Arzt berät Patient, der eine elektronische Gesundheitskarte in der Hand hält.

Gesundheitskarte für Flüchtlinge droht zu scheitern

Länder und Kommunen sperren sich zunehmend gegen die Gesundheitskarte für Asylsuchende. Während im Februar nur Bayern und Sachsen die Einführung der Gesundheitskarte abgelehnt hatten, wurde deren Einführung mittlerweile auch in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt gestoppt.

In Niedersachsen, Rheinland-Pfalz oder dem Saarland weigern sich die Kommunen, der entsprechenden Vereinbarung beizutreten. Nach wie vor lehnt der Bund es ab, die Gesundheitskosten der noch nicht anerkannten Asylsuchenden zu übernehmen. Nur in Berlin, Brandenburg, Hamburg und Schleswig-Holstein tragen die Länder die über die Karte abgerechneten Gesundheitsausgaben. In den anderen Bundesländern müssen die Kommunen zumindest für einen Teil der Kosten selbst aufkommen. Viele Kommunen fürchten, dass der leichtere Zugang zur medizinischen Versorgung zu insgesamt höheren Ausgaben führt.

Die Ranking-Punkte wurden anhand dieser vier gleich gewichteten Kriterien vergeben:
1. Einführung umgesetzt
2. Rahmenbedingungen auf Landesebene vereinbart
3. Kostenübernahme durch Länder
4. Landesweite Regelung getroffen
Je höher die Punktzahl, desto weiter fortgeschritten die Einführung der Gesundheitskarte für Flüchtlinge.

Angst der Kommunen vor hohen Kosten ist unbegründet

Studien und die Evaluation der Gesundheitskarte in Hamburg zeigen, dass sich sogar Verwaltungskosten einsparen ließen. Gleichwohl sind derzeit nur wenige Kommunen bereit, die Gesundheitskarte für Asylsuchende anzubieten. In Nordrhein-Westfalen sind es derzeit nur 20 von 396 Kommunen.

Es kann nicht sein, dass das föderale Gerangel um die Kosten auf dem Rücken der Flüchtlinge und der Kommunen ausgetragen wird. Die medizinische Versorgung von Asylsuchenden und Flüchtlingen muss bundeseinheitlich geregelt und finanziert werden.

Kirsten Witte, Kommunalexpertin der Bertelsmann Stiftung

Länder und Krankenkassen regeln Abrechnungsmodalitäten

Die vom Gesetzgeber geforderte Rahmenvereinbarung zwischen den kommunalen Spitzenverbänden und dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung auf Bundesebene ist erst Ende Mai abgeschlossen worden. Unterdessen haben die meisten Länder mit den Krankenkassen Vereinbarungen getroffen, in denen unter anderem die Erstattung für die Abrechnung der Gesundheitskosten geregelt ist. Üblicherweise werden pro Geflüchtetem im Monat acht Prozent der Leistungsaufwendungen, mindestens aber 10 Euro fällig. Auch diese Kosten sind vielen Kommunen zu hoch.

Die Gesundheitskarte kann die Versorgung der Geflüchteten verbessern und den Verwaltungsaufwand reduzieren. Sie droht nun im Verteilungsgerangel der Akteure auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene auf der Strecke zu bleiben.

Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte der Bertelsmann Stiftung

Bundesbürger mehrheitlich für Gesundheitskarte

Dabei sind laut einer repräsentativen Befragung der Bertelsmann Stiftung zwei von drei Bundesbürgern dafür, dass Flüchtlinge eine Gesundheitskarte erhalten und damit direkt einen Arzt aufsuchen können. Auch der Deutsche Ärztetag hat Ende Mai beschlossen, allen Geflüchteten – unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus – bundesweit und zeitnah eine vollwertige Krankenversicherungskarte auszuhändigen.

Zusatzinformationen

Zurzeit tragen die Kommunen die Kosten für die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen in den ersten 15 Monaten bzw. bis zu deren Anerkennung. Mit dem Asylbeschleunigungsgesetz (Asylpaket I) wurde Ende 2015 die Möglichkeit eröffnet, für Asylsuchende eine Gesundheitskarte mit eingeschränktem Leistungsanspruch einzuführen. Die Verantwortung für die Umsetzung wurde den Bundesländern übertragen. Vor 2015 gab es entsprechende Regelungen nur in Bremen und Hamburg. Die Expertise gibt den Umsetzungsstand bis Ende Februar 2016 wider. Die Aktualisierung bezieht sich auf den Stand bis Ende Mai 2016.