Fr. Han-Fuhr hält die Abstimmungskarten in der Hand

Wohin geht die Reise in Polen und Ungarn?

Diskussionen über den Zustand der Demokratie in Polen und Ungarn sind selten optimistisch und beruhigend. Sich allmählich verschlechternde Standards der Rechtsstaatlichkeit, ein schrumpfender Raum für die Zivilgesellschaft, eine übermäßige staatliche Kontrolle der Medien - all diese Trends werden als äußerst alarmierend bewertet. Diese Entwicklungen setzen auch die EU unter zusätzlichen Druck: Wie lange kann die EU die eigentümliche Haltung der beiden Länder zur Demokratie noch tolerieren, gerade in Zeiten eines großen Krieges in Europa?

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Dr. Andrey Demidov
Project Manager

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Am vierten Runden Tisch der Veranstaltungsreihe Stresstest für die Demokratie diskutierten Karolina Wigura von Kultura Liberalna und Bulcsu Hunyadi von Political Capital darüber, wie es um die Demokratie in Polen und Ungarn bestellt ist, wie ähnlich die Situationen in beiden Ländern sind, was die EU tun kann, um den anhaltenden Demokratieverfall einzudämmen und ob dieser Verfall noch rückgängig gemacht werden kann und vor allem wird. 

Demokratie unter Stress: Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Die Demokratie wird in Polen und Ungarn unterschiedlich stark herausgefordert. In Polen spielt die Regierung, wie Karolina Wigura feststellte, auf dem populistisch-ideologischen Feld. Ihr Einfluss auf die Medien, die sie für eine lautstarke nationalistische Propaganda nutzt, ist seit Beginn des Krieges noch stärker geworden. Der Krieg selbst scheint die Position der Regierung gestärkt zu haben. Der Streit mit der EU über die Rechtsstaatlichkeit geht weiter, aber die Debatten sind komplex - nicht einmal die Opposition ist mit den EU-Konditionalitäten zur Rechtsstaatlichkeit einverstanden. Allerdings ist die Demokratie in Polen noch lange nicht besiegt - der Ausgang der Wahlen 2023 ist sehr schwer vorherzusagen und der Sieg der Regierungspartei ist nicht garantiert.

Viktor Orbans Griff nach der Macht ist viel stärker, was Ungarn, wie Bulcsu Hunyadi argumentiert, als eine nicht funktionierende Demokratie qualifiziert. Die Regierungspartei kann jede Regel umschreiben. Sie hat volle Kontrolle über die Medien und andere politische Ressourcen. Sie hält die Bevölkerung effektiv davon ab, sich an der Politik zu beteiligen und ähnelt damit einer "Informationsautokratie". Es gibt keine ernsthaften internen Beschränkungen für die Macht von Orban, dem es sogar gelungen ist, den Schock des Krieges zu seinem politischen Vorteil zu nutzen.

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Was steht für die Demokratie auf dem Spiel?

Beide Länder sind kaum Einzelfälle demokratischen Unwohlseins. Sie spiegeln vielmehr größere globale Trends wider: Desillusionierung gegenüber der Demokratie, vielleicht als eine Reaktion auf die raschen gesellschaftlichen Veränderungen und den Versuch, diese durch eine Rückbesinnung auf Werte wie Familie, Identität, Gemeinschaft und Sicherheit "einzufrieren". Vielleicht ist für die Demokratie der beiden Länder aber auch noch nicht alles verloren. Die polnische Zivilgesellschaft ist sehr lebendig und ein Zeichen für eine starke "demokratische Resilienz". In Ungarn wiederum nehmen die Proteste der Bevölkerung aufgrund der zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu.  Auf der anderen Seite hat der Krieg in der Ukraine alles verändert. Die Probleme und Kämpfe innerhalb der polnischen und ungarischen Demokratien werden immer weniger zu einer Angelegenheit des internen demokratischen Lernprozesses beider Nationen. Gleichzeitig bedeuten sie immer mehr, als nur einen Streit um die Rechtsstaatlichkeit der EU. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass der Demokratieverfall in Polen und Ungarn, wenn er nicht angegangen wird, den gemeinsamen europäischen Konsens über die Demokratie ernsthaft untergraben kann - einen Konsens, der gerade jetzt besonders dringend benötigt wird. Und hier steht für die Demokratie in Europa und vor allem in der Welt sehr viel auf dem Spiel.