Der gesellschaftliche Zusammenhalt in Baden-Württemberg ist seit 2017 auf hohem Niveau stabil. Dies belegt unsere aktuelle Studie. In sieben von neun Dimensionen, die das "Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt" untersucht, haben sich die Werte nicht verändert. In den zwei Bereichen "Akzeptanz von Diversität" und "Identifikation mit dem Gemeinwesen" sind sogar leichte Anstiege zu verzeichnen. Außerdem haben sich die Unterschiede zwischen den Regionen in Baden-Württemberg verringert.
Gesellschaftlicher Zusammenhalt in Baden-Württemberg: stark und stabil – aber nicht für alle
Über 80 Prozent der Menschen in Baden-Württemberg empfinden den Zusammenhalt im eigenen Umfeld als gut oder sehr gut. Eine repräsentative Umfrage unter 1.398 Personen zeigt, dass der Zusammenhalt im Bundesland zwischen 2017 und 2019 stabil geblieben ist. Für einige Bevölkerungsgruppen sind die Lebensbedingungen aber dennoch schwierig.
Offenheit für Vielfalt hat zugenommen
Die gewachsene Offenheit für Diversität zeigt sich beispielsweise an der Einstellung gegenüber unterschiedlichen sexuellen Orientierungen: Gaben 2017 noch 14 Prozent an, dass sie Homosexuelle ungern als Nachbarn hätten, sind dies 2019 nur noch fünf Prozent. Die Einstellungen gegenüber anderen Religionen oder Einwanderern sind hingegen unverändert. Dies ist bemerkenswert, da angesichts der verschärften öffentlichen Debatte zu diesen Themen, häufig der Eindruck entsteht, in den vergangenen Jahren habe die Ablehnung von Vielfalt eher zugenommen.
Menschen besinnen sich auf ihr lokales Umfeld
Auffällig ist, dass trotz des insgesamt positiven Befundes für das eigene Bundesland die allgemeine Stimmung eingetrübt bleibt. 79 Prozent der Befragten in Baden-Württemberg haben aktuell den Eindruck, dass der Zusammenhalt in Deutschland zumindest teilweise gefährdet sei. Dies sind drei Prozentpunkte mehr als 2017. Mit dieser Stimmungslage geht auch eine Besinnung auf das lokale Umfeld einher.
Sowohl die Identifikation mit der Region, als auch mit dem Wohnort und der Nachbarschaft hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Sagten beispielsweise 2017 noch 76 Prozent der Befragten, dass sie sich mit ihrem Wohnort ziemlich oder sehr verbunden fühlen, so sind es aktuell bereits 81 Prozent. Hierzu passt auch, dass der Anteil derer, die von einem starken Zusammenhalt in der Wohngegend berichten, von 70 auf 81 Prozent gestiegen ist.
Risikogruppen mit geringerer Teilhabe an der Gesellschaft
Aber nicht alle Bevölkerungsgruppen profitieren gleichermaßen vom starken Zusammenhalt. Bei genauerer Betrachtung werden Risikogruppen sichtbar, deren Teilhabe an der Gesellschaft eingeschränkt ist. Insbesondere chronisch Kranke, Menschen mit Migrationshintergrund, ärmere Menschen, Alleinerziehende und auch Frauen weisen vergleichsweise geringe Werte auf. Frauen bewerten in der Studie viele Aspekte kritischer und nehmen ihre eigene Benachteiligung in der Gesellschaft wahr. Unter anderem empfinden Frauen die gesellschaftlichen Bedingungen als deutlich ungerechter als Männer oder fühlen sich weniger sicher, wenn sie allein unterwegs sind. "Angesichts dieser Befunde überrascht es auch nicht, dass 74 Prozent der von uns befragten Frauen sagen, dass die Maßnahmen gegen Geschlechterbenachteiligung nicht ausreichen", betont der Leiter der Studie, Kai Unzicker.
Ehrenamt ist wichtige Stütze des Zusammenhalts
Das Ehrenamt ist ein zentraler Baustein des Zusammenhalts. 43 Prozent der Befragten geben an, sich ehrenamtlich zu engagieren. Die große Mehrheit hiervon, 79 Prozent, fühlen sich für ihr Engagement ausreichend wertgeschätzt. Rund die Hälfte wünschen sich aber mehr Unterstützung durch Politik und Verwaltung, beispielsweise finanziell, durch Fort- und Weiterbildung oder die Bereitstellung von Räumen oder Sachmitteln. Auch im Bereich des Ehrenamts zeigen sich die unterschiedlichen Teilhabechancen: Während von den reichsten Menschen in der Bevölkerung rund 63 Prozent in einem Verein aktiv sind, so sind dies bei der Gruppe mit dem geringsten Einkommen nur 37 Prozent. Unterschiede gibt es auch zwischen Stadt und Land: auf dem Land geben nur 45 Prozent an, dass sie selten oder nie ehrenamtlich engagiert sind, in den Großstädten liegt dieser Anteil bei 60 Prozent.
Sozialpolitik kann zum Zusammenhalt beitragen
Die Studie belegt auch, dass die Politik Einflussmöglichkeiten auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt hat. Es wurde untersucht, wie sich die Qualität der Maßnahmen in einzelnen sozialpolitischen Handlungsfeldern auf den Zusammenhalt auswirkt. Es ging dabei um die Themen Ehrenamt, Familie, Senioren, Pflege, Frauen, Gesundheit, Armut und Integration. Hierbei zeigte sich, dass in den Regionen, wo die politischen Maßnahmen wahrgenommen und positiv von der Bevölkerung eingeschätzt werden, auch der Zusammenhalt stärker ist. Drei Handlungsfelder weisen dabei den stärksten Einfluss auf: die Unterstützung von Familien, die Armutsprävention und die Integration von Geflüchteten.
Mit anderen Worten: Um den gesellschaftlichen Zusammenhalt auch weiterhin stabil zu halten oder sogar zu stärken, lohnt es sich, mit gezielten und wirksamen Maßnahmen die Teilhabechancen für die Risikogruppen zu verbessern und die Anstrengungen bei der Unterstützung von Familien, ärmeren Menschen und von Geflüchteten zu verstärken.
Über die Studie
Mit dem Instrument "Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt" untersucht die Bertelsmann Stiftung seit 2013 die Qualität des gemeinschaftlichen Miteinanders. Hierzu wurden in der Vergangenheit bereits internationale Vergleichsstudien, bundesweite Studien sowie lokale Fallstudien durchgeführt. Die hier vorliegende Untersuchung zum gesellschaftlichen Zusammenhalt in Baden-Württemberg fokussiert erstmals ein Bundesland.
Im Auftrag der Bertelsmann Stiftung hat hierfür das Meinungsforschungsinstitut Infratest Dimap im Januar und Februar 2019 1.398 Personen ab 16 Jahre in Baden-Württemberg telefonisch befragt. Die Studie ist repräsentativ für die Bevölkerung in Baden-Württemberg. Für den Zeitvergleich wurden die Befragungsdaten der Studie "Sozialer Zusammenhalt in Deutschland 2017" herangezogen. Damals wurden 508 Personen in Baden-Württemberg durch das infas Institut für angewandte Sozialforschung ebenfalls telefonisch befragt (bundesweit 5.041).
Die Studie wurde im Rahmen des Programms "Na klar, zusammen halt…" des Ministeriums für Soziales und Integration des Landes Baden-Württemberg finanziell gefördert. Die Auswertungen wurden gemeinsam mit einem Forscherteam der Jacobs University in Bremen unter Leitung von Prof. Klaus Boehnke vorgenommen.