Vielfältige Bürgerbeteiligung – das heißt, nicht immer nur die „üblichen Verdächtigen“ dabei zu haben, sondern viele verschiedene Perspektiven in einen Beteiligungsprozess einfließen zu lassen. Dadurch stärkt Beteiligung nicht nur Vertrauen, sondern führt auch zu besseren Ergebnissen.
Das klingt gut, doch in der Praxis ist es nicht so einfach umzusetzen. Der neue SHORTCUT erläutert, worauf es bei Organisation und Durchführung ankommt und zeigt an Beispielen, welche Methoden vielfältiger Bürgerbeteiligung funktionieren können.
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Je mehr Perspektiven, desto besser die Beteiligung
Bürgerbeteiligung ist ein wichtiger Teil einer inklusiven Demokratie. Sie kann politische Entscheidungen auf Basis der Lebensrealität der Bürger:innen verbessern, das Vertrauen in politische Prozesse stärken und die Verbindung zwischen Bürger:innen, Politiker:innen und Verwaltung fördern. Beteiligung ist dann am wirksamsten, wenn ganz unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen einfließen und dabei helfen, Probleme zu verdeutlichen und Lösungen aufzuzeigen. Vielfältige Beteiligung setzt hier an und möchte über die „üblichen Verdächtigen“ hinaus Menschen aus der breiten Bevölkerung beteiligen. So werden gezielt Menschen angesprochen, die zum Beispiel kaum politisch interessiert sind, über geringere Bildung oder wenig Wohlstand verfügen.
Wie kann vielfältige Beteiligung gelingen? Drei Aspekte sind wichtig: Erstens die Frage, welchen Zweck das Beteiligungsverfahren verfolgen soll. Abhängig davon werden Zielgruppe und Format der Beteiligung festgelegt. Bestimmte Gruppen können in einem geschützten Raum einbezogen werden, etwa, wenn es um Erfahrungen mit Diskriminierung geht. Einige Themen betreffen vor allem eine bestimmte Gruppe, wie beispielsweise Projekte zur Stadtentwicklung. Bei anderen Themen ist es gut, wenn möglichst viele unterschiedliche Menschen mitreden – zum Beispiel in einem Bürgerrat. Zweitens sollten Beteiligungshürden identifiziert und überwunden werden. Insbesondere Menschen aus Gruppen, die sich im Regelfall nicht oder nur selten in Beteiligungsprozesse einbringen, sind oft durch äußere Umstände daran gehindert. Drittens spielen auch mangelndes Vertrauen oder fehlende Selbstwirksamkeit bei der Nicht-Beteiligung vieler Menschen eine Rolle. Beteiligung ist für die meisten nicht selbstverständlich – hier können Organisator:innen im Planungsprozess ansetzen, um Beteiligung vielfältiger zu gestalten.

Beteiligung ist nicht selbstverständlich
Organisation des Prozesses
Problem: Mangelnde Selbstwirksamkeitserfahrung, Menschen sehen keinen Wert in der eigenen Beteiligung
Lösungsansatz: Ansprache über Mittlerorganisationen/Vertrauenspersonen, Ansprechpartner:innen stehen für Rückfragen zur Verfügung
Problem: Kein Vertrauen in den Nutzen des Beteiligungsverfahrens
Lösungsansatz: Möglichkeiten und Grenzen des Prozesses offen kommunizieren, Outputs müssen politisch reflektiert werden
Durchführung des Prozesses
Problem: Sorge vor Diskriminierung im Prozess
Lösungsansatz: Organisation gemeinsam mit betroffener Community, aufmerksame Moderation
Problem: Angst vor öffentlichem Sprechen
Lösungsansatz: Aufmerksame Moderation, Diskussionsformat anpassen

Unterschiedliche Formate führen zum Ziel
Je nach Ziel und Zielgruppe des Beteiligungsverfahrens bieten sich unterschiedliche Methoden und Beteiligungsformate an. Drei Beispiele:
1. World Wide Views on Climate and Energy (2015): Vielfältige Beteiligung weltweit
Im Rahmen dieses vom Danish Board of Technology und weiteren Partnern organisierten Projektes debattierten 10.000 Bürger:innen in 76 Ländern über Klimawandel und globale Energiewende. Ein Quotierungsverfahren, zum Beispiel nach Bildungshintergrund und Beruf, ermöglichte auch innerhalb der einzelnen Länder vielfältige Beteiligung.
2. „Gestalte deine Stadt“ (2018-19): Stadtteilentwicklung von Menschen mit Migrationshintergrund
In dem Projekt der Stadt Osnabrück ging es spezifisch darum, Menschen mit Migrationshintergrund, die 30 Prozent der Stadtbevölkerung ausmachen, aus verschiedenen Communities zusammenzubringen und ihrer Stimme in der Stadtentwicklung ein größeres Gewicht zu verleihen. Dabei unterstützte der Migrationsbeirat der Stadt das Projekt als Vermittler. Besonderen Wert wurde im gesamten Prozess auf eine vertrauensvolle Atmosphäre gelegt.
3. „Forum gegen Fakes“ (2024): Ein Bürgerrat kombiniert mit niedrigschwelliger Online-Beteiligung
Bei diesem Projekt der Bertelsmann Stiftung ergänzten digitale Beteiligungsformate einen zufällig gelosten Bürgerrat. Dadurch konnten hunderttausende Menschen ihre Ideen zum Umgang mit Desinformation in der Gesellschaft einbringen – diese wurden im wechselseitigen Austausch mit dem Bürgerrat ausgearbeitet.
Vielfältige Beteiligung – ein Beitrag zur inklusiven Demokratie
Vielfältige Beteiligung kann auf verschiedene Arten in Beteiligungsprozesse eingebunden werden und bringt viele Vorteile mit sich: Sie führt zu einem umfassenderen Bild im Beteiligungsverfahren und damit besseren Entscheidungen. Viele Bürger:innen empfinden ihre Teilnahme außerdem als bereichernd – oft wächst dadurch auch ihr Interesse an Politik und ihr Engagement. Vielfältige Beteiligung ist daher nicht nur für einzelne Beteiligungsverfahren wichtig, sondern leistet einen zentralen Beitrag zu einer lebendigen Demokratie. Politik und Gesellschaft profitieren davon, wenn Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen miteinander ins Gespräch kommen. Politische Entscheidungen finden mehr Verständnis und Akzeptanz. Dadurch erhöhen sich die Legitimität politischer Prozesse und das Vertrauen in demokratische Institutionen.
Vielfältige Beteiligung ist mehr als ein „nice to have“. Wichtig sind zwei Dinge: Die Methoden vielfältiger Beteiligung können und sollten stetig weiterentwickelt werden. Wie funktioniert die Ansprache unterschiedlicher Zielgruppen – schriftlich per Brief, persönlich durch Multiplikator:innen, telefonisch oder durch Werbung über die sozialen Medien? Wie lässt sich politische Selbstwirksamkeit in Beteiligungsverfahren konkret stärken? Und nicht zuletzt: Wie setzen sich einzelne nur vermeintlich homogene Gruppen zusammen und auf Erfahrungen welcher Personen kommt es im jeweiligen Beteiligungsprozess an – etwa Menschen mit Migrationshintergrund aus einer bestimmten Community? Genauso, wie sich Gesellschaften verändern, müssen sich auch Methoden der Ansprache und Beteiligung anpassen und vielfältiger werden.
Dieses Wissen sollte regelmäßig, beispielsweise durch Schulungen und Erfahrungsaustausch, in Verwaltung und Politik getragen werden. Dazu braucht es abseits einzelner Beteiligungsprozesse den politischen Willen, Beteiligung vielfältig zu denken, damit „Beteiligung für alle von allen“ Realität werden kann.
Wie vielfältig kann Beteiligung sein?
Beteiligung kann vielfältiger werden – aber es gibt auch Grenzen: Die Möglichkeiten, die Gesellschaft im Kleinen abzubilden, sind natürlicherweise begrenzt. Kategorien sind oft diverser als auf den ersten Blick ersichtlich: Nicht alle Menschen mit Migrationserfahrung haben auch Flucht erlebt, nicht alle älteren Menschen sind ungeübt im digitalen Raum, auch jüngere Menschen interessieren sich für das Thema Rente.
Auch zufällig geloste Bürgerräte können Beteiligung nur teilweise vielfältiger machen. So fällt es auch hier schwer, Menschen mit geringem politischem Interesse zu erreichen. Dennoch: Vielfältige Beteiligung ist ein erstrebenswertes Ziel und auch wegen der damit verbundenen Diskussionen eine Bereicherung für die politische Kultur.
Message to go:
Vielfältige Beteiligung ist kein „nice to have“, sondern essenziell für eine inklusive Demokratie.
Autoren
Leander Berner
leander.berner@bertelsmann-stiftung.de
Ella Fruchtmann
fruchtmann@outlook.com
Quellen und weiterführende Literatur
Quellen und weiterführende Literatur
Allianz Vielfältige Demokratie und Bertelsmann Stiftung (2018). Wegweiser breite Bürgerbeteiligung. Gütersloh. https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/wegweiser-breite-buergerbeteiligung
Bächtiger, André, John S. Dryzek, Jane Mansbridge und Mark E. Warren (2018). The Oxford Handbook of Deliberative Democracy. Oxford. https://doi.org/10.1093/oxfordhb/9780198747369.001.0001
OECD (2020). Innovative Citizen Participation and New Democratic Institutions:
Catching the Deliberative Wave. Paris. https://doi.org/10.1787/339306da-en
Stiftung Mitarbeit (2021). Zugänge erschließen – Austausch ermöglichen. Bonn.
Vollmer, Rebekka, und Stefan Roch (2024). Bürgerbeteiligung als öffentliche Debatte. Das Projekt „Forum gegen Fakes“. Gütersloh. https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/new-democracy/shortcut-archiv/shortcut-12-buergerbeteiligung-als-oeffentlichedebatte- das-projekt-forum-gegen-fakes-1
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Titelbild: © Stafeeva - stock.adobe.com, eigene Montage
Die Reihe shortcut präsentiert und diskutiert interessante Ansätze, Methoden und Projekte zur Lösung demokratischer Herausforderungen in einem komprimierten und anschaulichen Format. Das Projekt New Democracy der Bertelsmann Stiftung veröffentlicht es in unregelmäßigen Abständen.