Die Verteilungsgerechtigkeit beurteilen die Bürger im Osten deutlich schlechter als die Bürger im Westen. So sind in den ostdeutschen Ländern erheblich mehr Menschen der Meinung, die Regierung solle dafür sorgen, Einkommensunterschiede zu reduzieren. Dies spiegelt sich in einer relativ hohen Unzufriedenheit der Ostdeutschen mit dem eigenen Lebensstandard: Während im Westen seit 1990 durchgehend mehr als jeder zweite Bürger meint, einen gerechten Anteil am Wohlstand zu erhalten, sackte dieser Anteil in den meisten ostdeutschen Bundesländern nach einem Zwischenhoch wieder kräftig ab. Fast so niedrig wie direkt nach der Wende sind die Werte in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. Dort empfindet nur noch jeder Fünfte seinen Lebensstandard als gerecht. „In vielen Regionen im Osten scheint der zwischenzeitliche Optimismus einer gewissen Ernüchterung gewichen zu sein“, sagt Kai Unzicker, Experte für gesellschaftliche Entwicklung in der Bertelsmann Stiftung.
Die Akzeptanz von Vielfalt hat sich in Deutschland ambivalent entwickelt. Erheblich angestiegen ist in nahezu allen Bundesländern die Toleranz gegenüber Homosexuellen. Selbst in Bayern als dem in diesem Punkt am wenigsten tolerantem westdeutschen Bundesland herrscht relativ hohe Zustimmung zu der Aussage, Schwule und Lesben sollten ihr Leben führen können, wie sie möchten. Auch in den ostdeutschen Bundesländern hat sich die Akzeptanz gegenüber homosexuellen Lebensformen erhöht, liegt aber außer in Thüringen unterhalb des Bundesdurchschnitts.
Zuwanderern begegnen viele Deutsche nach wie vor mit großer Skepsis. Zwar zeigen sie sich zunehmend offener für ein gesellschaftspolitisches Engagement von Ausländern, allerdings akzeptieren sie immer seltener, wenn diese in Deutschland ihren traditionellen Lebensstil pflegen. Diese nachlassende Akzeptanz von kultureller Vielfalt erscheint unbegründet, denn die Studie zeigt: In den Bundesländern mit den höchsten Ausländeranteilen halten die Bürger am engsten zusammen.
„Offenbar empfinden noch immer viele Deutsche Zuwanderung als Bedrohung. Wir sollten stattdessen Vielfalt als Chance begreifen“, sagt Liz Mohn, die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann Stiftung.
Mit ihrer Analyse, welche Einflussgrößen entscheidend sind für den Grad des Zusammenhalts in einer Gesellschaft, liefert die Studie auch Erklärungen, warum die ostdeutschen Länder den Abstand zu Westdeutschland noch nicht verringern konnten: „Je höher das Bruttoinlandsprodukt eines Bundeslandes, je niedriger das Armutsrisiko, je urbaner das Wohnumfeld und je jünger die Bevölkerung, desto höher der Zusammenhalt“, fasst Kai Unzicker zusammen. Damit bestätigt die Studie, dass Wirtschaftskraft und Wohlstand förderlich sind für das innere Gefüge einer Gesellschaft. Das war bereits das Ergebnis des letztjährigen Radars, das den Gemeinsinn in mehr als 30 Staaten untersucht hatte. Der innerdeutsche Vergleich zeigt nun zusätzlich, dass auch ein städtisches Umfeld und eine positive demographische Entwicklung helfen, eine Gesellschaft zusammenzuhalten.