KI-generiertes Bild: Eine Landkarte von Europa, darauf ein Rechteck mit großer Schrift "AI"

Europas KI-Gigafabriken: Szenarien und Empfehlungen für eine nachfragegetriebene Strategie

Die Europäische Kommission verlagert ihren KI-Ansatz von Regulierung hin zu Investitionen – besonders sichtbar durch fünf geplante KI-Gigafabriken (AI Gigafactories, AIGFs) zum Training und Einsatz von KI-Modellen. In diesem Policy Brief argumentieren wir, dass die Initiative stärker auf die Nachfrage ausgerichtet werden sollte, und schlagen zwei Szenarien für die KI-Gigafabriken vor.

 

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Dr. Felix Sieker
Project Manager

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Das Jahr 2025 markiert einen klaren Wandel im Umgang der Europäischen Kommission mit Künstlicher Intelligenz (KI) – der Fokus verschiebt sich von Regulierung hin zu Investitionen. Im April veröffentlichte die Kommission ihren „AI Continent Action Plan“, der darlegt, wie die Europäische Union den Rückstand im globalen KI-Wettlauf aufholen will.

Rechenkapazität im Kern des Plans

Im Zentrum des Plans steht ein massiver Ausbau der Recheninfrastruktur – die Schlüsselressource für das Training und den Einsatz von KI-Modellen. Die Kommission schlägt fünf KI-Gigafabriken (AIGFs) vor, von denen jede mit mindestens 100.000 KI-Chips ausgestattet und in Teilen aus öffentlichen Geldern bzw. europäischen Fördergeldern finanziert werden soll: Ein zweckgebundener Fonds über 20 Milliarden Euro würde etwa ein Drittel der Investitionskosten pro Einrichtung tragen. Der Fonds wird von der EU im Rahmen des Programms InvestAI aufgesetzt, das insgesamt über 200 Milliarden Euro zur Skalierung von KI-Entwicklung und -Anwendung vorsieht. Ausdrückliches Ziel der Kommission ist, dass die Gigafactories zur Entwicklung und zum Einsatz von fortschrittlichen, sogenannten Frontier-KI-Modellen dienen sollen. 

Zwei Szenarien für die AIGFs

In Zusammenarbeit mit Julia Christina Hess und dem Think Tank interface haben wir die KI-Gigafabriken-Initiative in einem Policy Brief analysiert und im breiteren Kontext des Ausbaus von KI-Rechenkapazitäten verortet. Wir kommen zu dem Ergebnis, dass die Initiative ein unzureichendes Angebot – nämlich Europas frühere Rechenengpässe – überbetont und einen entscheidenden Faktor ausblendet: die Nachfrage.

Auf Grundlage einer Kartierung bestehender Rechenzentrumsausbauten sowie der Landschaft der Anbieter und Nutzer von Rechenkapazität schlagen wir zwei plausible Betriebsmodelle für die AIGFs vor:

  • Ankerkunden-Modell: Gewinnung eines oder weniger Ankerkunden mit sehr hoher Nachfrage nach KI-Rechenleistung – wie in den USA und China beobachtet.
  • Multi-Client-Modell: Bedienung eines breiteren Kundenspektrums mit niedrigen bis mittleren KI-Workloads.

Warum ein Multi-Client-Modell für Europa besser geeignet ist

Wir argumentieren, dass der Anspruch der Europäischen Kommission, Frontier-Modelle zu trainieren und einzusetzen, ein Ankerkunden-Modell nahelegt. Führende KI-Labore sind jedoch die einzige Nutzergruppe, die sehr hohe KI-Workloads erzeugen und damit das Ziel des Trainings und Einsatzes von Frontier-Modellen tragen kann. Europa beherbergt derzeit jedoch nur ein führendes Labor: Mistral. Das macht das konventionelle Ankerkunden-Modell – in dem ein einzelnes nachfragestarkes Labor die Auslastung garantiert – weniger realistisch.

Ein Multi-Client-Modell passt voraussichtlich besser zur europäischen Industriestruktur. Um jedoch mit privaten Anbietern von Hochleistungs-Rechenkapazitäten wie Neoclouds konkurrieren zu können, müssten die KI-Gigafabriken mehr als nur Rechenleistung bieten. Sie könnten zum Beispiel als One-Stop-Shop fungieren, der die für das Training und den Einsatz vielfältiger KI-Anwendungen erforderlichen Bausteine bündelt: strukturiertes Onboarding, Reifegrad-Diagnostik, kuratierte Software-Stacks und fortlaufende Expert:innenunterstützung. Dieser Ansatz könnte ein dynamisches Ökosystem für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), Start-ups und etablierte Unternehmen anstoßen, würde aber eine Neujustierung der derzeitigen Zielsetzungen der KI-Gigafabriken erfordern.

Empfehlungen für die Ausschreibungen zu den KI-Gigafabriken

Die offizielle Ausschreibung der Europäischen Kommission für die KI-Gigafabriken wird bis Ende dieses Jahres erwartet. Politische Entscheidungsträger:innen sollten bei der Bewertung von AIGF-Bewerbungen drei Kriterien priorisieren:

  • Nachfrageerhebung: prognostizierte KI-Workloads und verbindliche Nutzerzusagen verlangen.
  • Realistische Ziele: Ziele der KI-Gigafabriken primär an den Dynamiken der EU-KI-Industrie ausrichten – und weniger an möglicherweise nicht zu realisierenden Hoffnungen auf weltweit führende KI-Modelle.
  • Klarer Mehrwert: KI-Gigafabriken gegenüber Hyperscalern und Neoclouds differenzieren, indem zusätzlich zur Rechenleistung integrierte Services – Plattform, Software und Support – angeboten werden.

Policy Brief