Staatssekretär Dr. Kerber eröffnet die Veranstaltung

„Stabilität“ bedeutet nicht „Stabilität“, „säkular" bedeutet nicht „säkular"

Die sprachlichen Differenzen im europäisch-arabischen Dialog sind eine Herausforderung für Denker*innen und Diplomat*innen im Feld der transmediterranen Politik. Daher ist die Reflexion unterschiedlicher Interpretationen politischer Begriffe wichtig, wenn die Verantwortlichen auf beiden Seiten des Mittelmeeres zu einer positiven Transformation und Stabilität in der direkten europäischen Nachbarschaft beitragen.

Ansprechpartner

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Christian Hanelt
Senior Expert Europe, Neighbourhood and the Middle East
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Dr. Katharina Gnath
Senior Project Manager

In der deutschen Sprache bedeutet zum Beispiel der Begriff „Stabilität“, die Gesellschaft durch friedlichen Wandel zu stärken. In der arabischen Welt versteht man unter dem Begriff das Festhalten autoritärer Systeme am Status quo. Dieser Unterschied verdeutlicht die Differenzen in der europäisch-arabischen Dialogkultur. Sprache drückt Kultur aus, dies ist besonders bei wichtigen Worten internationaler Diplomatie von hoher Bedeutung. Vor diesem Hintergrund wurde die Konferenz „Grundlagen des Dialogs in Europa und der arabischen Welt“ von der in Berlin ansässigen Candid Foundation, der Hedayah Foundation aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Programm „Europas Zukunft“ der Bertelsmann Stiftung organisiert.  

Eröffnet wurde die Veranstaltung durch Dr. Markus Kerber, den Staatssekretär des Bundesministeriums des Inneren, der unter anderem die Deutsche Islamkonferenz leitet. In seiner Rede ging er besonders auf die Innen- und Außendimension der Rolle des Islams in Deutschland sowie auf die Dialogkultur ein. Zudem thematisierte er die Finanzierung deutscher Moscheen aus dem Ausland, wie aus der Türkei, Katar oder Saudi-Arabien. Dr. Kerber betonte die Wichtigkeit des deutsch-islamischen Austausches. Zwar sei durch Veranstaltungen wie die Deutsche Islamkonferenz ein erster Impuls für den interkulturellen Austausch gesetzt, dennoch müsse weiterhin an dem deutsch-islamischen Dialog gearbeitet werden, um eine breitere Grundlage für ein friedliches Miteinander zu schaffen.

Im Verlauf der Konferenz diskutierten die rund 40 angesehenen Expert*innen aus Europa und der arabischen Welt auch über die Themen „Trennung von Staat, Justiz und Religion“ sowie „Religion und Vielfalt des Denkens“.

Die erste Diskussionsrunde widmete sich der Fragestellung, ob für die öffentliche Debatte in Europa und der arabischen Welt ein neuer Verhaltenskodex benötigt werde. Dabei hoben die Expert*innen hervor, dass sich die europäisch-arabische Debatte verändert habe, es vermehrt zu einem Zerfall der Diskussionskultur und dem Prozess der Tribalisierung komme. Ein weiterer Impuls thematisierte die eingeschränkte Arbeits- und Redefreiheit für Wissenschaftler und Journalisten im arabischen Raum. Freie Sprache sei nur noch in wenigen Ländern möglich. Zwar dienen das Internet und die Sozialen Medien als Plattform für erleichterte Meinungsäußerungen, allerdings werden auch die Kontroll- und Unterdrückungsmöglichkeiten durch autoritäre Regime zunehmend größer.

Der Nahost-Experte der Bertelsmann Stiftung Christian Hanelt spricht über die Rahmenbedingungen des europäisch-arabischen Dialogs

Ein weiteres Diskussionsthema war die Trennung von Staat, Justiz und Religion. Während viele westliche Vertreter das Konzept säkularer Staaten befürworten, sei der Glaube in der arabischen Welt stark in den bestehenden politischen und rechtlichen Strukturen verankert. Es herrschen grundsätzliche Unterschiede in der Einbeziehung religiöser Elemente. So sei der Islam in vielen Ländern der arabischen Welt die offizielle Staatsreligion und in einigen Verfassungen steht geschrieben, dass der Staatspräsident ein Muslim sein muss. Trotz des großen Diskussionspotenziales steht fest, dass Respekt und Intertextualität Voraussetzungen für einen gelungenen Dialog sein müssen.

Diskussion zwischen Nadine Al-Budair (Mitte) und Seyyed Ali Taleqani (außen rechts) über das Bild der Frau in der Gesellschaft

 Ein Highlight der Veranstaltung war die direkte Debatte zwischen der saudischen Nachrichtenmoderatorin Nadine Al-Budair und dem irakisch schiitischen Mullah Seyyed Ali Taleqani um die Rolle der Frau in der Gesellschaft. Unter dem Thema „Religion und Vielfalt des Denkens“ diskutierten die zwei Gäste über Aspekte wie die Bedeutung des Geschlechts oder die Kleidung der Frau in der arabischen Welt. Nadine Al-Budair war bereits zuvor in der Öffentlichkeit für ihr Auftreten und ihren Zuspruch für Frauenrechte in der arabischen Welt kritisiert worden.

Das Ziel der Veranstaltung war es nicht, zu einem allgemeingültigen Konsens zu finden, sondern zum Nachdenken anzuregen und den europäisch-arabischen Dialog auf der Basis von gegenseitigem Verständnis, Respekt und Toleranz zu fördern.

Weitere Informationen finden Sie auf den Internetseiten der Candid Foundation und der Hedayah Foundation.