Länderkarte in blau, darauf sind verschiedene Ebenen und Symbole zu sehen.

Der Standard of Standards - Digitale Souveränität und fairer Wettbewerb durch sektorübergreifende Interoperabilität

In einer neuen Studie zeigen wir auf, warum sektorübergreifende Interoperabilität für digitale Souveränität und bessere Zusammenarbeit im digitalen Raum von zentraler Bedeutung ist und wie der Weg dahin gelingen kann.

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Dr. Felix Sieker
Project Manager

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Auf dem Gipfel zur digitalen Souveränität in Berlin Mitte November diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Wirtschaft über Europas Position im globalen Technologiewettbewerb. Der Fokus lag auf Künstlicher Intelligenz und eigenen europäischen Lösungen – zweifellos zentrale Themen. Doch ein entscheidender Aspekt bleibt häufig unberücksichtigt: die Frage der Standards.

Warum Standards das Fundament des digitalen Raums bilden

Standards im digitalen Raum sind mehr als technische Spezifikationen – sie bilden das Fundament der digitalen Wirtschaft. Ihre Bedeutung ist mit den Standards der klassischen Industriewelt zu vergleichen, beispielsweise dem DIN-Format. Die grundlegenden Internet-Standards verdeutlichen dies: Das Transmission Control Protocol/Internet Protocol (TCP/IP) ist das grundlegende Protokoll­, auf dem das gesamte Internet basiert und das Märkte im Billionen-Euro-Maßstab ermöglicht; das Simple Mail Transfer Protocol (SMTP) erlaubt den täglichen Versand von Milliarden E-Mails.

Entscheidend ist dabei die Interoperabilität. Damit ist die Fähigkeit verschiedenartiger Systeme gemeint, miteinander zu kommunizieren. Offene Standards wie TCP/IP schaffen die Skalierbarkeit und Effizienz, die den Erfolg des digitalen Raums erst ermöglichen.

Doch diese strukturelle Offenheit des Internets hat sich nicht auf die Anwendungsschicht übertragen – also die Welt der Software und Plattformen, die wir täglich nutzen.

Geschlossene Systeme statt offener Märkte

In der Anwendungsschicht dominieren heute geschlossene Ökosysteme. Große Technologieunternehmen bauen zwar auf offenen Internetstandards auf, ihre darauf basierenden Angebote sind jedoch weitestgehend weder standardisiert noch interoperabel. Sie nutzen ihre Marktpositionen, um „Walled Gardens" zu schaffen – geschlossene Systeme, die Nutzer und Daten an die jeweilige Plattform binden.

Die Auswirkungen auf die digitale Souveränität sind erheblich:

  • Verfügbarkeit: Wie robust digitale Dienste sind, hängt davon ab, ob sich Komponenten und Anbieter im Bedarfsfall ersetzen lassen. Wo Interoperabilität fehlt und nur proprietäre Schnittstellen existieren, entstehen „Single Points of Failure“: Wenn ein Anbieter ausfällt, Geschäftsbedingungen ändert oder ein Produkt zurückzieht, lassen sich zentrale Funktionen nur mit großem Aufwand oder gar nicht auf alternative Lösungen übertragen. Das schafft strukturelle Abhängigkeiten.
  • Wahlmöglichkeiten: Offene Standards ermöglichen Wettbewerb, weil Nutzer zwischen Anbietern wechseln können, ohne Daten oder Netzwerke zu verlieren. Fehlende Interoperabilität dagegen führt zu sogenannten „Lock-in”-Effekten. Das zeigt das Beispiel moderner Messenger-Dienste, bei denen ein Wechsel den Verlust von Kontakten bedeutet.

Diese Diskrepanz zwischen Netzwerk- und Anwendungsschicht ist ein zentrales Strukturproblem: Die Offenheit der Infrastruktur findet sich nicht automatisch in den Anwendungen wieder, die wir tagtäglich nutzen, und die häufig für das Funktionieren unserer Wirtschaft und unseres Staatswesens notwendig sind.

Interoperabilität erfordert einen mehrdimensionalen Ansatz

Die Europäische Kommission hat mit dem European Interoperability Framework (EIF) einen systematischen Ansatz entwickelt, um Interoperabilität auch auf der Anwendungsschicht zu erreichen. Das EIF unterscheidet vier Interoperabilitätsebenen und ihre Funktionen:

  • Rechtlich: Effektive Zusammenarbeit über nationale Rechtssysteme hinweg
  • Organisatorisch: Abstimmung von Geschäftsprozessen und Verantwortlichkeiten
  • Semantisch: Einheitliches Verständnis der ausgetauschten Daten
  • Technisch: Protokolle und Schnittstellen für den Datenaustausch

Diese Ebenen bilden ein zusammenhängendes Ganzes. Daraus folgt: Standardisierungsprozesse, die Interoperabilität in der Anwendungsschicht erreichen wollen, müssen alle vier Ebenen systematisch adressieren.

Das Problem: Methodische Fragmentierung

Aktuell arbeiten verschiedene Sektoren – zum Beispiel Gesundheitswesen, Energiewirtschaft, Mobilität oder öffentliche Verwaltung – an der Entwicklung eigener Interoperabilitäts-Standards. Sie verfolgen zwar vergleichbare Ziele, verwenden aber unterschiedliche Methoden und koordinieren sich kaum.

Die Folge ist systematische aber unnötige Doppelarbeit. Übergeordnete Themen, insbesondere bei Fragen der rechtlichen und organisatorischen Interoperabilität sowie bei der Compliance, werden in jedem Bereich neu verhandelt. 
Hinzu kommt: Branchen wie die Logistik oder Energie sind von Natur aus mit vielen weiteren Sektoren tief vernetzt. Ein rein sektoraler Ansatz kann diese Vernetzung nicht adäquat abbilden.

Die Lösung: ein Standard of Standards

In der neuen Studie “Der Standard of Standards - Digitale Souveränität und fairer Wettbewerb
durch sektorübergreifende Interoperabilität” in Zusammenarbeit mit der SINE Foundation schlagen wir einen Ausweg vor: einen „Standard of Standards" als vereinheitlichte Methodik für die Entwicklung von Interoperabilitäts-Standards zu etablieren.

Der Standard of Standards ist keine weitere technische Spezifikation, sondern eine technologie- und sektorneutrale Methodik. Sie definiert, wie Interoperabilität auf allen vier Ebenen des EIF erreicht, getestet und weiterentwickelt werden kann.

 

Mit einem Standard of Standards können wir die methodische Grundlage für offene, zielgerichtete und sektorübergreifende Kommunikation zwischen unterschiedlichen Systemen schaffen – damit Interoperabilität nicht die Ausnahme, sondern der Normalfall wird.

Felix Sieker

Die Studie definiert fünf Kriterien für die Auswahl einer geeigneten Methodik:

  1. Breite Community und robuste Governance – unterstützt durch EU- und nationale Institutionen
  2. Technologie-Unabhängigkeit – ein Anwendungsfall muss über viele technologische Generationen hinweg Bestand haben können
  3. Sektorale Erprobung – nachgewiesene Praxistauglichkeit in mindestens einem komplexen Sektor
  4. Sektorneutrale Anwendbarkeit – erfolgreiche Übertragbarkeit auf andere Sektoren
  5. Obligatorisches Testen – automatisierte Testverfahren zur Qualitätssicherung

Für die erfolgreiche Etablierung empfehlen wir die Einrichtung eines Forums, das die Methodik überwacht, kontinuierlich weiterentwickelt und die kritischen Werkzeuge als öffentliche Güter bereitstellt. Ein ordnungspolitischer Rahmen muss dabei Offenheit und Zugänglichkeit für alle Stakeholder gewährleisten – einschließlich kleiner und mittlerer Unternehmen sowie der Zivilgesellschaft.

An wen sich diese Studie richtet

Die Publikation richtet sich an politische Entscheidungsträger sowie Verantwortliche in Verwaltung, Standardisierungsgremien und Industrie. Sie zeigt: Ohne Interoperabilitäts-Standards auf der Anwendungsschicht bleibt die digitale Souveränität brüchig und der Wettbewerb verzerrt.

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