Höchste Zeit also, sich mit dieser Mittelschicht, vor allem aber mit ihren Problemen, auseinanderzusetzen. Denn die Mittelschicht verliert Substanz, und gerade für junge Menschen wird es immer schwerer, sich in der Mitte der Gesellschaft zu etablieren. Das ist das Ergebnis der Studie "Bröckelt die Mittelschicht? Risiken und Chancen für mittlere Einkommensgruppen auf dem deutschen Arbeitsmarkt", die wir gemeinsam mit der OECD vorgelegt haben. Präsentiert wurde sie am Mittwoch bei einem digitalen Launch-Event mit mehr als 150 Teilnehmer:innen. Zugeschaltet hatte sich auch Mathias Cormann, Generalsekretär der OECD. Auch er macht sich in seinen einführenden Worten für die Mittelschicht stark. „Sie ist seit jeher das Fundament des wirtschaftlichen Wohlstands", sagt er. "Sie ist der Motor des Wachstums." Doch die Mittelschicht stehe unter Druck. "Deshalb ist es so wichtig, dass sich die Politik des Themas annimmt", fordert Cormann.
Die Agenda dafür liefert die Studie, die unsere Arbeitsmarktexpertin Valentina Consiglio und Sebastian Königs, Wirtschaftsexperte der OECD, gemeinsam mit Christian Geppert, Horacio Levy und Anna Vindics vorgelegt haben. In Deutschland ist die Mittelschicht zwischen 1995 und 2018 um sechs Prozentpunkte auf 64 Prozent geschrumpft. Das ist zwar hauptsächlich in der Zeit bis 2005 passiert, aber in den nachfolgenden Zeiten kräftigen Wachstums und sinkender Arbeitslosigkeit hat sich die Mittelschicht nicht wieder erholt, erklärt Sebastian Königs. Geschrumpft ist die Gruppe vor allem an ihrem unteren Rand, für jüngere Generationen ist es zunehmend schwieriger geworden, sich einen Platz in der Einkommensmitte zu sichern. Die Baby-Boomer:innen hatten, als sie in ihren 20ern und 30ern waren, noch eine Chance von 71 Prozent, sich in der Mittelschicht zu halten, für die Millennials lagen diese Chancen nur noch bei 61 Prozent. Dabei spielt Bildung eine immer wichtigere Rolle: So ist der Rückgang des Anteils der 25 bis 35-Jährigen, die es in die Mittelschicht schafften, für jene mit niedrigem Bildungsniveau fünf Mal stärker ausgefallen als für jene mit einem abgeschlossenen Studium.