Ein Junge steht vor einer gelben Wand, er hat eine kleine Tafel in der Hand

Kinder zwischen Chancen und Barrieren. Zum Verhältnis von Schule und Familie

Familien und Lehrkräfte sollen in Grundschulen Bildungs- und Erziehungspartnerschaften eingehen, um die Entwicklung und Bildung der Kinder bestmöglich zu unterstützen. So lautet die politische und fachliche Vorgabe.
Aber was sagen eigentlich die Kinder zu dieser Idee?

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Antje Funcke
Senior Expert Familie und Bildung

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Dieser Frage geht der Forschungsbericht nach, den Tanja Betz von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz mit ihrem Team in einem Kooperationsprojekt mit der Bertelsmann Stiftung erarbeitet hat. Er stellt die Kinder als bisher in der wissenschaftlichen wie fachpolitischen Debatte vernachlässigte Akteure in den Mittelpunkt und fragt nach ihrer Perspektive auf eine "gute" Bildungs- und Erziehungspartnerschaft zwischen Schule und Familie. 

Kinder haben vielfältige Perspektiven

Dazu haben die Forscherinnen Gruppendiskussionen und Einzelinterviews mit Grundschüler:innen dritter und vierter Klassen geführt und ausgewertet. Ihre Analysen zeigen, dass es nicht die eine Perspektive der Kinder gibt. Vielmehr konnten Tanja Betz und ihr Team drei unterschiedliche Typen herausarbeiten: 

  1. Manche Kinder wollen informiert und involviert sein, wenn ihre Eltern mit der Schule in Kontakt kommen. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass sie von einem engen Verhältnis zwischen Schule und Familie profitieren. Zu diesem Typ zählen – darauf deuten die Befunde hin – eher Kinder aus ressourcenstärkeren Familien.
  2. Andere Kinder versuchen sich Begegnungen zwischen Eltern und Lehrkräften so gut es geht zu entziehen. Sie empfinden sie als unangenehm, bedrohlich und haben zum Teil Angst davor. Ihr "Zuhause-Ich" und ihr "Schul-Ich" soll möglichst gut voneinander getrennt sein.
  3. Wieder andere Kinder nehmen die Treffen zwischen Eltern und Lehrkräften und die ihnen dabei zugewiesene Rolle einfach hin. Sie erleben sich dabei aber mitunter als machtlos und handlungsohnmächtig.

Bildungs- und Erziehungspartnerschaft passt nicht für alle

Die eingangs erwähnte Forderung nach Bildungs- und Erziehungspartnerschaften, in der sich alle Beteiligten – Lehrkräfte, Eltern und Schüler:innen – auf Augenhöhe begegnen, intensiv zusammenarbeiten und sich über alles austauschen, ist damit aus der Perspektive vieler Kinder keine Idealvorstellung. Vielmehr offenbaren sich vielfältige Ambivalenzen nicht nur bei Kindern, sondern allen Beteiligten.

Das haben bereits andere Veröffentlichungen im Rahmen des Forschungsprojekts sowie weitere Studien gezeigt. Lehrkräfte ringen mit ihrer Rolle als Vertreter:innen der Schule – in der sie lehren, bewerten und gerade am Ende der Grundschule auch Übergangsempfehlungen aussprechen – und der Aufgabe Eltern und Kindern partnerschaftlich, vertrauensvoll und auf Augenhöhe zu begegnen. Bei Eltern zeigt sich – wie bei den Kindern – eine große Heterogenität, wie und wie intensiv sie sich in Bildungsinstitutionen einbringen wollen und auch können.

Vielfältige Wege der Zusammenarbeit entwickeln und erproben


Die fachpolitisch sehr präsente und zugleich idealisierende Vorgabe von Bildungs- und Erziehungspartnerschaften muss daher hinterfragt und vielfältige Wege der Zusammenarbeit entwickelt und erprobt werden. Ein besonderes Augenmerk gilt es darauf zu legen, Kinder, z. B. durch Schüler:innenvertretungen stärker in die Gestaltung des Verhältnisses von Familie und Schule einzubeziehen.

Dabei ist es zentral, dass die oben beschriebenen Ambivalenzen sowie Macht- und Ungleichheitsverhältnisse zwischen Erwachsenen und Kindern, Lehrkräften und Eltern sowie Familien unterschiedlicher Milieus berücksichtigt und reflektiert werden. Denn nur dann können Grenzen und Risiken verschiedener Formen der Zusammenarbeit mit Blick auf Bildungschancen bzw. Barrieren für bestimmte Kinder aufgedeckt und bearbeitet werden.

Das ist keine einfache, aber eine wichtige Aufgabe für alle beteiligten Akteure. Sie kann nur gelingen, wenn gleichzeitig auch die Frage nach den notwendigen Rahmenbedingungen in Bezug auf Zeit, Personal, Aus- und Fortbildung sowie Räumlichkeiten für eine gute Gestaltung des Verhältnisses von Schule und Familie thematisiert wird und ausreichende Ressourcen bereitgestellt werden.