsanspruchs auf Kindertagesbetreuung für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr kann dieser noch nicht für alle Kinder, deren Eltern einen Bedarf haben, erfüllt werden. Insbesondere in den westlichen Bundesländern sind die Differenzen zwischen der Betreuungsquote und dem Betreuungswunsch der Eltern besonders groß. Dort nutzten 2021 fast 31 Prozent der unter Dreijährigen eine Kindertagesbetreuung, aber 44 Prozent der Eltern äußerten einen Betreuungswunsch. In Ostdeutschland stellt sich die Situation anders dar: 2021 besuchten bereits über 52 Prozent der Kinder unter drei Jahren eine Kindertagesbetreuung. Aber auch hier ist der Bedarf der Eltern noch nicht gedeckt: 60 Prozent wünschen eine Betreuung für ihr Kind.

Bei den Kindern ab drei Jahren nimmt zwar die große Mehrheit der Kinder an einem Angebot der Kindertagesbetreuung teil – bundesweit waren es 2021 über 92 Prozent. Dennoch fehlen auch für diese Kinder noch Plätze, um den Bedarf der Eltern zu decken. Fast 96 Prozent geben einen Betreuungswunsch für ihr Kind an.

2) KiTa-Platzbedarf

2. Wie viele KiTa-Plätze fehlen, um in allen Bundesländern die Betreuungswünsche der Eltern für ihre Kinder bis zum Schuleintritt zu erfüllen?

In Deutschland fehlen 2023 insgesamt rund 383.600 KiTa-Plätze, damit die Betreuungswünsche von allen Eltern für ihre Kinder, unter Dreijährige wie über Dreijährige, erfüllt werden können. In Westdeutschland fehlen rund 362.400 Plätze, in Ostdeutschland rund 21.200. Betrachtet man die fehlenden Plätze nach Altersgruppen, so zeigt sich insbesondere ein Mangel für die Kinder unter drei Jahren: In Westdeutschland sind es rund 250.260, in Ostdeutschland mit bis zu 20.720 erheblich weniger. Die Diskrepanz Ost – West wiederholt sich bei den Kindern ab drei Jahren: In Ostdeutschland fehlen 2023 nur rund 500 Plätze, in Westdeutschland dagegen bis zu 112.122.

3) Personalkosten Platzausbau

3. Wie viel Personal ist erforderlich, um diese zusätzlich erforderlichen KiTa-Plätze bereitzustellen? Wie hoch wären die Personalkosten für diese Beschäftigten?

Bundesweit müssten zusätzlich 98.521 Fachkräfte beschäftigt werden, damit 2023 die fehlenden Plätze zur Deckung des Elternbedarfs für die unter Dreijährigen wie auch die über Dreijährigen bis Schuleintritt zur Verfügung stehen. Westdeutschland hat den größten Fachkräftebedarf für die zusätzlich erforderlichen KiTa-Plätze: rund 93.700 Personen, dies wäre eine Steigerung um über 18 Prozent.

Dadurch entstünden in Westdeutschland zusätzliche Personalkosten in Höhe von 4,1 Milliarden Euro jährlich. In Ostdeutschland fehlen rund 4.900 Personen, dies entspricht einer notwendigen Steigerung von fast 4 Prozent. Dafür wären zusätzliche Finanzmittel in Höhe von rund 220 Millionen Euro pro Jahr notwendig. Für Deutschland insgesamt wären demnach 4,3 Milliarden Euro jedes Jahr zusätzlich erforderlich, damit das notwendige Personal für die fehlenden Plätze zur Erfüllung der Betreuungswünsche von Eltern beschäftigt werden könnte. Kalkuliert wird dabei das Arbeitgeberbrutto auf der Basis des TVöD SuE (Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst – Sozial- und Erziehungsdienst).

4) Personalausstattung aktuell

4. Wie sind die KiTas aktuell mit pädagogischem Personal ausgestattet?

Als eine zentrale Voraussetzung für eine gute Qualität gilt die Personalausstattung: Für wie viele Kinder ist eine Fachkraft in der unmittelbaren pädagogischen Praxis zuständig? Wie viel Arbeitszeit hat sie für die mittelbare Arbeit – also ohne die Kinder –, um unter anderem Elterngespräche zu führen, an Teamsitzungen teilzunehmen oder Bildungsdokumentationen zu erstellen? Ist gesichert, dass Ausfallzeiten aufgrund von Urlaub, Fortbildung und auch Krankheit durch andere Kräfte aufgefangen werden? Die Personalausstattung in allen KiTas in Deutschland kann auf Basis der arbeitsvertraglich beschäftigten Personen sowie der vertraglich vereinbarten Betreuungszeiten der Kinder mit Daten aus der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik berechnet werden. Dabei ist es allerdings nicht möglich zu bestimmen, wie viele Arbeitsanteile für die jeweiligen Aufgabenbereiche genutzt werden. Immerhin bietet der rechnerische Personalschlüssel hilfreiche Informationen zu den insgesamt eingesetzten Personalkapazitäten, insbesondere auch für eine vergleichende Perspektive. Zudem kann dieser Wert in Bezug zu wissenschaftlich begründeten Personalstandards gesetzt werden. Es zeigt sich, dass sich die Personalausstattung in den KiTas bundesweit in den letzten Jahren durchaus verbessert hat. Dennoch werden in Westdeutschland immer noch fast 63 Prozent der KiTa-Kinder in Gruppen mit nicht kindgerechten Personalschlüsseln betreut, also solchen, die ungünstiger sind als die empfohlene Personalausstattung für den jeweiligen Gruppentyp. Insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern ist der Handlungsbedarf groß: Dort sind fast 90 Prozent aller KiTa-Kinder in Gruppen mit einem nicht kindgerechten Personalschlüssel. Ein differenzierter Blick in die einzelnen Bundesländer zeigt allerdings auch deutliche Unterschiede: So werden in Baden-Württemberg rund 45 Prozent aller KiTa-Kinder in Gruppen mit nicht kindgerechten Personalschlüsseln ausgestattet, diese sind also ungünstiger als wissenschaftlich empfohlen. Hingegen sind es in Mecklenburg-Vorpommern fast 96 Prozent – hier sind also fast alle KiTa-Kinder von nicht kindgerechten Personalschlüsseln betroffen.

Zwar hat sich die Situation in allen Bundesländern, bis auf Bremen, zwischen 2017 und 2021 durchaus verbessert. Allerdings sind die Entwicklungen teilweise minimal. So hat sich in Mecklenburg-Vorpommern der Anteil nicht kindgerechter Personalschlüssel von 97 Prozent nur geringfügig auf fast 96 Prozent verringert. In Baden-Württemberg ist dieser Wert dagegen von einem bereits niedrigen Niveau von über 56 Prozent weiter auf 45 Prozent gesunken. Die größte Entwicklung in diesem Zeitraum ist in Niedersachsen festzustellen, von 69 Prozent auf 57 Prozent. Kein Bundesland bietet allerdings trotz Verbesserungen eine kindgerechte, wissenschaftlichen Empfehlungen folgende Personalausstattung für alle Kinder.

Betrachtet man die konkreten Personalschlüssel, so zeigt sich beispielsweise für Krippengruppen, dass diese sich zwischen 2014 und 2021 in Ostdeutschland verbessert haben: Eine vollzeitbeschäftigte Fachkraft betreut statt 6,1 ganztags betreuten Kindern nun 5,3 Kinder. Dennoch wird damit noch nicht die von der Bertelsmann Stiftung empfohlene Relation von 1 zu 3 erreicht. In Westdeutschland war der Personalschlüssel 2014 mit 1 zu 3,6 bereits erheblich besser als 2021 in Ostdeutschland und verbesserte sich 2021 weiter auf 1 zu 3,3. Damit ist eine Fachkraft in Ostdeutschland immer noch für zwei Kinder mehr in Krippengruppen verantwortlich als in Westdeutschland. Die Folge: Zum einen sind die Arbeitsbedingungen für die Fachkräfte in Ostdeutschland deutlich schlechter. Zum anderen werden Kinder in den ostdeutschen Bundesländern damit gegenüber Krippenkindern in den westdeutschen Bundesländern deutlich benachteiligt.

Für die Kinder ab drei Jahren in Kindergartengruppen ist die Situation ähnlich: Zwar hat sich der Personalschlüssel in Ostdeutschland von 1 zu 12,4 im Jahr 2014 auf 1 zu 10,7 im Jahr 2021 verbessert. Allerdings liegt er in den westdeutschen Bundesländern 2021 bei 1 zu 7,8 und hat sich von dem schon 2014 im Vergleich zum Personalschlüssel in Ostdeutschland günstigeren Niveau (1 zu 8,9) weiter verbessert. In Westdeutschland ist damit der von der Bertelsmann Stiftung empfohlene Wert von 1 zu 7,5 fast erreicht, während in Ostdeutschland eine Fachkraft drei Kinder mehr betreuen muss. Auch für die älteren Kinder ist demnach, betrachtet man die KiTa-Qualität gemessen an der Personalausstattung, in Ostdeutschland eine erhebliche Benachteiligung gegenüber den Kindern in Westdeutschland festzustellen. Andererseits bestehen auch zwischen den einzelnen Bundesländern in Ost und West erhebliche Unterschiede: So liegt der günstigste Personalschlüssel in den Kindergartengruppen in Baden-Württemberg bei 1 zu 6,5 und der ungünstigste im Saarland bei 1 zu 9,5. In Brandenburg liegt der Personalschlüssel für diesen Gruppentyp bei 1 zu 9,6, in Mecklenburg-Vorpommern dagegen bei 1 zu 12,9.

5) Personalkosten Platz- u. Qualitätsausbau

5. Wie viel Personal ist für die zusätzlich erforderlichen KiTa-Plätze sowie eine Personalausstattung nach wissenschaftlichen Empfehlungen für alle KiTa-Plätze erforderlich? Wie hoch wären die jährlichen Personalkosten für dieses zusätzliche Personal?

Bundesweit sind insgesamt 308.800 Fachkräfte zusätzlich erforderlich, wenn bis 2023 die noch fehlenden Plätze sowie zudem in jeder KiTa-Gruppe eine kindgerechte Personalausstattung geschaffen werden soll. Dadurch entstünden Personalkosten von rund 13,8 Milliarden Euro jährlich. Davon entfallen 87.400 Personen mit jährlichen Personalkosten in Höhe von 4,2 Milliarden Euro auf die östlichen Bundesländer sowie 221.400 Fachkräfte mit jährlichen Personalkosten in Höhe von 9,6 Milliarden Euro auf die westlichen Bundesländer. Der Blick auf die einzelnen Bundesländer zeigt, dass sich der Personalbedarf anteilig durchaus unterscheidet: So müsste in Mecklenburg-Vorpommern das beschäftigte Personal um rund 92 Prozent und in Baden-Württemberg um fast 30 Prozent erhöht werden. Absolut entspräche dies in Mecklenburg-Vorpommern 9.200 Personen und in Baden-Württemberg 28.400. Beide Bundesländer können diesen Personalbedarf, ebenso wie die anderen Länder, bis 2023 nicht decken. Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass gegenwärtig erhebliche Probleme bestehen, bereits vorhandene Stellen in den KiTas zu besetzen, und das bundesweit. Dieser Personalmangel kann allerdings bislang nicht beziffert werden, da unbesetzte Stellen nicht systematisch erhoben werden.

6) Unmittelbare Maßnahmen

6. Welche unmittelbaren Maßnahmen für die Transformation der frühkindlichen Bildungssysteme empfiehlt die Bertelsmann Stiftung?

Das Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme beobachtet seit 2008 den Status quo und die Entwicklungen in den KiTa-Landschaften aller Bundesländer1. Generell zeigt sich, dass die frühkindlichen Bildungssysteme eine enorme Transformation vollzogen haben, sowohl beim Platzausbau und damit einhergehend dem Beschäftigungszuwachs als auch bei der Weiterentwicklung der pädagogischen Praxis. Nicht zuletzt sind jedoch zeitgleich die Anforderungen von Politik, Verwaltung, Arbeitgebern und auch Eltern an die Qualität der Bildungs- und Betreuungsarbeit kontinuierlich gestiegen, und immer mehr Akteure warnen davor, dass das Personal in den KiTas nicht nur belastet, sondern das System völlig überlastet und überfordert ist. Jüngst wiesen Wissenschaftler:innen auf den dringenden Handlungsbedarf hin – das System stehe vor dem"Kollaps"2. So zeigt sich in Befragungen von Fachkräften, z. B. Ver:di im Jahr 20213, oder auch Positionspapieren von Fachkräfte-Verbänden4 aus verschiedenen Bundesländern sehr differenziert die erhebliche Diskrepanz zwischen den an die KiTas bzw. die Fachkräfte gestellten Anforderungen in ihrer Bildungs- und Betreuungspraxis und den dafür verfügbaren Personalressourcen. Unverkennbar sind die Personalressourcen unzureichend, um die verantwortungs- und anspruchsvollen Aufgaben in der frühkindlichen Bildung und Betreuung gemäß den gestellten Anforderungen professionell umzusetzen.

Zu oft wird noch negiert, dass je nach spezifischem Personalmangel in einer KiTa die pädagogischen Fachkräfte bereits seit einiger Zeit – vor allem auch schon vor Corona – immer wieder dazu gezwungen sind, sich in ihrer Arbeit auf die Sicherung von Grundbedürfnissen der Kinder und die Erfüllung der Aufsichtspflicht zu fokussieren5. Die zeitlichen Kapazitäten, Bildungsprozesse zu initiieren und zu begleiten sowie die individuelle Förderung der Kinder zu sichern, waren und sind dadurch stark begrenzt. Damit werden die Rechte der Kinder auf eine gute Bildung und Betreuung verletzt.

Auf Seiten des pädagogischen Personals sind aufgrund dieser Beschränkungen ihres professionellen Handelns Entfremdungsgefühle von ihrem Beruf zu fürchten. So zeigen die Ergebnisse der HiSKiTa-Studie beispielsweise, wie Personalmangel dazu führt, dass Überlastungs- und Überforderungssituationen, die sich unter anderem in Form von Druck, Hektik und Ungeduld ebenso wie in restriktivem Handeln ausdrücken, zunehmen.6 Die Auswirkungen auf die Kinder sowie das pädagogische Personal sind somit erheblich. Insbesondere für die politischen Entscheidungsprozesse ist stärker in den Fokus der Debatte zu rücken, dass sich damit der Besuch einer KiTa für Kinder auch negativ auswirken kann: Wissenschaftliche Studien zeigen, dass einerseits eine angemessene Personalausstattung positive pädagogische Interaktionen und bildungsanregende Aktivitäten für die Kinder ermöglichen, aber andererseits eine unzureichende Personalsituation auch als hemmend auf die Entwicklung der Kinder erweisen kann.7 Bei den politischen Entscheidungsprozessen ist zudem zu berücksichtigen, dass auch vor dem Hintergrund der UN-Kinderrechtskonvention Kinder einen Anspruch auf eine angemessene Personalausstattung haben. Denn in der Konvention werden insbesondere die Zahl, aber auch die fachliche Eignung des Personals als wichtige Kriterien genannt, um das Kinderwohl zu gewährleisten.8

Die bestehenden Personalschlüssel in den Bundesländern zeigen, dass die aktuell landesgesetzlich geregelten Bemessungen für die Personalausstattung in den KiTas überwiegend unzureichend sind bzw. nicht den wissenschaftlichen Empfehlungen für eine angemessene Ausstattung entsprechen, um verlässlich professionelle pädagogische Arbeit in allen KiTas leisten zu können. Darüber hinaus verschärft sich die Situation massiv durch Personalfluktuation, längerfristig unbesetzte Stellen und einen qualitativen Personalmangel, d. h. fachlich nicht angemessen qualifiziertem Personal.9
Neben der unzureichenden Personalausstattung der bestehenden KiTa-Plätze zeigt das Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme 2022, dass zur Deckung der Betreuungswünsche der Eltern weiterhin ein erheblicher Platzausbau erforderlich ist, der ebenfalls einen enormen zusätzlichen Personalbedarf erzeugt. Nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund des erheblichen Personalausbaus in den letzten Jahren ist eine kurzfristige Realisierung eines ausreichenden Fachkräfteangebots allerdings wenig realistisch. Gleichzeitig gefährdet der bestehende, strukturelle Personalmangel in den KiTas die Attraktivität des Berufsfeldes und verschärft somit den Personalmangel weiter.

Damit kurzfristig der "Kollaps" des KiTa-Systems verhindert wird, erscheint es unumgänglich, Maßnahmen zu diskutieren und zu ergreifen, die bislang kaum als Handlungsoptionen ins Auge gefasst wurden. So schlägt der Verband Kita-Fachkräfte Bayern vor, beim KiTa-Rechtsanspruch die Betreuungszeiten zu begrenzen, beispielsweise auf sechs Stunden. Aus familienpolitischer Sicht regen sie an, über eine "Erhöhung des bayerischen Familiengeldes" nachzudenken, um beispielsweise Familien zu unterstützen, wenn sie ihr Kind später in die KiTa geben oder aber kürzere Betreuungszeiten nutzen.10

Auch in dem Appell11 von 150 Wissenschaftler:innen wird auf zunächst kurzfristige Maßnahmen hingewiesen und dabei auch "eine pragmatische Aufgabenfokussierung auf pädagogisches Handeln zum Wohle der Kinder und zu ihrer Förderung" als Option benannt.

Tatsächlich mehren sich die Hinweise aus der Praxis, dass Öffnungszeiten reduziert oder Gruppen geschlossen werden, weil kein Personal vorhanden ist. Damit solche aus der Not entstehenden Verfahren nicht weiter zunehmen, braucht es eine kurzfristige Klärung der Frage, welche Aufgaben und Funktionen von KiTas eingeschränkt oder auch aufgegeben werden sollen. Die dafür erforderlichen Debatten müssen unter Beteiligung aller Akteure des KiTa-System geführt werden, dabei sind auch die Perspektiven und Rechte von Kindern sowie die Bedarfe und Erwartungen von Eltern einzubeziehen. Grundsätzlich muss es das Ziel sein, für alle Kinder, deren Eltern einen KiTa-Besuch für ihr Kind wünschen, einen Platz anbieten zu können – zumal die Kinder einen entsprechenden Rechtsanspruch haben. Vor dem Hintergrund begrenzter Personalressourcen kann dies zur Folge haben, dass die Betreuungszeiten von allen Kindern reduziert werden müssen, damit tatsächlich wiederum alle Kinder einen Platz erhalten können. Gleichzeitig bedarf es einer grundlegenden Bestimmung der "Kernaufgaben" von KiTas, wobei der Maßstab die Rechte von Kindern sowie ihre Bedürfnisse und Interessen sein müssen. Dies könnte aber auch die Frage aufwerfen, ob beispielsweise einzelne Aufgaben, wie die Dokumentation von Bildungsprozessen oder die Durchführung von Tests, eingeschränkt werden können. Prinzipiell ist eine systematische Betrachtung der gestellten Anforderungen an die KiTas und der für ihre Realisierung tatsächlich erforderlichen (Personal )Ressourcen dringend notwendig. Auf dieser Grundlage kann unter Berücksichtigung der tatsächlich verfügbaren Personalkapazitäten definiert werden, welche Aufgaben und Tätigkeiten in den KiTas umgesetzt werden können oder nicht.

7) Langfristige Maßnahmen

7. Welche langfristigen Maßnahmen sind für die Transformation der frühkindlichen Bildungssysteme erforderlich?

Eine der größten Herausforderungen für die frühkindlichen Bildungssysteme bleibt nach wie vor ein ausreichendes Angebot qualifizierter Fachkräfte. Damit dieses verfügbar ist, müssen die langfristigen Planungshorizonte mitgedacht werden – das Personal muss qualifiziert werden, und dafür braucht es Zeit. So müssen beispielsweise die erforderlichen Ausbildungsstrukturen aufgebaut werden, mit Ausbildungswegen, die einerseits die erforderliche Qualität erbringen können und dementsprechend über das notwendige Personal, wie Lehrkräfte und auch Praxisbegleiter:innen, verfügen. Andererseits sind auch die Ausbildungsbedingungen attraktiv zu gestalten, hierzu zählen etwa Ausbildungsverträge oder auch Vergütungen. Damit steigen die Chancen, dass mehr Menschen für dieses Berufsfeld gewonnen werden können. Schließlich muss auch die Bindung der Beschäftigten in den KiTas gezielt sowie kontinuierlich unterstützt werden. Zukünftig sollten auch die Fachkräfte selbst bei der Frage, wie aus ihrer Sicht attraktive Arbeitsbedingungen gestaltet sein müssen, maßgeblich beteiligt werden.

Grundlegende Veränderungen in den frühkindlichen Bildungssystemen erfordern eine langfristig geplante Transformation, und das unter Beteiligung aller Akteure – die notwendigen Maßnahmen, beispielsweise die Weiterentwicklung der Ausbildungssysteme, können nur im Zusammenspiel von mehreren Faktoren realisiert werden. So braucht es einheitliche und nachvollziehbare Ausbildungsstrukturen mit aktuellen Ausbildungsinhalten. Es müssen genügend und qualifizierte Lehrkräfte sowie Praxisbegleiter:innen ausgebildet werden, und auch für deren Ausbildung müssen wiederum genügend Kapazitäten vorhanden sein, beispielsweise Studiengänge an den Hochschulen zur Ausbildung von Fachschullehrer:innen. Sollen flächendeckend Ausbildungsvergütungen eingeführt werden, dann muss die Re-Finanzierung dieser Ausgaben für die Träger geregelt sein – denn Personalausgaben sind in der Regel durch die öffentliche Finanzierung abgedeckt. Diese Beispiele veranschaulichen, dass nur ein systemischer Ansatz eine nachhaltige, kontinuierliche Transformation der frühkindlichen Bildungssysteme ermöglichen kann: Zwar ist der Handlungsbedarf hinsichtlich der Fachkräftegewinnung aktuell enorm, aber daneben ist noch eine Vielzahl weiterer Herausforderungen zu stemmen. Dringend erforderlich sind verbindliche Dialog- und Entscheidungsstrukturen, die alle verantwortlichen Akteure von Bund, Ländern, Kommunen und Trägern integrieren und zugleich zielorientiert arbeiten. Auch die Beteiligung der KiTa-Fachkräfte sowie der Eltern ist zu gewährleisten. Die frühkindlichen Bildungssysteme brauchen kompetente Gestalter:innen – vom Ministerium bis zur KiTa-Fachkraft.

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1Bock-Famulla, Kathrin (2008): Länderreport Frühkindliche Bildungssysteme. Transparenz schaffen – Governance. Gütersloh
2Fröhlich-Gildhoff, Klaus (Ansprechpartner) (2022): Das Kita-System steht vor dem Kollaps – Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fordern die Politik zum schnellen Handeln auf. Online: Das_Kita_System_steht_vor_dem_Kollaps-Appell_der_Wissenschaft-31Aug2022.pdf (eh-freiburg.de) (zuletzt abgerufen am 8.10.2022).
3Ver.di Kita-Personalcheck (2021): 2021_Kita-Personalcheck_Ergebnisse_verdi.pdf (zuletzt abgerufen am 10.10.2022.)
4Beispielsweise: Verband Kita-Fachkräfte Bayern (2022): Lösungsmöglichkeiten zur Beseitigung des Fachkräftemangels in Bayern. Online: https://www.nifbe.de/images/nifbe/Aktuelles_Global/2022/Fachkr%C3%A4ftemangel-L%C3%B6sungsm%C3%B6glichkeiten.pdf (zuletzt abgerufen am 7.10.2022).
5Klusemann, Stefan; Rosenkranz, Lena; Schütz, Julia (2020): Professionelles Handeln im System. Perspektiven pädagogischer Akteur*innen auf die Personalsituation in Kindertageseinrichtungen (HiSKiTa). Bertelsmann Stiftung (Hrsg.). Gütersloh.
6Boll, Astrid; Remsperger-Kehm, Regina (2021): Verletzendes Verhalten in Kitas. Eine Explorationsstudie zu Formen, Umgangsweisen, Ursachen und Handlungserfordernissen aus der Perspektive der Fachkräfte. Opladen, Berlin & Toronto.
7Viernickel, Susanne; Schwarz, Stefanie (2009): Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung – Wissenschaftliche Parameter zur Bestimmung der pädagogischen Fachkraft-Kind-Relation. Expertise. Hrsg. vom Paritätischen Gesamtverband, dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) e. V. und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Berlin, S. 13 ff.
8Lehm, Peggy (2020): Impuls: „Kinderrechte im Kontext der Kindertagesförderung.“ Tagung GEW – BFGA Sozialpädagogische Berufe und AG 1 OB Jugendhilfe und Sozialarbeit (unveröffentlicht).
9Klusemann, Stefan et al. (Fußnote 5).
10Verband Kita-Fachkräfte Bayern (Fußnote 4).
11Fröhlich-Gildhoff, Klaus (Fußnote 2).

Ansprechpartner:innen

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Kathrin Bock-Famulla
Senior Expert Frühkindliche Bildung, Educational Governance und Bildungsfinanzierung
Foto Antje Girndt
Dr. Antje Girndt
Project Manager
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Eva Berg
Project Manager