Sie sehen in dem wirtschaftlichen Druck von Kliniken ein wesentliches Hemmnis für gemeinsame Entscheidungen von Arzt und Patient. Zum Beispiel wurden Situationen geschildert, in denen Patienten gezielt unvollständig über Behandlungsoptionen aufgeklärt wurden, um sie zu lukrativen Therapien zu bewegen. In den Gesprächen berichteten Ärzte auch von Anweisungen, Patientengespräche möglichst kurz zu halten, da ein höherer Zeitaufwand nicht besser vergütet werde.
Junge Ärzte sehen Hürden bei Patientenbeteiligung im Klinikalltag
Ein Aufenthalt im Krankenhaus ist für die meisten Menschen mit wichtigen Entscheidungen verbunden – über Untersuchungen, neue Medikamente oder eine Operation. Laut unserer repräsentativen Befragung möchten 80 Prozent der deutschen Bevölkerung gemeinsam mit dem Arzt über ihre Behandlung entscheiden. Dass Ärzte ihre Patienten umfassend aufklären und beteiligen müssen, ist seit 2013 im Patientenrechtegesetz verankert. Doch bei der praktischen Umsetzung in deutschen Kliniken gibt es viele Hürden. Das berichten junge Ärzte, die wir in Fokusgruppen befragt haben.
Wirtschaftlicher Druck stellt Hemmnis dar
Patientenorientierte Haltung ist zentral
Ob Patienten an Entscheidungen beteiligt werden, ist zudem stark abhängig von der Einstellung der Chef- und Oberärzte. Eine patientenorientierte Haltung, sowohl die eigene als auch die der Kollegen und Vorgesetzten, sei maßgeblich für die Umsetzung im Klinikalltag, so der Tenor der jungen Mediziner. Hilfreich sei zudem eine gute Teamarbeit von Ärzten und dem medizinischen Personal. Manche Befragte erlebten jedoch Führungskräfte, die eine Beteiligung der Patienten verhinderten. Gemeinsames Entscheiden könne auch daran scheitern, dass es auf der Station generell an einer offenen Gesprächskultur fehle.
Mit unterschiedlichen Eindrücken blicken die jungen Ärzte außerdem auf ihre Ausbildung in Gesprächsführung und Kommunikation während ihres Studium zurück. Viele fühlen sich unzureichend auf den Behandlungsalltag vorbereitet, bemühen sich aber trotzdem, erlernte Gesprächstechniken anzuwenden.
Experten bestätigen Hürden im Klinikalltag
Für das Gelingen von gemeinsamer Entscheidungsfindung erachtet auch ein interdisziplinäres Expertenteam (siehe Methodik) die genannten Punkte als zentral. Darüber hinaus wurden in den Gesprächen mit den jungen Ärzten weitere Einflussfaktoren identifiziert (siehe Grafiken). Um gemeinsame Entscheidungen besser im Krankenhausalltag zu integrieren, ist ein Bündel von Maßnahmen erforderlich:
Unsere Lösungsansätze
1. Patientenrechte umsetzen
Ärzte und Pflegepersonal müssen die gesetzliche Pflicht zur Patienteninformation, -aufklärung und -beteiligung ernst nehmen. Klinikleitungen und Chefärzte müssen die Umsetzung stärker vorantreiben.
2. Qualitätsstandards anpassen
Politik und Selbstverwaltung sollten die gemeinsame Entscheidungsfindung zum Qualitätsstandard für Kliniken erheben.
3. Vergütungssystem ändern
Im Vergütungssystem sollte weniger das Erbringen von Leistungen, sondern das Ausloten von Patientenpräferenzen stimuliert werden.
4. Ausbildung verbessern
Aus-, Fort- und Weiterbildung müssen die Kommunikation mit Patienten als Kernkompetenz vermitteln.
5. Informationsmaterial einsetzen
Patienteninformationen müssen auf verschiedene Patientengruppen zugeschnitten und großflächig (digital) verbreitet werden.
An den zwei Fokusgruppen nahmen 14 Ärzte im Alter zwischen 25 und 35 Jahren teil, die einer gemeinsamen Entscheidungsfindung (sehr) positiv gegenüberstehen. Anschließend bewerteten sieben Experten Gehalt und Gültigkeit der Aussagen:
- Dr. Martin Danner, Bundesgeschäftsführer Bundesarbeitsgemeinschaft BAG Selbsthilfe
- Prof. Dr. Friedemann Geiger, Leiter eines Innovationsfondsprojekts zur Vollimplementierung von SDM in Krankenhäusern, UKSH, Kiel
- Prof. Dr. Bernd Griewing, Vorstand Medizin RHÖN-KLINIKUM AG
- Prof. Dr. Dr. Martin Härter, Direktor des Instituts und der Poliklinik für Medizinische Psychologie, UKE Hamburg
- Prof. Dr. Jana Jünger, Direktorin Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen, Mainz
- Prof. Dr. Jürgen Wasem, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen
- Prof. Dr. Christiane Woopen, Direktorin CERES, Universität zu Köln
Ergänzt wurde die qualitative Studie durch eine repräsentative Bevölkerungsbefragung. Im Auftrag der Bertelsmann Stiftung befragte Kantar Emnid 1.039 Personen, wer Behandlungsentscheidungen treffen sollte: der Arzt, der Patient oder beide gemeinsam.