Musik hat für viele Kinder und Jugendliche eine immense Bedeutung. Insbesondere das Musikhören zählt zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen, wie Studien der vergangenen Jahre zeigen. Relativ wenig ist hingegen darüber bekannt, wer im Kindes- und Jugendalter Musik macht. Die Ergebnisse von drei Studien zeigen, dass die Zugänge zur musikalischen Bildung nicht für alle Kinder und Jugendliche in gleicher Weise gewährleistet sind.
Aufwachsen mit Musik
Haben alle Heranwachsenden in Deutschland in gleicher Weise die Möglichkeit Musik zu machen, ein Instrument zu lernen, in einer Band zu spielen oder in einem Chor zu singen? Diese Frage steht im Zentrum unserer Studien und Expertisen!
Ausgangslage
Faire Chancen für alle Kinder?
Die Studien "Jugend und Musik " und "Familie und Musik" zeigen, dass sich die soziale Ungleichheit unseres Bildungssystems auch in der musikalischen Bildung fortsetzt. Kinder und Jugendliche aus Familien mit geringem Einkommen und niedrigerem Bildungs- und Berufsstatus (ISEI) der Eltern nehmen signifikant weniger an Angeboten zur musikalischen Bildung teil. Um faire Chancen für alle Kinder zu wahren ist es umso wichtiger, dass die Bildungseinrichtungen eine Grundversorgung gewährleisten. Aufgrund fehlender Musiklehrkräfte, wie es die Studie zum "Musikunterricht in der Grundschule" verdeutlicht, ist diese Grundversorgung musikalischer Bildung für alle Kinder im Grundschulalter nicht gesichert.
Infografik
Musiklehrkräfte gesucht
Den Grundschulen in Deutschland gehen die Musiklehrer aus. Dies ist das Ergebnis der vom Deutschem Musikrat, der Konferenz der Landesmusikräte sowie der Bertelsmann Stiftung gemeinsam beauftragten bundesweiten Erhebung, die erstmals belastbare Zahlen zur Situation des Musikunterrichts auf Länderebene liefert. Im Ergebnis fehlen in den 14 untersuchten Ländern rund 23.000 grundständig ausgebildete Musikpädagogen. Dies führt dazu, dass lediglich 43 Prozent des von den Ländern vorgeschriebenen Unterrichts von grundständig ausgebildeten Musiklehrkräften erteilt wird.
Handlungsempfehlungen
Kinder und Jugendliche einbeziehen
Eine gelungene Teilhabe an musikalischer Bildung bedeutet nicht, dass alle Kinder ein klassisches Instrument lernen oder im Chor, im Blasorchester oder in einer Band musizieren. Doch sie beinhaltet, dass sich alle jungen Menschen nach ihren Interessen und Möglichkeiten einen eigenen musikalischen Weg suchen können.
Um gerade die Potenziale informeller und digitaler Musikpraxen auszuschöpfen und Räume dafür zu öffnen, sollten zielgruppenspezifische Programme entwickelt werden, welche die Interessen von Kindern und Jugendlichen einbeziehen. Nur wenn sie mit ihrer Erfahrung und Kompetenz ernst genommen werden, sind sie motiviert, ihren eigenen Kulturraum aktiv zu gestalten. Programme für Kinder und Jugendliche sollten daher mit ihnen gemeinsam konzipiert und umgesetzt werden. Besondere Ansprache brauchen junge Menschen jenseits traditioneller bildungsbürgerlicher Milieus.
Eltern unterstützen und entlasten
Die Ergebnisse legen nahe, die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen an musikalischer Bildung stärker als bisher von familiären Bedingungen zu entkoppeln. Künftig sollte es flächendeckend möglich sein, dass alle interessierten Kinder auch ohne die finanzielle Unterstützung ihrer Eltern, ohne Fahrdienste und ohne die elterliche Begleitung von Übungszeiten ein Musikinstrument spielen.
Da Eltern die kulturellen Aktivitäten ihrer Kinder stark prägen, sollten gleichzeitig gezielt einkommensschwache und eher bildungsferne Familien adäquat angesprochen und eingebunden werden. Das Ziel sollte sein, eine positive Einstellung zu musikalischen Aktivitäten zu entwickeln. Niedrigschwelligen Angeboten, die keine Vorkenntnisse benötigen, kommt dabei besondere Bedeutung zu. Beim Erproben musikalischer Aktivitäten kann das Interesse der Eltern geweckt werden, können sie positive Erfahrungen machen und für die Begleitung der musikalischen Aktivitäten ihrer Kinder gestärkt werden. Dafür sind neue Formate jenseits der klassischen Zugänge zu entwickeln, die bereits sehr früh Kinder wie Eltern gleichermaßen ansprechen und zu gemeinsamen Aktivitäten einladen.
Bildungseinrichtungen stärken
Die Orte, an denen alle Kinder und Jugendlichen erreicht werden, sind Kindergarten und Schulen inklusive des schulischen Ganztags. Diese Einrichtungen müssen eine Grundversorgung mit musikalisch-kultureller Bildung insgesamt gewährleisten. Kulturelle Bildung muss bundesweit durchgehend im Bildungsweg – von der Kita bis zum Abitur – verankert und verfügbar sein. Dafür ist es notwendig, künstlerische Angebote und Fachunterricht von der Elementar- bis zur Oberstufe anzubieten.
Insbesondere der ganztägige Bildungsbereich – wenn er sich denn als Bildungsakteur versteht und entsprechend ausgebaut und gefördert wird – kann durch eine konsequente Verankerung musikalischer Bildung eine echte Alternative zum bezahlten außerschulischen Musikunterricht bieten. Um ein vielfältiges Angebot in den ganztägigen Bildungseinrichtungen gewährleisten zu können, sind Kooperationen notwendig: mit außerschulischen Kultur- und Bildungspartnern, wie Musik- und Kunstschulen, Chören und Orchestern, Tanzvereinen und -studios sowie lokalen Musikern und Bands. Um diese Träger von Kulturangeboten stärker als bisher mit den Bildungseinrichtungen vor Ort zu vernetzen, sind Politik und Administration von der kommunalen bis zur Bundesebene aufgefordert, fördernde Rahmenbedingungen für das gemeinsame Handeln aller Bildungs- und Kultureinrichtungen aufzubauen – und hemmende abzubauen.
Fördermittel für benachteiligte Kinder und Jugendliche unbürokratisch nutzbar machen
Auch wenn die Politik sich einig ist, dass alle Kinder, unabhängig von der familiären Herkunft, ein Recht auf faire Bildungs- und Teilhabechancen haben sollten, erfüllen die bestehenden Fördermaßnahmen zur soziokulturellen Teilhabe nur bedingt diese Forderung. Der geringe Mittelabruf etwa der Fördergelder des Bildungs- und Teilhabepakets (BuT) zeigt, dass die Ressourcen an Haushalten mit geringem Einkommen fast spurlos vorbeigehen. Eine Reform des Bildungs- und Teilhabepakets ist daher ein notwendiger Schritt. Die Finanzmittel müssen den Familienbedarfsgerecht zur Verfügung stehen. Das heißt, es muss ermöglicht werden, dass alle anfallenden Kosten übernommen werden, auch wenn Heranwachsende an verschiedenen oder teureren Angeboten teilnehmen. Und die Mittel müssen vor allem ohne finanzielle, bürokratische und sprachliche Barrieren sowie ohne das Risiko der Stigmatisierung zur Verfügung stehen.